Salz auf der Haut

Roma Termini. Blechern tönen die Ansagen im Bauch des „Dinosauro“, der gewaltigen Empfangshalle. Reisende scharen sich um die digitale Anzeigetafel, Ströme von Menschen, die ankommen, abfahren oder jemanden am römischen Hauptbahnhof abholen. Ich möchte hinaus aus der großen Stadt.

Der Zug in Richtung Neapel führt zur Küste, der Sehnsucht nach Meer, Sand, Salzgeruch hinterher.

Wenn sich die Landschaft im südlichen Lazio, etwa 100 Kilometer hinter Rom mit einem Mal erhebt und wellt, ist das den Monti Aurunci zu verdanken. Ein Kalkgebirge des Vorappenin, benannt nach den Aurunkern, die das Land in vorrömischer Zeit besiedelten.

Der Zug hält in Fondi – Sperlonga, und ein Schwall von Sommergästen in Shorts und Tunikas ergießt sich in die Provinzstation. In den Wintermonaten ändert sich das Bild, denn die Hänge des Karstgebirges zwischen Sperlonga und Gaeta stehen bei Kletterern hoch im Kurs.

Ich nehme den Bus von Fondi bis ans Meer, steige aber nicht wie die meisten gleich am nördlichen Strand aus, im modernen Teil von Sperlonga. Ich möchte in den Ortskern, der sich so perfekt zwischen feinen Sandstränden zu beiden Seiten inszeniert. Sperlongas Altstadt ruht auf einem Fels, der ins Meer hinein ragt – der Monte San Magno.

Sperlonga, der Badeort der Römer.

Kalkweiß getünchte Häuser, enge Gassen, steile Treppen, Oleander in den Ecken – der Ort erinnert an griechische Inseldörfer. Ein Hauch von Santorin in Italiens goldener Mitte. Schon die alten Römer entdeckten die Schönheit der Gegend – der Name „Sperlonga“ geht auf den lateinischen Begriff „Speluncae“ für natürliche Höhlen zurück.

Der hellenistische Barock

Man suchte auch damals die Sommerfrische jenseits der großen Stadtmauern: Kaiser Tiberius genoss hier das Meeresklima und ließ sich eine Villa mit extravagantem Swimmingpool errichten, der in eine kühle Grotte hineinragt. Viel Platz für üppige Gelage. Und so gab die „Spelunca“ des Kaisers dem Ort seinen Namen.

Spannende Ruinen: Noch heute kann man die Dimensionen des Komplexes und ihre ausgesuchte Lage am Levante-Strand bestaunen. Einige der Marmorgruppen, die Tiberius von drei griechischen Bildhauern anfertigen ließ, sind ebenfalls erhalten und im angegliederten Museum der Via Flacca zu bestaunen.

In den Gassen von Sperlonga

Hagesandros, Polydoros und Athanadoros aus Rhodos stehen für den sogenannten „hellenistischen Barock“. Als ihr bekanntestes Werk gilt die bewegte Laokoon-Gruppe – eine Marmorreplik gehört zu den meist bewunderten Exponaten der Vatikanischen Museen.

Doch ich lasse mich am liebsten durch das Städtchen trieben. Im 18. und 19. Jahrhundert erhielt der Ortskern von Sperlonga seine jetzige Form, die oft mit der einer Schildkröte verglichen wird. Mehr als 3.200 Einwohner leben hier und in der Neustadt.

Maklerbüros verkaufen Wohnungen mit Meerblick zu Maximalpreisen. Widmet man sich rund um Fondi vor allem der Landwirtschaft, stehen in Sperlonga alle Zeichen auf Tourismus. Das war eben schon zu Tiberius‘ Zeiten so.

Ein Aperitif auf der Piazza

Volle Wäscheleinen und Blumentöpfe in den Winkeln vervollständigen das Bild vom mediterranen Vorzeigeort. Doch nichts ist perfekt, der Kalk blättert von den Wänden. Und auf Dauer verliert sich niemand im Labyrinth der Altstadt. Meist landet man am Rund des Stadthügels und blickt aufs Meer, während die Wellen unten vor den Fels klatschen.

Und überall der Blick aufs Meer.

In den Hauptadern überwiegt ein Angebot an Schuhläden, einige haben sich auf selbstgemachte Sandalen spezialisiert. Esoterikläden, Kunsthandwerk, alles in Maßen. Bars und Restaurants gruppieren sich vornehmlich rund um die kleinen Plätze, während viele Hotels nahe der Strände siedeln.

Ein typischer Tag am Meer besteht aus Schwimmen, einem Spaziergang durch das Gassenlabyrinth, dann ein Aperitif auf der Piazza. Wie oft war ich im Sommer mit Freunden hier, als ich in Rom studiert habe. Einmal haben wir den letzten Bus verpasst und hatten Mühe zurück zur Stadt zu kommen.

Heute ich das anders. Am frühen Abend fahre ich zurück zum Bahnhof, warte mit den anderen Tagesausflüglern auf den Zug, bis es zurück nach Rom geht. Salz auf Haut und Haar.

Text und Fotos: Elke Weiler

Wer länger in Sperlonga bleibt, unternimmt Ausflüge zu den Pontinischen Inseln und ins nahe Terracina. Schön ist es dort auch, aber anders. Denn jenes griechische Flair hat nur Sperlonga. Und das nicht nur wegen der Werke rhodischer Bildhauer.

Fast wie in Griechenland.

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