Am großen Fluss

Als wir das Ufer erreichen, sieht es so aus, als herrsche Ebbe am Ayeyarwaddy. Kein Wunder, denn wir besuchen Myanmar im Januar, also während der Trockenzeit. Wenn zwischen Mai und Oktober der Regen kommt, schwillt der Ayeyarwaddy an und überschwemmt die Sandbänke. Seine Quellflüsse entspringen im Himalaya, er durchzieht das Land wie eine Lebensader von Norden nach Süden, um schließlich in die Andamanensee zu münden.

Wir steigen bei Bagan in eines der bunten Ausflugsboote, die direkt an der Sandbank liegen. Die Sonne brennt heiß, und ich bin froh über das grüne Sonnendach, das die Bänke überspannt. Der Motor rattert, das Ufer fliegt an uns vorbei. Doch wo ist Festland und wo Insel? Zerfranst das Land, wo der Fluss mäandert.

Der Anleger

An einer Stelle ragt ein Zipfel Gold neben grünen Ästen aus dem Wasser, und Su erzählt, dass ein Stück Land mitsamt Pagode hier vom Ufer abgebrochen sei. Immer wieder wird die Region von Erdbeben erschüttert, zuletzt in 2016. Und dann war da noch der Zyklon Narvis, der 2008 nicht nur die Reisfelder im fruchtbaren Flussdelta zerstörte.

Als wir unser Ziel, die Insel Kyun Thiri erreichen, fällt unser Blick auf ein paar Männer und Frauen am Ufer. Schmale Holzboote liegen vertäut, die Frauen hocken meist waschend am Wasser, einige tragen ein Tuch als Turban um den Kopf gewickelt. Wieder wird mir die Hitze dieses Tages bewusst, und die Tatsache, dass ich keinen Hut trage.

Su geht vor.

Su spannt den Schirm gegen die Sonne auf und führt uns durch die Felder. Zwiebeln, Bohnen und Getreide werden hier angebaut. Auch Erdnüsse, die für die Ölproduktion getrocknet werden. Im Schatten der Bäume raspelt ein Mann Zuckerrohrstangen, Blätter und Getreide für Tierfutter klein. Überall stehen helle Zebu-Rinder und sehen uns mindestens so verdutzt an wie wir sie. Doch sie sind schüchtern, und so halten wir Abstand beim Fotografieren.

In einer der Bambushütten begegnen wir einer Frau, deren Zunge rot vom Betelnusskauen ist. Für ein Betelpäckchen werden Teile der Nuss mit Tabak und Kalk vermischt und mit einem Betelblatt umwickelt. Viele Menschen in Myanmar schieben sich so ein Päckchen in die Backe, es gilt als Volksdroge, ein beliebtes Aufputschmittel. Während das Betelblatt eher gesundheitsfördernd ist, wirkt die Nuss krebserregend und beschädigt die Zähne.

Here’s looking at you.

Auf Kyun Thiri leben die Menschen von der Landwirtschaft. Etwa vier Mal im Monat fahren sie in die Stadt, um zum Beispiel Bohnen zu verkaufen und Lebensmittel zu holen. Wer kein eigenes Boot hat, nimmt ein Wassertaxi. Die Einwohner der Insel haben das Glück, über eine eigene Schule zu verfügen, die sowohl ihre als auch die Schüler einer Nachbarinsel aufnehmen kann.

Gerade steht bei den älteren Schülern Englisch auf dem Lehrplan, während die Jüngeren in der mit Bambusmatten abgetrennten Klasse nebenan lauthals burmesische Zahlen aufsagen. Zunächst jeder einzeln und mit Zeigestock vorne an der Tafel. Manche tun es mit einer solchen Verve, als müssten sie die Zahlen, sich selbst oder ihre Mitschüler anfeuern – gerade die Jungs. Und nach jedem Vortrag applaudieren alle, was ungemein motivieren muss.

Man freut sich.

Die Schüler tragen oben meist weiß, unten grün – die Farben der Schuluniform. Zwei von ihnen drehen sich um und folgen uns mit neugierigen Blicken, doch die Lehrerin gemahnt sie zur Aufmerksamkeit. Am Ende wiederholen alle im Chor den Lehrstoff. Zelebriert wie ein Gesang. Wir schreiten durch das Dorf, dürfen in eine der Küchenhütten schauen, wo das Feuer unter dem Kochtopf zischt und knistert. Gewürze hängen in Plastikbeuteln an der Decke, Messer aller Größen zieren die Wand.

Die Gruppe zerstreut sich, und durch Zufall entdecke ich den Tante-Emma-Laden des Dorfes. Der Verkäufer sitzt im Laden und zeigt gutgelaunt seine Schätze. Selten hat sich ein Ladenbesitzer so über Besuch beziehungsweise Kundschaft gefreut, denke ich. Die Sonne dringt durch die Ritzen des Blätterdachs, und irgendwann treten wir den Rückweg an.

Eigentlich ein Onkel-Tom-Laden.

Fast an der Anlegestelle angekommen, sehen wir die Frauen am Fluss. Sie warnen uns vor einer Schlange, die sich in Ufernähe aufhalten soll. Natürlich machen wir einen Riesenbogen um besagte Stelle. Zwar haben wir eine Ärztin mit an Bord auf dieser Reise, doch Karen Faist kann natürlich nicht für jede Schlangenart ein Gegengift in ihrem Notfallkoffer mitführen.

Ohnehin trägt sie bereits ein paar Kilo durch Myanmar – je nach Land und Reisedauer wiegt der Arztkoffer drei bis fünf Kilo. Darin enthalten zum Beispiel eine Maske zum Reanimieren, Asthma-, Eis- und Desinfektionsspray, Messgeräte für Sauerstoffsättigung und Blutdruck. Karen ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und Naturheilkunde, die perfekte Kombi, wie ich finde.

Gefahr am Ufer?

Insektenstiche, Sonnenbrand und Magen-Darm-Probleme zählen zu den häufigsten Problemen auf Reisen, weiß die Fachfrau, die schon häufiger Reisen nach Asien begleitet hat. Glücklicherweise wird auf unserer Tour niemand krank. Und so zeigt sich auch die Schlange auf der Sandbank nicht mehr, einer nach dem Anderen steigen wir ins Boot, um zurück nach Bagan zu fahren.

Den Fahrtwind im Haar, geschützt unter dem grünen Plastikdach. Trotz des Dunstes, der über dem Land hängt, brennt die Sonne auf unsere Köpfe. Wir können nicht anders, hier in Bagan, der Stadt der über 2000 Tempel: In der Nachmittagshitze müssen wir uns noch zwei Pagoden anschauen. Auf dem Weg kommt uns eine Kutsche mit Leuten entgegen, die in guter Stimmung sind.

Pferdekutsche in Bagan
Beliebte Fortbewegungsmittel in Bagan

Doch es lächelt längst nicht jeder, zu groß sind oft die Sorgen, zu arm die Menschen in Myanmar. Und doch verzichtet man eher aufs Essen, als nicht in den Tempeln zu spenden. Blattgold auf bestimmte Buddha-Statuen zu kleben, je nachdem, an welcher Stelle des eigenen Körpers man Linderung erhofft.

Blumen werden in Myanmar übrigens nie verschenkt, meint Su, sondern immer in den Tempeln geopfert. Und die bunten Schirmchen, die vor den Pagoden zum Kauf angeboten und dann ebenfalls gespendet werden, sollen zum Beispiel in Sachen Arbeit weiterhelfen.

Glücksschirmchen

Wir erklimmen die Steinstufen des kompakt wirkenden Tempels Shwe Gu Gyi aus dem 12. Jahrhundert und drehen eine Runde über die Terrasse. Was für ein Blick über Old Bagan! Der Shwe Gu Gyi ist einer der wenigen Tempel, auf die man noch hinaufsteigen darf. Die meisten Terrassen sind wegen des Erdbebens in 2016 für die Touristen geschlossen.

Ich finde ihn besonders schön, diesen vorletzten Tempel unseres Bagan-Programms. Vielleicht, weil wir hinaufsteigen können und die archäologische Zone, dieses enorme Feld aus Bäumen, roter Erde und Tempeln, noch einmal von oben sehen. Vielleicht, weil ich die kompakte Architektur mag, die bisweilen mit einem Pilz verglichen wird.

Und dieser mit der Zeit ergraute Stein, manchmal leuchtet er gelb, er braucht kein Gold.

Text und Fotos: Elke Weiler

Wie geht es weiter? Wir müssen zurück nach Yangon fliegen, wo wir durch die Straßen wandern. Wo vor der Botataung-Pagode quasi der rote Teppich ausgerollt wird, und alle nur noch lächeln. Wie anstrengend das sein kann…

Aber erst einmal noch ein paar Impressionen von Kyun Thiri:

Und noch ein Tipp in Sachen Gesundheit:

In Myanmar ist ein wirksames Mückenschutzspray wichtig, da stellenweise vor dem Zika-Virus gewarnt wird und auch ein Risiko für Dengue-Fieber besteht.

One thought on “Am großen Fluss

  1. Danke für den Bericht. Bei uns stehen Ferien in Myanmar ganz weit oben auf der must-see Liste. Durch Berichte wie Deinen fühlen wir uns darin bestärkt. Es entscheidet sich nur noch zwischen Peru und eben Myanmar

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