Es gibt Tage, da wirkt die Stadt grau. Das sind diese Tage, da siehst du nur Stein und spürst den Beton unter den Füßen. Selbst die Luft erscheint dir grau. Doch dann hörst du die Geschichten. Und das Wasser. Überall das Wasser. Und dir fällt wieder ein: Hamburg soll mehr Brücken als Venedig besitzen.
Wir treffen uns am Dammtor, laufen in Richtung Universität und holen die Räder ab. Steffen verstellt noch ein paar Sättel, jeder probiert seinen Drahtesel aus, dann geht es los mit unserer Tour durch Hamburg. Ich hatte ja Bedenken, ehrlich gesagt. Hamburg gehört doch den Autofahrern und die meisten Brücken ebenso.
Doch unser Rad-Guide bewegt sich wie ein Gepard durch den Großstadtdschungel: flexibel, leise, unauffällig. Hätte er nicht das Grüppchen im Schlepptau, immer darauf bedacht, es ihm nachzutun. Wir sind zu fünft, außer mir noch zwei junge Leute vom Chiemsee und ein Paar aus Daun in der Eifel.
So husche ich gerade noch hinter den Anderen her, weg von der Straße, wo ein Motorradfahrer mich beschimpft. Keine Ahnung, was ihm aufgestoßen ist. Dabei wird Steffen nicht müde zu betonen, wie „liberal“ Hamburg sei. Er liebt seine Stadt eben. Und singt einen Song von Jan Delay an.
Hamburg als Fahrradstadt?
Wir strampeln. Und sehen: Hamburg ist nicht Kopenhagen. Zwar hat das rot-grüne Bündnis 2015 beschlossen, Hamburg zur Fahrradstadt upzugraden. Im „Fahrradklima Test 2016“ bescheinigt der ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) den Hamburgern nur eine 4,2 im Gesamtergebnis. Zwar wären viele Einbahnstraßen für Radfahrer geöffnet worden, und das Stadtzentrum sei gut mit dem Rad erreichbar, doch wären die Radwege oft zu schmal.
Demnach muss Hamburg erst mal anders funktionieren, und zwar auf der Basis gegenseitigen Respekts. Wirklich? Steffen manövriert uns sicher über Straßen, Bürgersteige und durch Fußgängerzonen. Der Rad-Guide weiß, was geht und was nicht. Sogar auf Radwegen fahren wir hin und wieder. Und als übersichtliches Grüppchen können wir an interessanten Punkten anhalten, ohne zu stören.
Etwa auf dem Platz der ehemaligen Synagoge am Bornplatz im Grindelviertel, an die nur noch ein Bodenmosaik erinnert. Dann vor dem „Abaton“, einem der ältesten Programmkinos im ganzen Land. Oder vor dem Restaurant des Rappers Samy Deluxe auf der Marktstraße. Hier sind wir mitten im schönen Karoviertel, das auch Steffen uns wärmstens ans Herz legt.
Farbkleckse an den Wänden eines neueren Gebäudes. Unmut der Bewohner über steigende Mietpreise, über die Folgen der Gentrifizierung. Und über hässliche Neubauten, meint Steffen. Ringsherum nämlich hübsche Altbauten. Einsame Sonnenblumen auf Balkonen. Anwandlungen von Urban Gardening auf Parkinseln. Blätter auf dem Asphalt. Der Geruch von Herbst.
Radfahren hilft
Und ich denke, der Herbstblues kommt eben früher in die Stadt. Radfahren hilft. Und immerhin scheint Tempo 30 in den Wohnvierteln beliebter zu werden. Die Sache mit dem gegenseitigen Respekt und der Rücksichtnahme funktioniert hier über weite Strecken. So gurken wir gemütlich vom Schanzenviertel über St. Pauli zu den Landungsbrücken, zur Elphi, durch Speicherstadt und Hafencity, zum Chile-Hau, die Binnen- und Außenalster entlang.
Erst in Rotherbaum verändert sich das Klima ein bisschen. Zugig wird es. Der Radweg, eigentlich hübsch am Wasser entlang führend, aber unglaublich schmal und stark frequentiert. Businessleute strampeln sich den Stress aus dem Körper, rufen uns nicht gerade freundlich zur Seite, überholen mit Schmackes und behindern den Gegenverkehr. Es wird laut.
Wir biegen von der Rennstrecke in die Milchstraße ein, hier geht es wieder gemächlich zu. Tiefstes Pöseldorf. Die Alsterpaläste, stilistisch streng bis burgenartig, sehen wir nur noch von hinten, als wir bei der Hochschule für Musik und Theater anhalten. Die Konzerte, die hier von angehenden Künstlern gratis oder zu kleinen Eintrittspreisen gegeben werden, seien doch ein guter Tipp für Klassikfans, so Steffen.
Wir radeln bergauf, biegen ab und düsen unter Baumreihen weiter. „Hamburgs Notting Hill“, nennt Steffen die Heimhuder Straße. Helle Gründerzeitbauten mit Erkern zur Rechten und Linken. Gepflegte Vorgärten. Heimhuder Heimeligkeit. Nur die Farbigkeit, die fehlt im Vergleich. Ein Auto hupt uns zurecht. Rotherbaum ist eben anders als die Schanze.
Altona, einst dänisch
Heute zählt die Sternschanze zum Bezirk Altona, das ansonsten größtenteils aus dem Gebiet der ehemaligen Stadt Altona besteht. Diese war im 18. Jahrhundert übrigens die zweitgrößte Stadt Dänemarks nach Kopenhagen. Laut der Studie „Mobilität in Deutschland“ von 2008 beansprucht der Bezirk Altona mit 17 Prozent den höchsten Radfahreranteil von Hamburg. Passt!
Im Großen und Ganzen habe ich mir eine Radtour quer durch Hamburg weniger gemütlich vorgestellt. „Wir sind etwa 15 Kilometer gefahren“, schätzt Steffen. Vor 18 Uhr stehe ich wieder am Dammtorbahnhof. Der Himmel hat sich zugezogen. Doch da sind die Geschichten und Lieder der Stadt. Hamburg liegt nicht am Meer, doch an den Wassern von Elbe, Alster und Bille.
Beim nächsten Mal versuche ich mich vielleicht auf einem Kanu, SUP-Board oder noch einmal auf dem Rad in Hamburg. Letzteres dann quer über die Elbinsel Wilhelmsburg, die größte Binneninsel Deutschlands. Und der vielleicht interessanteste Stadtteil Hamburgs.
Text und Fotos: Elke Weiler
Hallo Elke,
Oh, das hört sich jetzt aber gemischt an. Würdest Du die Rad-Tour denn empfehlen – oder lieber nicht ?
Ich bin in Berlin mit dem Rad unterwegs gewesen, das ging aber eigentlich ganz gut.
Herzliche Grüsse aus Nord-Peru,
Martina
Hallo Martina, danke dir! In Berlin habe ich es gar nicht genossen, Rad zu fahren, in Hamburg schon. Was bestimmt auch an Steffen lag, der einfach wusste, wie man verkehrsreiche Straßen umgeht. Anfangs war ich skeptisch, eben weil ich Kopenhagen und Malmö kenne, dort fährt es sich super! Aber am Ende war ich dann echt überrascht, dass Hamburg auf einem guten Weg ist! Liebe Grüße, Elke
Oh, wirklich ? Ich fand es toll, alle waren so diszipliniert, die Autos haben gehalten, ich fand’s super !
Ist aber auch schon eine Weile her, war im Sommer 2013…
Bei mir war es 2014. :-) Aber wie gesagt, es kommt auf den Vergleich an. Kopenhagen ist federführend, was den Radverkehr angeht. Dort gibt es inzwischen mehr Rad- als Autobeteiligung. Das Level wird Berlin vermutlich in 20 Jahren nicht erreichen. :-D