Sardinen mit Aussicht

Lissabon und die andere Seite des Tejo

Es ist immer der zweite Tag, an dem ich richtig ankomme. Am ersten bin ich noch unterwegs, denn Fliegen ist zu schnell für mich. So etwas wie Jetlag in der Birne.

In Lissabon ist das nicht so. Ich komme in dem Moment an, als wir die kleine Taverne kennenlernen. Als wir vom Regen durchnässt in der Kathedrale Sé Unterschlupf finden und an der Tramhaltestelle mit einem Ex-Broker reden.

Am zweiten Tag linst die Sonne zwischen den Wolken hervor. Die immer noch klamme Jacke kann ich zu Hause lassen, in unserem Apartment. Wir wohnen im Erdgeschoss eines niedrigen Hauses aus dem 19. Jahrhundert. In einer intimen Travessa, einer Gasse mit Ecken und Winkeln, mit Graffiti, Blumentöpfen und kleinen Höfen.

Unsere Lissabonner Wohnung hat einen Patio nach hinten hinaus, den wir wegen des Wetters noch nicht genutzt haben. Wie schön muss es sein, im Sommer dort draußen zu sitzen und diese Ruhe zu genießen. Mitten in Lissabon, im Bairro Alto, wo es intensiv nach Zitronen und Orangen duftet – die Bäume hängen prallvoll.

Den Dichter betätscheln

Jetzt wollen wir frühstücken, und das am liebsten in einem Café. Wir laufen die Calçada do Combo hinab, immer weiter, bis wir in der Rua Garrett landen. In Erinnerung an unseren ersten gemeinsamen Kaffee setze ich mich kurz zu meinem Bekannten Pessoa, der immer noch im Café A Brasileira verweilt.

Immer noch wird der Dichter von allem betätschelt. Immer noch wollen alle ein Foto mit ihm. Auch ich. Doch dann locken uns die Pasteis de Nata ins nahe Café Bernard, ein Traditionsladen wie das A Brasileira.

So ist es mit den Dichtern.

Wir sitzen draußen auf der Rua Garrett, helle, gestärkte Decken auf den Tischen. Schade, dass der Gitarrenspieler den Verstärker mitgebracht hat, sonst wäre nur das Gesprächsgemurmel und das Klappern des Geschirrs zu hören.

Über den Fluss

Dois galãos, dois pasteis, por favor! Frischer Orangensaft plus belegte Blätterteigbrötchen. Am Galão, dem portugiesischen Milchkaffee, scheiden sich bekanntlich die Geister, manchmal schmeckt er einfach wässerig. Doch im Benard ist er wunderbar.

Wir wollen mit der Fähre auf die andere Seite des Tejo fahren, ein Tipp von Travelita, und fragen kurzerhand den netten Kellner. Der schickt uns runter zum Fluss, nach Cais do Sodré. Dann sagt er was von Casillas. Der spanische Torhüter? Wohnt er dort? Wir gehen der Sache auf den Grund…

Nicht die Spur von einem Torhüter.

Cacilhas. Dort bringt uns die Fähre hin. 2,90 Euro kostet das Rückfahrtticket. Allein für die Fahrt über den Tejo lohnt es sich. Wir haben sogar das Glück, dass eine alte Karavelle unseren Weg kreuzt. Vor dem Panorama der Stadt, die sich in bunten Pastelltönen über dem Fluss in die Höhe stapelt…

Almada Velha

Die Fahrt dauert nur zu kurz, es sind keine vier Kilometer bis Cacilhas. Dort angekommen entdecken wir ein U-Boot auf dem Trockenen und eine Fregatte aus dem 19. Jahrhundert, die letzte vom „India Run“. Damals, als die Portugiesen über die Meere auf der Indien-Route unterwegs waren.

Wir folgen den Schildern „Almada Velha“, die Altstadt von Almada. Es ist kein Viertel von Lissabon, sondern eine eigenständige Stadt am Südufer des Tejo, wo einst die Mauren eine Festung errichteten: Hisn al-Madin.

Hinauf in die Altstadt

Almada wuchs, später war es beliebt bei gut betuchten Lisboetas, auch Schriftsteller lebten hier. Im Zuge der Industrialisierung verlegte sich Almada auf Kork und Mahlgut, später kamen die Werften hinzu. Heute leben über 170.000 Menschen in Almada. Darunter auch viele Migranten, die in Lissabon arbeiten und auf der Fähre mit uns zusammen übergesetzt haben.

Blick auf die Ponte 25 de Abril

Unten am Hafen, weg vom alten Werftgelände, erinnert mich Almada ein bisschen an Cascais. Die Restaurants locken mit Fisch, die Kellner stehen draußen und grüßen die Neuankömmlinge, die nach Touristen aussehen. Der Gruß als Aufforderung.

Nach Almada Velha geht es weiter hoch, wir folgen den Schildern. In der Altstadt angekommen hören wir zum ersten Mal dieses seltsame Geräusch, wie von einer gigantischen Klimaanlage. Wo kommt es her?

Boca do Vento

Wir schlendern durch die Gassen, landen an der Boca do Vento, die ihrem Namen alle Ehre macht: Es zieht kräftig. Ein alter Mann sitzt in der Cervejaria, ganz allein, und löst Kreuzworträtsel. Der Ausblick ist umwerfend: die Ponte 25 de Abril, der Tejo, Lissabon.

Der Geruch von Meer

Nun merken wir auch, dass das ständige Rauschen von der Brücke kommt, fast haben wir uns daran gewöhnt. Und es gibt einen anderen Weg, unten am Ufer des Tejo entlang. Der Aufzug ist außer Funktion, wir nehmen die Treppen. Es riecht nach Meer. Wieviel Atlantik ist im Tejo – so nah am Delta?

Der verlassene Teil Almadas

Und wem gehören die sonnengelben Stühle am Kai in dieser scheinbar verlassenen Ufergegend? Alte Lagerhäuser, Graffiti-besprüht, säumen unseren Weg. Eine Katze streift an der Mauer entlang, ein junger Typ geht mit seinem Hund spazieren.

„Ponto Final“ heißt das Restaurant. Niemand sitzt draußen in der Sonne, aber wir „Norddeutschen“, also ein Grieche und eine Rheinländerin, wir müssen es tun. Egal, wie schnell der Fisch abkühlt. Es ist zu verführerisch.

Kulinarischer Stopp

Oliven, Brot, Vinho Verde, gegrillte Sardinen, Meerbrasse und Salat. Muito gostoso! Doch dann fallen ein paar Regentropfen, just in dem Moment, als wir fertig sind, und schlagartig wird es frisch. Ich unterhalte mich noch ein bisschen mit der älteren Dona, die uns aufgetischt hat.

Unser Platz am Fluss

Sie gibt mir eine Karte, damit ich fürs nächste Mal reservieren kann. Denn bei wärmerem Wetter quillt das Restaurant am Tejo über, zumindest tagsüber.

Wirf dich in den Fluss!

Abends würden sich viele nicht auf die Rua do Ginjal trauen, denn es gäbe keine Beleuchtung. Dabei würde hier nichts passieren, meint sie jedenfalls. Warum denn niemand in diesen Häuser am Fluss wohnen wolle, möchte ich wissen.

Sie zuckt die Schultern. Seit 20 Jahren seien sie schon dort, im Restaurant am Tejo. Fast als einzige. Ein paar Schritte weiter finden wir noch einen lässigen Laden am Ufer: „Atira-te ao Rio“. Klingt für mich wie Tiramisù, zieh‘ mich hoch. Aber es heißt wohl: Wirf‘ dich in den Fluss!

Tu es nicht!

Das gefällt mir. Der Strand ist ja auch direkt davor, aber die Senhora vom „Ponto Final“ kann das Baden im Fluss nicht gerade empfehlen. Wir laufen weiter, begeistert vom Charme des Verfallenen. Wie schön muss es sein, am Ufer zu wohnen!

Wir haben den Eindruck, das einige der Häuser besetzt sind, es gibt Anzeichen von Leben. Andere sehen so aus, als würden sie im nächsten Moment zusammenkrachen. Näher an Cacilhas stehen Fischer auf verrotteten Pontons und versuchen ihr Glück.

Lissabon ruft uns zurück, und es wäre schön, würde es täglich so rufen, von der anderen Seite des Tejo.

Text und Fotos: Elke Weiler

Unsere portugiesische Reise geht weiter. Mit einem Ausflug nach Sintra. Wir fahren Tuk-Tuk…

13 thoughts on “Sardinen mit Aussicht

    1. Danke, Claudi!

      In Sintra hatten wir nicht nur eine coole Ape, von der man nicht wusste, wie sie die Steigung meistert, sondern auch einen sehr coolen Fahrer… :-D

      LG, Elke

  1. Hallo Elke,
    bin durch Zufall hier auf deinem Blog gelandet – und kann Dir nur zustimmen: auch wir haben diese reizvolle andere Seite entdeckt und waren begeistert… Und die gelben Stühle standen auch im März 2015 noch draußen.
    Frage: wo genau war Euer Apartment und wie habt Ihr es gebucht??
    LG, Gabi

  2. … und beim nächsten Besuch „auf der anderen Seite“ könntet ihr noch zum Christo Rei hoch laufen (oder den Bus nehmen, der fährt vom Fähranleger ab und hält fast direkt vor der Statue). Der Blick von dort oben ist einfach atemberaubend.
    Und ich hab jetzt schon wieder Sehnsucht nach meiner Herzensheimat *seufz*

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