An jenem Samstagabend, als wir ankommen, herrscht starker Verkehr in der Großstadt Yangon. Zwischen die Wagenkolonnen schieben sich vereinzelte Radfahrer im Longyi (sprich: ‚londji‘ wie in Dschungel), dem traditionellen Wickelrock der Burmesen. Keine Motorräder, keine Tuk-Tuks.
Suchend schweift der Blick über Straßen voller SUVs vor teilweise so schönen wie bröckelnden Hausfassaden. Ich bin zum ersten Mal in Myanmar, doch es fühlt sich nicht so fremd an. Stränge von Stromkabeln verbinden die Straßenzüge, zumindest das ist wie in Thailand. Glitzernde Shoppingmalls, die überall auf der Welt stehen könnten, wo man blinkende Lichter liebt.
Im Schein der rosa leuchtenden Laternen passieren wir den Inya-See inmitten der 6-Millionen-Metropole. Spaziergänger am Ufer, die den Samstagabend einläuten. Palmen in der Dunkelheit. Friedensnobelpreisträgern Aung San Suu Kyi, die verehrte 72-jährige Landeschefin, wohnt am Inya-See und hat hier 15 Jahre ihres Lebens unter Hausarrest gestanden.
Seitdem ist viel Wasser den Ayeyarwaddy hinab geflossen. Hell erleuchtete, eckige Bürobauten, neue Hotels, Restaurants und Geldautomaten sind wie Pilze aus dem Boden geschossen. Yangon will anderen südostasiatischen Städten seit der Öffnung in nichts nachstehen. Nur an den Kolonialhäusern nagt der Zahn der Zeit.
Die Luft wirkt milchig im Abendlicht, hängt voller Motoren- und Hupgeräusche. Leuchtreklamen blenden das vom Schlafmangel lichtempfindliche Auge. Alles wirkt so real. Die Palmen, der Bus, das künstliche Licht. Manchmal fühle ich mich wie in einem Film, wenn ich nach einer langen Reise ankomme. Jetzt nicht.
„Min ga la ba“ werden wir von nun an zum Gruß sagen, egal zu welcher Tageszeit. Die ersten Worte Burmesisch lernen wir von Su, die uns während der Reise durchs Land begleiten wird. „Burmesisch ist nicht verwandt mit den Sprachen der Nachbarländer“, sagt sie. Doch gehört es zur sino-tibetischen Sprachfamilie und sieht wie eine kringelige Zeichenschrift aus. Da nimmt sich ein „Dha“ wie ein Peacezeichen ohne Mittelstrich aus, ein „Ja“ hat Ähnlichkeit mit einem Ringelschwänzchen.
Etwa 70 Prozent der Einwohner von Myanmar sind Burmesen, die restlichen 30 Prozent verteilen sich auf 143 Ethnien, darunter Shan (Su spricht es wie „Chen“ aus), Kajin, Kachin, Mon, Kayah und viele andere, die ihre eigenen Sprachen sprechen. Der Shan State liegt im Osten von Myanmar, dorthin werden wir schon morgen reisen. Die Sprache der Shan sei mit Thailändisch verwandt, so Su.
Der erste Buddha im Glashaus, die erste Pagode, das erste Gold. Alles leuchtet.
Auch der Buddhismus eint sie nicht, die Völker Myanmars. Doch immerhin sind fast 90 Prozent Buddhisten, der Rest Christen, Muslime und Hindus. Was sie eint, sei die Religiösität, meint Su. Burmesen glauben an außerdem an Geister, die Nats, die es zu besänftigen gilt, damit kein Unheil geschieht. Der Animismus ist eben älter und ebenso präsent in den Tempeln wie auch die hier sitzenden Astrologen, die vor wichtigen Entscheidungen konsultiert werden.
Selten habe ich mich so intensiv auf eine Reise vorbereitet. Habe Bücher verschlungen wie die „Gebrauchsanweisung für Myanmar“ von Martin Schacht und „Reportage Burma/Myanmar“ der Korrespondenten Christoph Hein und Udo Schmidt. Blogartikel wie „Brackwasser, Pagoden und Gastfreundlichkeit“ über eine Bootsfahrt mit Einheimischen über den Ayeyarwaddy von Marco Buch sind so nah dran, wie es eben nur Berichte von Alleinreisenden sein können. Schließlich habe ich mich von den atmosphärischen Fotos der Kollegin Janine bei „Date with places“ auf Instagram einstimmen lassen.
Und nun erscheint mir alles weniger exotisch als erwartet. Doch noch sind wir in der Großstadt. Morgen wird alles anders.
Mit diesen Gedanken schalte ich das Licht unter dem Papierschirm aus und falle wie in Stein ins Hotelbett. Ich weiß nicht genau, wann es war, dass ich dieses seltsame, haarsträubende Geräusch zu ersten Mal gehört habe. Wie eine Stimme an einem See. Ein undefinierbarer, unnachahmlicher Klang. Eine Art schräges Rufen. Ein Klagelaut? Von einem Menschen oder Tier? Das Geräusch aus einem Zoo? Und warum habe ich dabei einen See vor Augen?
Einsam schallt der Ruf in die Nacht. Wie ein Traum. Ein Geist, der mich rief.
Text und Fotos: Elke Weiler
Dies ist nur eine Einleitung, die Ouvertüre meiner Berichterstattung über Myanmar. In den nächsten Artikeln führe ich euch nach Pindaya (wo ich das Titelbild gemacht habe), an den Inle-See (ohne Geister, jedenfalls keine hörbaren), zu den Pagoden von Bagan, auf die Insel Kyun Thiri und nach Yangon bei Tageslicht zu einer regelrechten Selfie-Orgie.
Ich weiß nicht, ob du „Dämmerung über Burma“ gelesen hast. Es geht um eine Österreicherin, die den Prinzen des Bergstaates Hsipaw heiratete. Es ist eine wahre Geschichte.. Ich freue mich auf weitere Berichte!
Liebe Gudrun, die Shan-Prinzessin? Das Buch habe ich in Myanmar erstanden und es wartet auf meinem Nachtisch! Aber zur Zeit bin ich noch mit der Reisegruppe von Amy Tan beschäftigt. :-) Zu dem Buchkauf gibt es quasi eine eigene Story. :-D Danke dir, bis bald!
Ja, die Shan-Prinzessin! Aber Amy Tan liest sich auch gut…
Ja, sie hat gut recherchiert. Doch manchmal merkt man, dass sie noch nie in Myanmar war, als sie das Buch geschrieben hat. Außerdem blicke ich durch die sämtlichen Charaktere der Reisegruppe immer noch nicht durch, und irgendwie sind alle unsympathisch. ;-) Vielleicht gehe ich auch direkt zur Shan-Prinzessin über…