Viel Wind habe es gegeben, meint Serge, der Taxifahrer. Als ich nachts in La Rochelle ankomme, ist davon nichts mehr zu spüren. Auf dem Weg vom Bahnhof zum Hotel Le Manoir bekomme ich einen ersten Eindruck vom Nightlife der Hafenstadt: Rund um den Alten Hafen und die Altstadt ist jede Menge los.
Zwar ist der größte Teil davon gesperrt für Autos, doch am Quai Valin rund um „Le Dock“ tummeln sich die Nachtschwärmer. Boote und Yachten schaukeln im Hafen vor sich hin, die Straßen wie ausgewaschen. Ich mag dieses warme Licht in französischen Städten by night.
Als ich am nächsten Tag aufwache, wird es noch besser: Der Duft von Croissants hat mich geweckt. Kein Wunder, denn die Boulangerie-Patisserie liegt vis-à-vis. Wir praktisch, ich kann dem Bäcker gegenüber quasi über die Schulter schauen.
Überhaupt, die Düfte. Kann man Länder am Geruch erkennen? Dann riecht Frankreich nach Croissants, Baguette und Tarte aux Pommes. Dass der Duft in meinem Hotel so intensiv ist, liegt auch daran, dass all diese frischen Leckereien zum Frühstück gereicht werden. Halbwarm, dazu ein guter Kaffee.
Schade, dass ich schon los muss. Ich treffe nämlich Christine Messmer in der City, und zwar in der Nähe des Alten Hafens. Die Germanistin und Historikerin kommt ursprünglich aus der Schweiz, wohnt aber schon seit über 20 Jahren im Westen Frankreichs. „Wir wollten am Meer leben.“
Das kommt mir bekannt vor. Christine erzählt, dass auch der Norden zur Wahl stand, denn ihr Mann ist Bretone. Doch dann hat La Rochelle das Rennen gemacht. Warum? Nach und nach werde ich es erfahren. Was mir zunächst auffällt: Die Natur ist wesentlich weiter als bei uns an der Nordsee.
„Wir profitieren sehr vom Golfstrom“, meint Christine zur Erklärung. Außerdem wäre La Rochelle durch seine Lage in der Bucht und hinter den Inseln eher geschützt. Selbst diesen Winter hätten sie kaum Schnee gehabt, und nun sei die Kirschblüte bereits durch. Überall grünt und blüht es um uns herum, die Stadt am Meer verströmt ein geradezu mediterranes Flair.
Doch ab und an verdecken dicke Wolken die Sonne, und dann frischt es merklich auf. Wir sind eben doch am Atlantik, und das ist auch gut so. Das Meer, das kommt und geht, und der Wind bilden die wilden Kompomenten einer ansonsten hochzivilisierten Stadt.
Das war es, was Christine und ihren Mann hierher gelockt hat: die Kombination von Kultur und Leben am Wasser. Denn obwohl La Rochelle weniger als 80.000 Einwohner hat, kann sich hier niemand beklagen bei diesem reichen Angebot an Festivals, Theater, Kinos, Museen und Buchhandlungen.
Christine scheint Gott und die Welt zu kennen, sie grüßt hier und dort und wechselt mit Freunden und Bekannten ein paar Worte. Man kennt sich eben, die Hafenstadt ist nicht zu groß und nicht zu klein.
Und an den Brückentagen im Mai ist auch touristisch einiges los: Außer mir scheint halb Frankreich im Poitou-Charentes Kurzurlaub zu machen. Von Paris aus habe ich drei Stunden mit dem TGV Atlantique bis an die Westküste gebraucht, und selbst dieser späte Zug war randvoll besetzt.
Christine weiß, dass la Gare der letzte in Frankreich erbaute Monumentalbahnhof ist, 1922 fertiggestellt. Bei der Ankunft erschien er mir in der Tat recht monumental, wenn auch schön mit dieser luftigen Dachkonstruktion. „Damals mochten die Leute den Bahnhof nicht, denn er wirkte zu groß für diese Stadt.“ Damals hatte La Rochelle auch nur 30.000 Einwohner.
Wir schlendern gemütlich durch die Stadt, die inzwischen voller Shopper und Flaneure ist. Immer wieder schaue ich zum Himmel empor, hoch an den Architekturen aus dem 15. bis 18. Jahrhundert. Auch das hat die Stadt am Meer: Gebäude, die Geschichte ausatmen. Kuschelige Ecken, wie der Innenhof des ehemaligen Cloitre des Dames Blanches. Pralle Pfingstrosenköpfe ringsherum „und diese Ruhe“, betont Christine, „mitten in der Stadt“.
Auch macht sie mich auf die Feinheiten der typischen Architektur aufmerksam: die mit Schieferplatten verkleideten Fachwerke, die lustigen Wasserspeier oben an den Ecken, die ich sonst nur von sakralen Gebäuden kenne. Aber in La Rochelle waren eben die Bürger immer stark, es ist eine alte Hansestadt.
Und wie wir so plaudern, schauen und schlendern, scheinen wir ganz automatisch dort angelangt zu sein, wo alle Wege der Rochellaises hinführen. Nämlich auf dem Markt. „Ohne frisches Gemüse und so geht nichts“, meint Christine. Deswegen ist der Marché central auch jeden Tag geöffnet.
Also finde ich mich umgeben von Seezungen, Doraden, Seebarschen, Petersfischen, Langusten, Krabben, Tintenfischen und Seeteufeln. Den Adlerfisch kannte ich noch nicht, ein silbern glänzender Typus: „Le Maigre“ kommt in der Region als Alternative zum Loup de mer auf den Tisch.
Fasziniert bleibe ich vor der Alten stehen: „la Vieille“ ist ein Farbspektakel und fällt allein durch die fleischigen, wie aufgespritzt wirkenden Lippen ins Auge. Darum wohl auch Lippfisch.
Muscheln, Austern überall. Wir kommen nicht weit, da wird uns auch schon ein Gläschen Pineau des Charentes angeboten, der für die Gegend typische Aperitif. Pas mal, Wein im Gärprozess mit Cognac zu stoppen. Letzterer kommt geschmacklich leicht durch und verleiht dem Ganzen eine nicht zu herbe Note.
Wir sind beim Käsekuchen angelangt, eine weitere Spezialität der Region: Tourteau Fromager. Erinnert mich an… Je ne sais pas. Diese schwarze, glatte Oberfläche mit leichter Rundung. Ja, vielleicht an den Panzer eines Krebses, und Tourteau heißt ja auch Taschenkrebs.
Jedenfalls ist der echte Tourteau mit Ziegenkäse nichts, was man sich entgehen lassen sollte. Einfach fluffig. Ganz La Rochelle kennt übrigens Monsieur Pannetier. Ich nun auch, denn wir probieren bei ihm „Farci charentais“, eine Pastete aus diversem grünen Gemüse, Schweinefleisch und Eiern.
„Jede Familie hat ihr eigenes Rezept“, meint Christine. Sehr gehaltvoll ist das Ganze auf jeden Fall. Natürlich führt Monsieur Pannetier auch „Mouclade charentaise“, Muscheln in Rahmsoße. Doch langsam bin ich satt, sehr satt. Allein das Ansehen der Fische hat mich satt gemacht.
Spätestens jetzt verstehe ich Christine und ihren Mann. La Rochelle ist eine gute Wahl – nicht nur für den Kurztrip, sondern fürs Leben. Es ist eben mehr als der Duft von Croissants in den Gassen. Hier, wo die Atlantikküste fast mediterran anmutet. Aber davon werde ich auf den Inseln noch mehr sehen und erleben…
Text und Fotos: Elke Weiler
Merci beaucoup an die Region Poitou-Charentes, die diese Reise ermöglicht hat.
Ich gestehe: ich war gestern auf deinem Blog, weil ich dachte, ich hätte Frankreich irgendwie verpasst. Habe ich aber nicht :)
Allerspätestens bei „Kann man Länder am Geruch erkennen? Dann riecht Frankreich nach Croissants, Baguette und Tarte aux Pommes.“ freue ich mich noch einmal mehr auf meinen Frankreich-Urlaub nächste Woche! Mit ganz viel „Pommes“ in der Normandie!
Oh, hast du es gut, Kristine! Bitte iss ein paar Pommes für mich mit! Ganz viel Spaß wünsche ich dir! :-)