La vie en rose

Mit der Ente durch die Provence

Drei Frauen, eine Ente und das wilde Var

Wenn sie noch schnattern würde! Wir lauschen dem sonoren, gleichmäßigen Knattern, als die Ente in Besse-zur-Issole um die Ecke biegt. Wie Musik in meinen Ohren. Ein altes Chanson von Edith Piaf.

Gabrielle lächelt uns zu, sie wirkt entspannt, und ich weiß warum. Meine Mitreisenden werden es gleich erfahren. Spätestens in den nächsten Tagen. Gabrielle legt los, sie will uns nach „Les Pierres des Sauvages“, also zu den wilden, rauen Steinen zu bringen.

Gemeinsam mit ihrem Mann Gilles betreibt sie ein Chambre d’Hôtes: fünf Gästezimmer, die Bezug nehmen auf die Abteien der Gegend. Alle mit den Farben der Region gestaltet, gedeckt, erdig. In meinem Lavendel- und Holztöne, ich mag die klare, einfache Gestaltung.

Gilles ist Architekt und fährt ebenfalls Ente. Die Zeiten sind längst vorbei, als der gute, alte 2CV noch ein günstiges Studentenauto war. Heute kauft man für ein paar tausend Euro eine Ente und investiert noch mal soviel, um sie fit für die Zukunft zu machen. Auch die 42 Jahre alte Titine wurde rundum erneuert. Tipptopp sieht sie aus, ich bin schon verliebt.

Kaum angekommen, hat Gabrielle uns als Begrüßungstrunk den Sommerwein der Provence auf die Terrasse gestellt. Mit gut gekühltem Rosé stoßen wir an, die Kolleginnen Meike von Meikemeilen und Anja von Travel on Toast und ich. Drei Frauen, eine Ente und die wilde Provence.

Es ist schon Abend und immer noch warm. Der üppig angepflanzte Lavendel wird sich noch öffnen, und es riecht intensiv nach den riesigen Rosmarinsträuchern rundherum. Wir beschließen spontan zu verlängern.

Mal Urlaub zu machen oder gleich dort zu bleiben. Die Provence, diese schöne alte Schmeichlerin, hat uns sogleich umgarnt. Gabrielles Fürsorge, Titines Rhythmus und diese ländliche Gemütlichkeit. Die Leichtigkeit des Rosés.

Zusammen mit den anderen Gästen speisen wir am langen Tisch, Gemüse-Tartes, gegrilltes Lamm, Ziegenkäse aus dem Nachbardorf mit Feigenmarmelade sowie „Clafoutis aux cerises“ zum Nachtisch, Kirschauflauf. Das Konzert der Grillen im Hintergrund.

Ich schlafe wie ein Stein in meinem Lavendelzimmer, hier im Land der wilden Steine und der Zisterzienser. Warum Gabrielle und Gilles ihr Anwesen so genannt haben, werden wir noch erfahren.

Als ich morgens die Tür zur Terrasse öffne, knattert Titine mit Gabrielle zum Baguette-Einkauf um die Ecke. Sonst macht die Hausherrin alles selbst: Marmeladen aus Orangen, Zitronen, Melonen mit Pastis, Himbeeren, Erdbeeren, Birnen und grünen Tomaten sowie Yoghurt stehen schon auf dem Tisch, frisch gebackene Muffins mit Nüssen und Fruchtsalat daneben. Ein Plausch in der Morgensonne zwischen zwei Schluck Café au lait.

Lang lebe Titine!

Und dann ab durch die Mitte mit Titine! „Sie ist ein Geburtstagsgeschenk“, erzählt Gabrielle. Ihr Mann hat gesagt, ein Geschenk für die nächsten zehn Jahre, Weihnachten inklusive. Es geht ganz schön steil hinauf, Gabrielle fährt zunächst. „Im Winter kamen hier nur die Enten hoch“, meint die Französin lächelnd. Auf den 2CV ist eben Verlass.

Das Verdeck haben wir lässig nach hinten gerollt. Gegen die Sonne hilft ein Hut, und so fahren wir erst mal nach Bormes-les-Mimosas, die Stadt der Mimosen. Dort kreiert die temperamentvolle Nathalie Papet nämlich Bekleidung für die Köpfe der Damen, nicht nur im Var, und in sämtlichen Farben, Formen, Materialien.

Madame La Hutmacherin

Ihre Hutwerkstatt „Les Bibis du Midi“ liegt im Zentrum des kleinen Ortes, dessen rosafarbene und gelbe Häuser von Zypressen, Oleander und Bougainvillea gerahmt sind. Wie gemalt, das alles. Die Lage auf dem Hügel, das Meer, der Himmel. Und die Hüte!

Mit sicherem Griff sucht Nathalie für jeden etwas aus. „Viele Leute irren sich mit der Kopfbedeckung“, weiß die Expertin. Wenn sie berät, spielt alles eine Rolle: vom Lippenstift bis zur Region der Trägerin. Sie streift mir ein türkises Geflecht aus Bananenblättern über den Kopf. Interessant. Oder mit anderen Worten: Ich hätte diesen Kranz nicht ausgesucht, doch er wirkt homogen.

Hutprobe

„Du kannst alles damit machen: an den Strand gehen, ins Wasser. Er bleibt in Form.“ Ich stelle mir vor, wie ich mit dem leuchtenden Kranz ins Meer steige, alles trieft, nur der Hut sitzt. Machen sie das im Var so? Wir probieren uns durch das Sortiment, bis ich ihn finde, meinen Hut. Panama-Form, doch bunt, also Hippie mit Stil. Herkunftsland: Italien. War klar.

Hutmode im Var
Les dames…

„Den musst du mit dem Drei-Finger-Griff aufsetzen“, berät mich der Profi. „Mit beiden Händen an den Seiten zurechtzupfen, nur kurz. Dann solltest du vergessen, dass du ihn auf hast. Du kannst damit tanzen, der Wind bläst – alles ist gut!“ Ich verstehe. Strahlend verabschieden wir uns von Nathalie. Auch Gabrielle hat sich einen Panamahut zugelegt, aber original.

Er steht ihr vortrefflich und passt wie das I-Tüpfelchen zu Titine, die gerade in eine missliche Lage geraten ist. Wird der werte Monsieur le flic ihr etwa ein Knöllchen verabreichen? Nein, da haben wir noch einmal Glück gehabt! Bormes ist ein Wunder. Wir wollen die Route des Crêtes im Var entlangdüsen, eine kurvige Küstenstraße – Meerblick-Stopps inklusive.

Mit der Ente im Var
On y va! (Foto: Anja Beckmann)

Auf das intensive Blau, das der Côte d’Azur ihren Namen verliehen hat. Der Duft der Nadelbäume, die Sonne auf der Haut, alles ist so intensiv mit Titine. Entefahren bedeutet, eins mit seiner Umgebung zu sein. Wie viele Jahre habe ich nun dieses sanfte Schaukeln entbehrt! Gegenüber der entspannenden Wirkung eines 2CV ist autogenes Training ein Witz.

Ein Genuss jagt den nächsten im Var. Wir kehren zum Mittagessen bei Dédé Delmonte ein, Faktotum des Var. Dédé mit dem Schalk in den Augen. Sein Fischrestaurant „Le Maurin des Maures“ in Le Rayol zieht sie alle an, Einheimische wie Touristen, Prominente und Blogger. Dédés Vater war Fischer, und jetzt macht er in Bouillabaisse, der Sohn. Gerade verteilt er den Fisch, den er auf einer länglichen Korkplatte aus der Küche geholt hat.

Eine Bouillabaisse ist keine Suppe.

Dédé

Ob der Hitze, das Thermometer hat die 30 Gradmarke locker überschritten, entscheiden wir uns für Méli-Mélo, eine kalte und ebenfalls fischlastige Tapas-Platte. Ob ich ein Dessert möchte? Mais non, merci! Ich habe die Platte kaum geschafft. Gut, dann vielleicht einen „café gourmand“? Etwas kleines Süßes ist auch dabei, was für eine gelungene Erfindung der Franzosen!

Mon dieu!

Doch als der „café gourmand“ vor meiner Nase steht, entpuppt er sich als Méli-Mélo sämtlicher Desserts! Gut, dass ich keinen Nachtisch wollte. Beim Abschied empfiehlt uns Dédé ganz dringend an den Strand zu gehen: „Sonst könnt ihr nicht bloggen!“ Ein kluger Mann.

Essen mit Freunden

Was ist besser als ein 2CV? Zwei. Darum fährt Gilles am nächsten Tag mit seiner Dolly vor, und ich mit Gabrielles Titine hinterher. Er rast ganz schön, während ich mit Meike gemütlich plaudere. Plötzlich ist die rot-graue Dolly wie vom Erdboden verschluckt. Welche Ausfahrt im Kreisverkehr nehmen wir? Ich stelle auf Gefühlsmodus um, und kurze Zeit später sehen wir Dolly in einer Kurve verschwinden.

In der Domaine de la Gasqui treffen wir gute Freunde von Gabrielle und Gilles: François Miglio und seine Frau Marie machen Wein, hauptsächlich Rosé, und zwar biodynamischen. Jedes Träubchen wird gehegt und gepflegt, François redet ihnen gut zu. Wir schauen in die anmutig geschwungene Landschaft, Rebstöcke, so weit das Auge reicht.

Oft heißt es für die Arbeiter um fünf Uhr früh bei den Reben sein. Nicht zum Singen, doch bestimmte Treatments verlangen nach dieser Uhrzeit. „Wir vertrauen der Natur und folgen ihrem Rhythmus.“ Das Ergebnis schmecken wir, unsere kleine Weinprobe entpuppt sich zum netten Lunch im Freien, das Var in Höchstform. Endlich komme ich in den Genuss einer Soupe au Pistou, der provenzalischen Gemüsesuppe mit Kräuterpesto.

Wir sind jetzt zu siebt und plaudern munter durcheinander. Das hätte ewig so andauern können, doch ein Highlight steht uns noch bevor: Die Abtei von Le Thoronet. Gabrielle und Gilles haben sich hier zu „Les Pierres Sauvages“ inspirieren lassen. Nicht nur, weil ihr Grundstück reich an Steinen war, nicht nur, weil dieses Stück Architektur aus einer anderen Zeit faszinierend ist.

Les Pierres Sauvages

Ein bekannter Kollege von Gilles hat einen Roman über den Bau der Abtei verfasst: „Les Pierres Sauvages“. Die deutsche Übersetzung spricht von „Singenden Steinen“, und das hat seinen Grund. Als wir mit unserem Guide Victoria in der Kirche sind, erleben wir ein Stimmwunder. Ganz leise beginnt sie zu singen, den Chor entlang schreitend wie ein Mönch.

Le Thoronet

Die Wände vervielfachen ihr Stimmvolumen, als wäre die Architektur ein Instrument, das Victoria zum Klingen brächte. Der gregorianische Gesang entfaltet eine hypnotisierende Wirkung. Gilles weiß, dass der Gesang auf das Gebäude abgestimmt wurde und nicht umgekehrt. Schmuckloser Kalkstein, dicke Mauern, romanische Formen, kaum Fenster. Das Leben der Zisterzienser war betont einfach und der Natur angepasst wie der biodynamische Weinanbau.

Wir lauschen Victoria und den singenden Steinen, als wäre sie eine Naturgewalt. Am Ende frage ich die „Sängerin“ nach ihrer eigenen Wahrnehmung. Nein, sie höre das vervielfachte Volumen ihrer Stimme nicht. Wichtig sei aber, die Töne sehr lange zu halten. Das bringt sie also zum Klingen, die rauen Steine.

Das Gewitter

Draußen bringt die Natur den Himmel zum Trommeln: Es donnert und blitzt. Wir beeilen uns, die Entendächer zu schließen. Alles ist nass, die Sitze, das Lenkrad, wir. Doch das ist erst der Anfang. Während Gilles wie üblich mit Karacho losbrettert, schüttet es aus vollen Eimern vom Himmel. Bedeutet? Weder Anja noch ich sehen die Straße. Die Entenscheibenwischer kennen nur eine Geschwindigkeit, nichts zu machen.

Die Drei mit der Ente

Uns wird es zu bunt, beziehungsweise zu verschwommen, also stellen wir uns an den Straßenrand. Irgendwann wird es aufhören. Irgendwie. Ich traue mich nicht, den Motor auszuschalten, vielleicht zündet er später nicht mehr? Es dauert eine Weile, bis Gilles unser Abtauchen bemerkt. Er kommt zurück, klappt das Fenster hoch, ich ebenfalls. Noch mehr Wasser.

„Alles ok? Probleme mit dem Auto?“ Ich verneine, blicke nur vielsagend zum Himmel. Gilles kennt kein Erbarmen, aber die Strecke. „Follow me!“ Ok, Augen zu und durch. Wir sehen nichts außer dem schwachen Schein seiner Rücklichter. Gilles düst mit unverminderter Geschwindigkeit durch die Serpentinen. Nur wenige Male stoppt er, wenn rostfarbene Sturzbäche sich quer über die Straße ergießen, gemischt mit Steinschlag.

Dann lichtet sich der Himmel endlich. Zuhause angekommen, strahlt Gilles wie nie zuvor: „Was für ein Abenteuer!“ Ich erinnere mich an die Zeiten, als ich mit meiner roten Valentina rückwärts Einbahnstraßen entlangfuhr, so etwas machst du nur mit einer Ente. Mein Kinofreund auf dem Beifahrersitz muckte auf: „Wir werden alle sterben.“

Stimmt. Aber nicht im Var. Nicht jetzt. Zuerst brauche ich wieder eine Ente und la vie en rose.

Text und Fotos: Elke Weiler

Herzlichen Dank an Atout France und Var Tourisme, die diese Reise ermöglicht haben.

18 thoughts on “La vie en rose

  1. Sehr geil! Das nennt ich mal einen „roadtrip“ :-) Ich bin ja so was von neidisch :-) . Durftest Du den Bananenblätterhut eigentlich behalten????? Ich wär gespannt, was sie mir aufgesetzt hätte! Auf jeden Fall eine super schöne Reise, die sofort Provence-Weh bei mir auslöst!

    1. Danke, Nicole!!! Ne, statt der Banane habe ich ja dann den Hippie-Hut erworben. War wesentlich teurer, aber eine Herzensangelegenheit. :-) Doch die Nathalie hat einen guten Griff für das, was passt.

  2. Wow, das klingt SO schön! Hab direkt Musik im Ohr, wie ihr da mit der alten Ente durch Frankreich braust, herrlich <3

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