Allein unter Kühen

„Nimm‘ mich mit, Kapitän, auf die Reise“, singen die Gäste in Inke’s Café lauthals mit. Ein Schifferklavier gibt den Ton an, doch es kommt nur vom Band. 17.15 Uhr. Man feiert mit alten Seemannsliedern über Heimweh und die weite Welt den Geburtstag einer Großmutter. Wunderkerzen.

In einer Viertelstunde wird Inke das einzige Café ohne Hotelanschluss auf Langeneß schließen, zumindest für die Öffentlichkeit, dann ist man unter sich. Draußen neigt sich der Feuerball dem Horizont zu, und die Luft wird allmählich kühler. Die Wege über die größte und längste Hallig sind schmal, so dass gerade mal ein Auto Platz findet.

Aber viele gibt es davon sowieso nicht. Wir radeln dem Sonnenuntergang entgegen, Richtung Leuchtturm, dann rechts auf die Mayenswarf. Den aufgeschütteten Erdhügeln, die bei Überflutung Mann und Maus vorm Wasser schützen sollen, fehlt auf Langeneß das „t“ am Ende.

Im Anker's Hörn
Im Anker’s Hörn

Im linken Eck der Warf liegt das einzige 4-Sterne-Hotel der Halligwelt, das „Anker’s Hörn“. Identifizierbar am verrosteten Anker, der Symbol und Namensgeber ist, draußen vor der Tür. Wir gehen hinein, eingecheckt haben wir schon vor unserer Radtour.

Die Zimmer sind nicht einfach durchnumeriert, sondern tragen lokal inspirierte Namen wie „Grote Sand“. Den sehe ich zwar nicht, wenn ich aus dem Fenster schaue oder auf die Terrasse trete, dafür aber Weite, Watt und sattgrüne Wiesen rundherum.

Schafe grasen friedlich, und man hört nichts als den Wind, der über die Landschaft fegt. Amrum und Föhr sind in Sichtweite, aber vor allem: So nah wohnen wir selten am Meer! Zumindest an der Nordsee ist das auch schwierig, denn meist ist ein Deich zwischen Küste und Land.

Halligbewohner
Halligbewohner

So ein Ort muss ein Glücksfall für jeden Hotelbesitzer sein. Wenn nicht gerade der „Blanke Hans“ vor der Tür steht, die Hallig unter Wasser setzt und die Warfen zu Inselfleckchen macht. Ein Hauch von Melancholie und Einsamkeit weht mit im Nordseewind, denn hier spürt der Mensch die Kraft der Natur und die Abhängigkeit von ihr.

Was wir auch merken, ist eine gewisse Lässigkeit der Zeit gegenüber, gepaart mit jenem Hauch von Fatalismus, der in dem häufig gehörten Nordfriesen-Spruch steckt: „Dann ist es eben so.“ Das Wetter ändert sich im Stundentakt, und der nächste Sturm kommt bestimmt.

Unter den Halliggästen lassen sich drei Grundtypen herauskristallisieren: Es gibt die Aktiven, die jede freie Minute an der frischen Luft verbringen, egal welches Wetter. Dieser Typus ist natürlich mit Gummistiefeln und Regensachen ausgestattet. Dann die Leser: Sie dauerbesetzen sämtliche Strandkörbe, liegen oder sitzen auf den Gartenstühlen vor ihrem Zimmer oder bei schlechtem Wetter eben dort drin. Oder im Café.

Weg am Meer
Weg am Meer

In die dritte Kategorie fallen die Genießer: Sie ziehen die hochgradig gesunde Meeresluft hörbar tief ein, erfreuen sich ebenso laut und nicht selten am Ausblick und am kulinarischen Angebot.

Auch das stimmt im „Anker’s Hörn“: Angefangen beim Nachmittagskuchen, zum Beispiel der fantastischen Friesentorte, und endend beim abendlichen Dessert in Form von roter Grütze. Am besten mit einer gebratenen Kutterscholle dazwischen!

Wie auf den Halligen üblich, lassen sich auch die Mietfahrräder auf Langeneß nicht abschließen, zudem sehen sie alle gleich aus. Das ist dann wohl auch der Grund dafür, dass mein Rad am zweiten Tag nicht mehr auf seinem Parkplatz steht. Irgendein Gast muss sich schwer vertan haben!

Der Augenblick
Der Augenblick

Dem Kioskbesitzer und Rad-Vermieter tut es zwar für uns leid, aber um sein Rad macht er sich keine Sorgen. „Das taucht schon irgendwann wieder auf!“, meint er zu uns. Und der einsetzende Regen spricht eh gegen eine neue Inseltour.

Auch der Wind kann einem auf Langeneß ganz schön zu schaffen machen. Da braucht es für den Rückweg schon mal die doppelte Zeit. Oder nun die dreifache, da wir zu Fuß weiter gehen, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Wir sind die einzigen Menschen auf der Hallig, die einzigen Sichtbaren.

Allein unter Kühen und Schafen. Was bedeutet schon Zeit? Hier, mitten im Watt.

Zeit ist  relativ.
Zeit ist relativ.

Text und Fotos: Elke Weiler

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