Gleich am ersten Abend suche ich ihn, den griechischen „kósmos“. Am Wasser, in den gepflasterten Straßen von Ladadika, in den Tavernen. So kann die Banalität von Hotelzimmern bisweilen hilfreich sein, und es zieht dich hinaus, das Leben.
Ursprünglich wolltest du dich dem Obst widmen, das der hochgewachsene Kellner gleich nach deiner Ankunft hineingetragen hat. Ein bisschen entspannen nach der langen Reise. Die Sonne ist längst untergegangen, und ich mag Entdeckungen am liebsten bei Tageslicht, ein uralter Instinkt.
Doch in Thessaloniki funktioniert das nicht. Ich folge dem Ruf des „kósmos“, frage die Rezeptionistin nach dem Weg. „Nur fünf Minuten!“, meint sie. Ladadika wäre Fußgängerzone und quasi um die Ecke. Etwa eine Viertelstunde später stehe ich am Wasser, die Fußgängerzone habe ich verpasst.
Ich mag die Lichter mediterraner Nächte, sie sind warm und gefällig wie die Farben eines Monets am Atlantik, eines Gauguin in der Südsee. Vertraute Bilder. Im Schein der Laternen sitzen sie am Kai, die Beine baumeln, den Blick auf den Thermäischen Golf gerichtet. Junge Leute, Ältere. Allein, zu zweit, in Grüppchen, schweigend oder ins Gespräch vertieft.
In der Taverne
Die Nacht ist eine Wucht, die Straßen und Lokale voller Menschen. Ich denke nicht an die Krise, ich sehe sie nicht, doch sie wird mich noch früh genug finden, das heimtückische Biest. Und das vielleicht sogar in ihrer angenehmen Form, denn Krisen schüren die Kreativität, Krisen machen erfinderisch.
Derweil finde ich ein Lokal, eine echte Taverne mit gutem Hauswein, exzellenten Meze und Kellnern, die mich mütterlich umsorgen. Die mir ein Dessert spendieren, köstlichen Kuchen. Wie könnte ich Nein sagen, auch wenn kaum mehr was geht. Vermutlich habe ich zu viele Sardinen gegessen im „Negroponte“, aber das ist erst der Anfang.
Denn Griechenland gibt mir in Thessaloniki die volle kulinarische Breitseite. Allein für die Bougatsa am Meer hat sich die Reise gelohnt. Mit einem Lächeln trete ich an diesem ersten Abend den Rückweg ins Hotel an. Die Straßen sind immer noch belebt, ich mache mir keine Sorgen, auch nicht wegen des Biests.
Die fünf Hunde an der lauten Egnatia schlafen, was sie quasi den ganzen Tag lang tun, wenn es heiß ist. Erst gegen Abend werden sie munter. Meine Septembertage in Thessaloniki fühlen sich wie Hochsommer an. Trotz des Verkehrslärms, trotz der Wärme schlafe ich wie ein Stein. Trete am nächsten Morgen auf meinen Balkon in der siebten Etage und blicke durch die Straßenflucht aufs blaue Meer.
Das Mittelmeer, das die Türken „Weißes Meer“ nennen“. Der Orient ist nah an Thessaloniki, fast immer schon gehörte er dazu. Wenn mich etwas an dieser Hafenstadt fasziniert, dann sind es die Menschen, ihre Warmherzigkeit, ihr Witz und ihre kosmopolitische Geschichte.
Thessaloniki, der Melting Pot
In 2000 Jahren haben Römer, Byzantiner, Venezianer und Osmanen ihre Spuren hinterlassen, Architekturen, urbane Strukturen, ganze Stadtteile. Griechen, Türken, Armenier und Juden lebten mit- und nebeneinander, Thessaloniki galt lange Zeit als die größte sephardische Stadt Europas. An der Promenade gibt es ein Denkmal für die nach Ausschwitz deportierten Menschen. Es wirkt so winzig im Hinblick auf den Mord an 50.000, nichts wäre groß genug.
Zusammen mit Vana, die schon lange hier lebt, spaziere ich durch die Stadt. Im Hellen sieht alles ganz anders aus, auch Ladadika. Die ehemaligen Lager- und Verkaufsräume für Olivenöl und Gewürze sind geschlossen. Es liegt der Geruch der Nacht in den schmalen Straßen, als habe das Ausgehviertel einen Kater. Nur vereinzelt hat ein Café geöffnet, und Vana macht etwas typisch Griechisches: Sie holt sich einen Kaffee „on the rocks“.
Wir flanieren durch den Hafenteil, der den Flaneuren und Nachtschwärmern gehört. Dock A, das mich schon am Abend fasziniert hat. Und von hier aus ziehen wir die Promenade entlang bis zum Platz des Aristoteles. Der Philosoph sitzt in nachdenklicher Pose da, ab und an kommt Besuch in Form einer Taube oder eines Touristen.
Ich werde Aristoteles schon am nächsten Morgen wiedertreffen, denn eines der besten Cafés, das „Plaisir“, ist am Platz zu finden. Mit einer Patisserie-Abteilung, die schon beim Anblick einen Zuckerschock herbeiführt. So beginne ich meinen zweiten Morgen in Thessaloniki mit einem Cappuccino und dem Geschmack des Orients.
Gefährliche Kleinigkeiten
Will heißen: ein Trigonaki (Vanilleeiercreme im sirupgetränkten Hörnchen) und ein Kadaifaki (Teigfäden mit Zimt und Nelke gewürzt, Nussfüllung, Sirup). Nur die Aki-Endung rettet mich, denn es handelt sich um die jeweils kleinere Variante der Gebäckarten, die dank der Zutaten so sättigend wirken, dass ich erst zur griechischen Lunchtime um 15 Uhr wieder Appetit verspüre.
Vana hatte mich für eine der Spezialitäten Thessalonikis sensibilisiert, das Trigono. „In guten Bäckereien wird das Hörnchen frisch mit Puddingcreme gefüllt, wenn du es kaufst.“ Und so ist es auch im „Plaisir“. Laufen hilft. Der Mittelachse des Platzes folgend kommt man automatisch zur Agora. Hier haben sich die Römer verewigt, es ist das alte Forum der Stadt, der Marktplatz.
„Wir sagen heute noch: ‚Ich gehe zur Agora‘, wenn wir zum Einkaufen ins Stadtzentrum laufen“, meint Vana. Es ist alles in der Nähe des Forums: die Dimitri-Kirche, der Modiano- und der Kapani-Markt, eine ehemalige Moschee, die heute Kulturhaus ist, und ein Hamam, der heute Bar ist, das „Aigli“.
Sogar eine Kinoleinwand existiert noch im Hof des Hamam, und Vana erinnert sich an alte Zeiten, als der Hamam ein Sommerkino war. Auch im Kapani-Markt vermisst sie etwas, das Café im ersten Stock, das dem heimtückischen Biest zum Opfer gefallen ist. Aber frischen Fisch gibt es genug, und Vana kauft Sardinen, die sie ihrem Mann in die Hand drückt. „Wir grillen heute Abend.“
Ein weiteres Ausgehviertel, das Valaoritou, liegt auf halber Strecke zwischen Ladadika und der Agora. Ähnlich wie das alte Olivenölviertel hat sich auch Valaoritou zum Hotspot für Nightlife umgewandelt. Zahlreiche Tavernen, Restaurants und Bars bevölkern den einstigen Ort der Strumpfhosen-Verkäufer.
Heute noch gibt es traditionelle Geschäfte für Kleidung und Stoffe, auch wenn krisenbedingt einige Firmen schließen mussten oder abgewandert sind. Da zeigt sich das Biest also wieder. Die Krise. „Jeder von uns kennt einen jungen Menschen, der ins Ausland gegangen ist“, erzählt Vana nun. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in Griechenland bei fast 50 Prozent.
In der Nähe der Agora verabschiedet Vana sich und überlässt mich Spiros und seinen Freunden. Man möchte mir zeigen, wie die Krise manche beflügelt. Wir trinken Kaffee…
Text und Fotos: Elke Weiler
Mit Dank an Discover Greece und Aegean Airlines, die meine Reise nach Thessaloniki unterstützt haben.
Wie geht es weiter in Thessaloniki? Junge Leute organisieren sich gemeinsam und kreativ durch die Krise.
Viel Spaß beim Schlemmen!
Oh ja, den hatte ich!!!
das habe ich auch die letzten tage vergeblich versucht…das funktioniert tatsächlich nicht! ;-)
Bist du noch dort? Viel Spaß!!!
Superschöne Thessaloniki-Geschichte
Lieben Dank!!!!