Tor zum Meer

Mit dem Schiff über die Eider

Allem Anschein nach habe ich den besten Platz erwischt: mittig auf der Bank direkt vor der Kapitänsbrücke. Volle Kraft voraus! Das Schiff düst auf die immer breiter werdende Eider.

Bei Flut dehnt sie sich im Mündungsgebiet bis zu drei Kilometer breit aus, dann wirkt sie zwischen Tönning und den Eidersperrwerk fast schon wie das nahe Meer. Bei Ebbe fallen die Wattflächen rechts und links vom Fluss trocken. Möwen folgen uns, ab und an sehen wir Seeschwalben und Graugänse durch die Lüfte schweben.

Schwarzkopfmöwe
Die Schwarzkopfmöwe folgt uns.

Nur die Seehunde lassen sich nicht blicken. Als wir für die Eiderfahrt in Tönning ablegten, hat sich der Kapitän noch hoffnungsvoll gegeben. Doch wegen des Ostwindes hätten sich die zehn bis fünfzehn Hundsrobben, die hier an guten Tagen gemütlich auf der Sandbank abhängen, in den letzten Tagen nicht gezeigt.

Und wie‘s scheint, haben die Jungs und Mädels auch heute etwas Besseres zu tun, als für eine Grundschulklasse, einen jovialen Seniorentrupp und diverse Jungfamilien auf einem Ausflugsschiff zu posieren.

Im Mündungsgebiet mischt sich Süßwasser mit der Nordsee, daher spricht der Kapitän fachmännisch von Brackwasser, aus dem später ein Eimer entnommen wird, um zu schauen, was sich darin tummelt.

Erst einmal nehmen wir Kurs auf das Eidersperrwerk. Zu unserer Rechten das Katinger Watt, das keines mehr ist. Stattdessen ein Ende der 70er Jahre mit großem Aufwand aus dem Watt geborener Wald. Heute sind auf der 350 Hektar großen Grünfläche Pappeln, Eichen, Eschen, Ahorn, Linden, Holunder und Sanddorn zu finden.

Kutter auf der Eider
Krabbenkutter

Das Eidersperrwerk, das das Landesinnere vor Überflutung schützen soll, veränderte das Katinger Watt. Doch für Enten, Gänse und Taucher bedeutet diese „Versüßung“ der Landschaft viel Platz zum Brüten.

Der Kapitän erzählt über „seinen“ Fluss: Die Eider entspringt bei Kiel, doch ab Rendsburg wurde der Oberlauf zum Nord-Ostsee-Kanal ausgebaut. Mit fast 200 Kilometern gilt sie als Schleswig-Holsteins längster Fluss. Im Mündungsbereich verfügt sie über drei Meter Tidenhub: „Alle freien Watt- und Sandflächen, die wir jetzt sehen, verschwinden mit der nächsten Flut.“

Bis vor Rendsburg ist die Eider schiffbar, von dort kommt man auf den Nord-Ostsee-Kanal und kann auf diese Weise vom einen ans andere Meer gelangen. Das konnte man vor dem Bau des Kanals vornehmlich über die Eider. Nun peilen wir die Schleuse im Eidersperrwerk an, ziehen vorbei an den fünf rostbraunen, schweren Toren des Werkes.

Auf der anderen Seite, im Hafenbereich, wollen die Rentner aussteigen. „Hallo!“, rufen die Grundschüler in den Schleusenraum und hoffen auf ein Echo. Die mächtige Autobrücke erhebt sich wie von Geisterhand gesteuert, und die Schleusenbesucher winken uns von oben enthusiastisch zu.

Der zweite Kapitän

Dann geht alles ganz rasch. Grünes Licht – und der spannende Moment ist gekommen: Das Tor zum Meer öffnet sich. Die Eider wurde schon in der altnordischen Mythologie „Aegyr Dör“ genannt: die Tür des Meeresgottes Ägir.

Hinter den schweren Schleusentoren: Ferne, Weite, Horizont, Blau in Blau. Das Meer.

Eisessen ist ansteckend. Darum verschlägt es mich nach diesem Erlebnis in die Kombüse, wo sich die Kinder bereits alle damit versorgt hatten. Wir werden erneut durchgeschleust und machen uns auf den Rückweg. Wieder platziere ich mich strategisch günstig, dieses Mal auf dem Achterdeck, da hier nun der Bär tobt.

Eider und Eidersperrwerk
Tor zum Meer

Beziehungsweise das Seegetier. Herta Lorenz hat ihren Auftritt als Dompteurin. Allerdings gilt es in diesem Falle nicht Garnelen und Co zu bändigen, sondern die Schulkinder, die sie von allen Seiten bedrängen. Kuttergleich lässt man ein Schleppnetz auf den Boden im Mündungsgebiet gleiten und die Nationalparkbetreuerin klärt auf.

Da wäre zunächst die chinesische Wollhandkrabbe, vermutlich von Handelsschiffen eingeschleppt. „Die kann ganz schön kneifen“, sagt Herta.

Und die Fische. „Warum darf man die nicht anfassen?“, fragt sie die Kinder und liefert die Antwort dann: Weil das ihre Haut verletzt und Krankheitserreger eindringen können.

Wir erfahren alles über Stinte, Scholle, Seezunge, denn die Fahrt läuft ja unter dem Motto „Warum ist die Scholle platt?“. Und über durchsichtige Quallen mit dem Aussehen von Hustenbonbons, die nachts leuchten: „Wir nennen sie Seestachelbeeren.“

Seetierfang auf der Eider
Was ihr schon immer über Krebse, Krabben und Co wissen wolltet.

Jetzt dürfen die interessierten Zuschauer auch mal anfassen. Ebenso die Garnelen, die zum Teil wieder wegflupsen, so quirlig sind sie. „So fühlt sich also ein Krabbenbrötchen in natura an!“ Weiterhin gibt es einen dreistachligen Stichling, Steinpicker, Sattgrundeln.

Und die lustigen Schlangennadeln, die mit den Seepferdchen verwandt sind. Und locker mit Gras verwechselt werden können. „Alles Tarnung“, meint Kennerin Herta.

Alle Seetierchen sind zurück im Wasser, als wir Tönning erreichen. Wieder festen Boden unter den Füßen. Mit dem Gefühl, dass die Unterwasserwelt im Tor zum Meer ein bisschen nähergerückt ist. Gut gemacht, Meeresgott. Oder Göttin?

Text und Fotos: Elke Weiler

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