Der Ball flog in sattem Bogen durch die Luft. Genau die richtige Höhe. Ich kam, sah und traf. Mit einem Kopfball, der es locker mit denen von Klose-Miroslav aufnehmen konnte, verlängerte ich den Flug bis … in den Graben. „Du Schlumpf!“, rief Madame.
Ich sofort zur Unglücksstelle, doch da war nichts mehr zu machen. Von Gräben hielt ich mich lieber fern, außer zum Süffeln. Sie galten als tückisch. Erst neulich hatten die Rindviecher mich in einen hinein gelockt.
In dem kühlen Nass verlor ich die Orientierung und landete prompt am falschen Ufer. Wie sollte ich nun zu Madame und meiner geliebten Julie zurückfinden? Der unüberwindbare, tiefe und geheimnisvolle Graben lag zwischen uns wie einst die Mauer zwischen Ost und West.
Erst als Madame mir den Weg zurück über die Fenne zeigte, stand einer Wiedervereinigung nichts mehr im Wege. Ich war glücklich und mied Gräben fortan. Außer zum Süffeln. Stumm sah ich Madame zu, wie sie mit einem langen Ast nach dem Ball fischte.
Julchen gab lautstarke Anweisungen: „Mehr nach links, mehr nach rechts, jetzt nach vorne!“ Als hätte Madame Tomaten auf den Augen! Endlich zog sie den triefenden Ball aus den Fängen des Grabens, der Anpfiff folgte postwendend.
Madame täuschte an, kickte, ich in einem Affentempo hinterher. Ein Stups, ein Quietsch, gewonnen! Zidane-Zinedine hätte es nicht besser gemacht, mein größtes Vorbild. Doch was tat die Außenstürmerin? Unbeirrt rückte sie vor, kickte, nein doch nicht! Julchen stupste das Ding nicht. Nie.
Die Gegnerin verfügte über die seltene Gabe, den Ball ins Maul nehmen zu können. Julchen kam auf mich zu, provozierte mit wildem Blick und wehendem Haar und rauschte davon. Auf immer und ewig, Himmelschafundmeer!
Was, wenn Ronaldo-Cristiano plötzlich während des Spiels mit dem Rundleder abhauen würde? Einfach so? Rote Karte! Julchen hatte die Macht, die Regeln neu zu erfinden. Und bei Gelegenheit zu brechen. Ich jedoch wollte einfach nur ehrlichen Pfotenball spielen.
Ein paar Mal rannte sie hin und her, immer schön vor meiner Nase, damit ich auf ihr Spiel einging. Doch ich konnte stur sein wie ein Esel. Es ging hier um heiligen Fußball, nichts anderes, die WM stand vor der Tür. Irgendwann ließ sie das Leder gelangweilt fallen, Madame und ich wieder in Aktion.
Hakenschlagend stürmte ich, elegant in der Ballannahme, voller Körpereinsatz. Fußball war mein Spiel, ich hatte keine Pfotenpräferenz. Rechts, links, hinten, vorne, alles ging. Nur Monsieurs Hackentricks verwirrten mich. Alter Schwede!
Jeden Tag fieberte ich dem Moment des Anpfiffs entgegen. Hoppelte, flitzte, kickte wie junger Gott über die Blümchenwiese. Und Julchen? Sie gönnte mir nicht den Quark auf dem Biofutter. Mit aggressivem Gebell bedrängte sie mich, fuhr mir in den Lauf, damit ich ins Abseits geriet.
Ungefähr so, als würde Prinz-Birgit plötzlich ihre Gegner anbrüllen, beiseite schubsen und vom Spielfeld abdrängen. Ja, die Bühne sogar verlassen, nur weil noch andere Spieler auf dem Feld waren. Das hatte in der gesamten Fußballgeschichte niemand getan.
Gab es überhaupt noch schillernde Persönlichkeiten auf dem Rasen? Vielleicht war es an der Zeit, dass Julchen neue Maßstäbe aufzeigte. Ich würde es ihr zutrauen, alles. Eindeutig zuviel.
Die einzigen Momente, in denen Julchen frei und ungezwungen aufspielte, waren folgende: Wenn ich mich zum Kacken zurückzog. Durch die hohen Grashalme beobachtete ich das Geschehen. Zum Pferdeäpfelpürieren! Deswegen spielte ich am liebsten mit Madame und Monsieur, da ging es zivilisiert hin und her. Und fair.
Julchen schien mich als Flitzer deklassifizieren zu wollen, der vom Spielfeld entfernt werden musste. Sie war eine Windgöttin: Je stärker es durch ihr Fell blies, desto mehr drehte sie auf. Unter ihrem Einfluss, in ihrem Maul verformte sich der Ball. Plötzlich war er nicht mehr rund.
Als Fußballgott hattest du da keine Chance.
Text: Janni (Nach Diktat eine Bewerbung als Balljunge an die brasilianische Nationalmannschaft geschickt.)
Fotos: Elke Weiler