Hin und wieder steht diese Frage im Raum: Was bedeutet Slow Travel eigentlich? Gemeinhin herrscht die Auffassung, dass langsames Reisen etwas mit Entschleunigung zu tun habe. Oft aber auch einfach mit reduzierter Geschwindigkeit. Das hieße, Wandern wäre die Urform von Slow Travel, was nicht ganz von der Hand zu weisen ist.
Sicher ist, dass mit Dan Kierans „Slow Travel. Die Kunst des Reisens“ ordentlich Bewegung in die Sache gekommen ist. Demnach spielt sich langsames Reisen außerhalb von Massentourismus und Pauschalreisen ab. Ungefähr dort, wo sich der Reisende der Regie des Zufalls überlässt. Ich werde dieses Buch demnächst endlich mal lesen.
Natürlich lassen schwammig definierte Begriffe einen ordentlichen Deutungsspielraum zu. Doch als Individualreisender den Massentourismus zu verteufeln, ist ein bisschen zu einfach. Der eine sucht die Einsamkeit in der Natur, der andere die Geselligkeit am vollen Sommerstrand. Oder warum nicht beides?
Slow Travel hat keine Charta, ist keine Bewegung und kein Religionsersatz. Vielmehr ist es ein Gefühl. Leicht wie ein Sommerwind. Ein Glücksgefühl. Man kann es suchen, doch meist passiert es durch Zufall. Und, in diesem Fall muss ich Dan Kieran recht geben, man kann sich darauf vorbereiten, indem man seine Reise nicht komplett durchplant. Dem Zufall Raum lässt.
Slow Travel besteht vor allem aus kleinen Momenten, jenen Glücksmomenten, die man nicht planen kann. Sie sind so individuell wie jeder Mensch und können daher am vollen Sommerstrand genauso vorkommen wie in der Einsamkeit eines lappländischen Walds. Für mich sind diese Momente eng verknüpft mit dem Ankommen an einem Ort. Und vielleicht geht es mehr um das Gespür für den Rhythmus als um Langsamkeit.
Denn jeder Ort hat seine Musik.
Als ich zuletzt in Holland war und mit einem Gärtner im gut gefüllten Keukenhof ganz gemütlich auf einer Bank saß, meinte dieser: „Die Leute machen ihre Selfies und posen zwischen den Beeten – sie nehmen ihre Umgebung kaum wahr. Sie ist eine Kulisse für die Fotos.“
Ich legte mich daraufhin in eine auf dem Keukenhof verfügbare Hängematte und dachte nach. Slow Travel als Gegenbewegung zur Ich-war-auch-da-Reise? Oder umgekehrt: Steht das ständige Fotografieren dem wahren Erleben im Weg? Das kommt drauf an: schnöder Selfiestick oder lieber ein Überfall auf den nächstbesten unschuldigen Passanten! Dabei kann es mitunter zu lustigen Szenen mit Einheimischen kommen.
So wollte ich ausnahmsweise einmal an der Promenade von Thessaloniki ein Mary-Poppins-Selfie bei den windschiefen Schirmen, einer Skulptur von Giorgios Zongolopoulos. Natürlich hatte ich gerade kein Stativ dabei, und eine Armlänge hätte nicht ausgereicht. Ich bat also eine in der Nähe stehende Familie um Hilfe, bot meinerseits gerne Revanche an.
Der Mann grinste und zögerte nicht, mich in aktuelle Familiendebatten einzuweihen. Die Frauen wollten nämlich gerne so ein Bild, er hingegen fand sich zu alt. Natürlich war er nicht alt! Und selbst wenn, was hätte es genützt? Wir lachten gemeinsam, machten am Ende sämtliche Fotos, er legte sich sogar fotografenmäßig ins Zeug. Eine kuriose Session mit Unbekannten. Überhaupt habe ich Thessaloniki als eine aufgeschlossene, kommunikative Stadt erlebt.
Nach meiner Auffassung von Slow Travel ist der Kontakt zu den Menschen vor Ort ein wichtiger Faktor, um irgendwo anzukommen, um nicht in seiner eigenen Blase zu leben oder in der gemütlich eingerichteten Komfortzone. Schon bei einer einfachen Frage nach dem Weg können sich lustige Dinge ergeben.
Einmal fuhr ich mit einem Mietwagen kreuz und quer durch Apulien – ohne Navi. Das hat grundsätzlich gut funktioniert, immer den Schildern hinterher. Und eine Karte zur groben Orientierung hatte ich auch. Doch seltsamerweise habe ich mich in einer der kleineren Ortschaften verfranst.
Also fragte ich nach dem Weg. Der Gefragte erklärte detailliert und aufwendig gestikulierend die Strecke. Ich nickte, hatte den ersten, letzten oder mittleren Teil schon wieder vergessen, zumindest aber die Reihenfolge, da meinte er plötzlich: „Warte hier, ich muss in diese Richtung. Fahr einfach hinterher!“
Protestieren sinnlos. Er setzte sich in sein Auto, und ich fand wunderbar hinaus aus dem Labyrinth. Ich gebe zu, dass mir mein Italienisch in diesem Fall weitergeholfen hat. Aber das heißt nicht, dass man in jedem Reiseland gleich die passende Sprache aus dem Ärmel schütteln muss. Englisch oder zur Not eben Hände, Füße, schauspielerische Qualitäten und Charme können ebenfalls Wunder bewirken.
Ähnlich wie bei Dan Kieran, der nicht gerne in Flugzeuge steigt, und sich daher lieber für langsamere Reisearten entscheidet, ist es auch bei mir teilweise eine Sache der Selbsttherapie. Mit Flugzeugen habe ich kein Problem, doch ich bin eher ein schüchterner Mensch. In Flugzeugen kann man übrigens sehr nette Gespräche führen.
Da war zum Beispiel die ältere Japanerin auf dem Flug zwischen Santiago de Chile und Punta Arenas. Das Gespräch über den Wolken verlief nicht so flüssig, weil sie leise und durch einen Mundschutz sprach. Doch schließlich nahm sie ihn ab und verriet mir, dass sie quasi zum Chillen in die Antarktis reiste.
Dabei stellte ich mir unsere sogenannte Expeditionsfahrt zumindest teilweise eher strapaziös vor. Sie stammte aus Okinawa, der sogenannten Insel der Hundertjährigen. Über Entspannung musste ich ihr also nichts erzählen, darin sollte sie Spezialistin sein. Und plötzlich hatte ich Lust, einmal nach Japan zu reisen.
Text und Fotos: Elke Weiler
Demnächst mehr über die Natur von Slow Travel. Von intensiv gelebten Sekunden, Minuten, Stunden, in denen man gerne aber nicht zwangsläufig Andere trifft. Manchmal einfach zur Ruhe kommt, innehält, den Moment lebt. Das kleine Glück.
Ein wunderschöner Artikel! Ich finde auch, dass Slow Travel in seinen vielen Facetten die schönste Form des Reisens ist.
Beim Lesen ist mir gleich eine Begebenheit auf Rhodos in Erinnerung gekommen: wir sind mit dem Auto herumgefahren, haben ein nettes, einsames Strandrestaurant gefunden und sind eingekehrt. Es war Nebensaison und wir die einzigen in der Taverne. Die Besitzerin hat sich dann zu uns gesetzt, und wir haben wirklich unerwartet lange mit ihr über die Finanz- und Sozialpolitik Griechenlands geplaudert. Es war eine wundervolle Begegnung!
Danke, liebe Barbara! Das kann ich mir lebhaft vorstellen, wie ihr in der Taverne zusammen gesessen und geplaudert habt. So schön! :-)
Du sprichst mir aus dem Herzen, Elke. Slow Travel ist für uns das Einlassen auf eine Region und ihre Menschen, das hautnahe Erleben des Lebens vor Ort. Dafür braucht man Zeit und Muße, um dies zu spüren und zu fühlen. Natürlich gehören Momente, wie Du sie beschreibst dazu. Erlebt man solche Episoden, vermitteln sie das Gefühl einzutauchen in eine neue Welt. Ein schöner Beitrag.
Danke, ihr Lieben! Melde mich bald bei euch, komme gerade vom Roadtrip zurück und habe mir schon etwas ausgedacht… ;-)
Ein schöner Artikel, der das Reisen ein wenig vom „in Urlaub fahren zur Erholung“ abgrenzt. Ganz wichtig finde ich die Aussage zum Rhythmus in dem man reist. Dies haben wir auch vor einiger Zeit versucht in einem Artikel über slow travel zu beschreiben.
https://womolix.wordpress.com/2016/02/29/slow-travel-wider-den-to-do-listen-oder-meine-reise-ist-nicht-deine-reise/
Auch wir sind letztlich zu dem Schluss gekommen, dass das Reisen im Sinne von slow travel zum Einen den Aspekt des Entdeckens hat, sowohl von Dingen als auch von Menschen. Zum Anderen bedeutet slow travel nicht möglichst langsam zu reisen, sondern eine Geschwindigkeit zu wählen, die dem eigenen Rhythmus entspricht. Da stimmen wir vollkommen zu. Wir kommen letztlich zu dem Schluss, dass slow travel letztlich besser mit dem Terminus „achtsames Reisen“ übersetzt wäre.
Hallo ihr zwei! Das ist ja interessant, wie ihr es seht! Ich denke, dass Achtsamkeit sowie Nachhaltigkeit mit dem langsamen Reise verknüpft sind. Für mich habe ich langsames Reisen in erster Linie als Ankommen an einem Ort definiert, sich auf ihn einlassen, dem Rhythmus seiner Sprache lauschen und versuchen, ihn zu verstehen. Vielleicht sogar ein Stück davon in mir mitzunehmen. Klingt blöd, aber vielleicht wisst ihr, was ich meine. LG (derzeit aus Schweden), Elke
Hallo Elke! Oh, ja, wir wissen genau was Du meinst. Deine Betrachtung mit dem wirklich ankommen, hatten wir bisher noch gar nicht so im Fokus. Das hat auch was, über dass wir noch mal nachdenken sollten.
Einen gemeinsamen Nenner finden wir vielleicht in folgendem Bild: „Reisen mit den Augen eines kleinen neugierigen Kindes“.
Ein gutes Ankommen in Schweden.
WoMolix
Tack så mycket, danke euch! Ja, das Bild passt gut! :-) LG, Elke