Die Sonne auf Stippvisite, ein frischer Wind streicht über die Fennen. Noch ausgebleicht vom Winter die Farben der Landschaft, doch hier und da springen die ersten Knospen auf. Frühe Ostertouristen ziehen umher, alle Cafés sind geöffnet, bereit zum Start in die Saison.
Die Schafe geben ihr Comeback auf den Deichen. Im Schlepptau lustige Horden hoppelnder Lämmer, die mit neugierigen Blicken in die Welt schauen. Frühling in Nordfriesland. Und an manchen Tagen riecht es wieder intensiv nach Meer. Besonders dann, wenn es gerade nicht da ist. Wenn das Watt blubbert und quatscht.
Zeit, sich aufs Rad zu schwingen, Zeit für den Beltringharder Koog. Ich starte meine Tour an der Badestelle Lüttmoorsiel, wo sich am späten Morgen bereits zahlreiche Spaziergänger für eine Runde am Deich versammelt haben. Hier führen die Schienen der Lorenbahn über den Deich hinaus aufs Watt zur Hallig Nordstrandischmoor.
Ich kreuze die Schienen und bleibe bei vorherrschendem Westwind hinter dem schützenden Außendeich. Zwar muss ich auf den Meerblick beim Radeln verzichten, doch es bleibt genügend Wasser zur Rechten, das zudem lebhaft, ja fast laut wirkt. Das Naturschutzgebiet am Beltringharder Koog. Das reinste Vogelparadies.
So dauert es nicht lange, bis mir die ersten Nonnengänse vor die Linse laufen. In Grüppchen grasen sie am Ufer des Lüttmoorsees. Nur wenige Graugänse haben sich zu ihnen gesellt, und sie werden schneller nervös, als ich mich bis zur Abzäunung vorwage. Ein Stück weiter gleiten zwei Schwäne übers Wasser, während eine Lachmöwe über ihren Köpfen Achten fliegt und dann gezielt zum Fischen ins Wasser stößt.
Auch auf der anderen Seite ist eine Menge los: Schafe und Lämmer blinzeln in die Sonne. Sie okkupieren den Deich in aller Gemütlichkeit, die Kleinen kuscheln sich aneinander oder nuckeln kräftig an Mamas Milchbar. Eigentlich sollte ich für die ersten fünf Kilometer meiner Tour nicht sonderlich viel Zeit brauchen, doch alles kommt anders. Immer wieder halte ich an, veranstalte eine regelrechte Foto-Session am Deich.
Natürlich sind außer mir noch andere Radfahrer unterwegs – bei dem Wetter! Sie lassen sich grob in drei Typen unterschieden: die gutgelaunten einheimischen Senioren-Grüppchen, die streng dreinblickenden Pärchen auf Urlaub und die bis zur Unkenntlichkeit in professionelle Sportkleidung gehüllten Single-Radler, bei denen selbst der aufmerksame Beobachter weder Geschlecht, Alter, noch Laune identifizieren kann. Überflüssig zu sagen, das letztere konzentriert und schnell vorbeirauschen.
Ich also die Schnecke unter den Radfahrern.
Sogar der etwas ältere Nordic-Walker überholt mich an mehreren Stellen, während ich fotografiere. Ein Opfer der Kamera, die den Frühling mangels Kontrasten fad findet. Dennoch erreiche ich die Schleuse des Sönke-Nissen-Koogs irgendwann, hier wird das Hinterland entwässert. Ein Stück weiter biege ich rechts ab und verliere ich mich in den Weiten der Äcker.
Nur der Wind leistet mir weiterhin Gesellschaft, und das jetzt etwas penetranter. Hinzu kommt das monotone Geräusch der Windräder: Wie motorlose Kleinflugzeuge, die im Endlosschleifen-Stakkato durch die Luft segeln. Sie gehören zur Landschaft Nordfrieslands wie die Fennen, die Deiche, die Schafe.
Als ich hinter dem Windpark rechts auf den Mittelweg einbiege, bin ich weit und breit das einzige Lebewesen. Das zählt zu den Vorteilen des Frühjahrs-Radelns: die volle Freiheit auf Landwirtschaftswegen, Zeit für Selbstgespräche und beste Radel-Temperaturen. Stille. Nur das Geschrei der Möwen auf den frisch gepflügten Äckern des Cecilienkoogs, bis der nächste Traktor um die Ecke düst.
Und dann plötzlich der süßliche Duft zaghaft blühender erster Sträucher und Bäume, wenn ich an einem Gehöft vorbeiziehe. Weißdornbüsche in den Knicks. Mit Liebe gepflanzte Narzissen am Straßenrand. Endlich ein paar Farben, Leben, Kontraste. Vom Sophien-Magdalenen-Koog geht es quasi übergangslos zum Desmerciereskoog.
Koog-Hopping, der neue Trend aus Nordfriesland
Was ein Koog überhaupt darstellt? Land, das durch Entwässerung und Deichbau gewonnen wurde. In den Niederlanden auch Polder genannt. Im Grunde also Land, das einst dem Meer gehörte und nun landwirtschaftlich genutzt wird. Es gibt altes und neues Koogland. Bevor ich vom alten zum neuen Koog und damit an meinen Ausgangspunkt zurückfahre, mache ich noch einen Abstecher zum Café „Deichshörn“ in der Kurve des Desmerciereskoogs.
Ein dringender Kaffee-Kuchen-Stopp, um die Batterien für die letzte Etappe aufzuladen. Als ich den Lüttmoordamm erreiche und den Vogelkundlern mit ihren Spektiven und Riesenobjektiven zusehe, wird eines klar: Der schönste Streckenabschnitt liegt hier, am Beltringharder Koog.
Das vielstimmige Konzert der Vögel. Auffliegende Kiebitze, kreuzende Graugänse, Reiher, Austernfischer. Die Ruhe. Der Wind. Das Gemecker der Schafe, als ich den Außendeich wieder erreiche. Und jederzeit die Möglichkeit, von der Deichkrone aufs Meer zu schauen. Zu den Halligen am Horizont.
Text und Fotos: Elke Weiler
Zu Teil 2 der Meerblog-Reihe „Radfahren in Nordfriesland“: Beltringharder Koog
Das Parken am Lüttmoorsiel kostet einen Euro, Räder müssen mitgebracht werden. Die Tour durch die Köge fährt sich meist leicht, solange der Wind nicht zu stark weht – flaches Land bis auf die Deiche. Startpunkt ist am Café des Lüttmoordamms, von dort den Beltringharder Koog entlang Richtung Norden bis zum Ende des Naturschutzgebiets radeln. Am Sattlerweg rechts zu den Reußenkögen bis zum Mittelweg. Rechts einbiegen und in südlicher Richtung bis Desmerciereskoog. Kleiner Schlenker nach links zum Café „Deichhörn“, dann zurück über Desmerciereskoog bis zum Ausgangspunkt. Insgesamt fast 20 Kilometer.
Weitere schöne Radstrecken in Nordfriesland: etwa während der Rapsblüte auf Eiderstedt oder zur Hamburger Hallig.
Das interessante an den Kögen ist ja, dass diese nicht nur wie auch die niederländischen Polder unter dem Meeresspiegel liegen, sondern das die Entwässerung in mehreren, wenn auch kaum wahrnehmbaren Höhenstufen erfolgt ist. Daraus ergibt sich eine sogenannte Poldertreppe, man fährt quasi leicht aufwärts Richtung Meer, wenn man auf den Deich zufährt.
Mit den niederländischen Poldern habe ich mich schon mehr als umfassend beschäftigt, mit den norddeutschen Kögen jedoch bisher leider kaum. Dabei gibt es auch dort in den Kögen unter anderem neu angelegte Siedlungen und Höfe, wenn auch insgesamt eine Nummer kleiner wie im Nachbarland. Für mich gehören Köge/Polder mit zu den faszinierendsten Landschaften.
Ja, das hast du recht. Leider kann ich dir zur Zeit auch nicht sagen, ob es hier mit dem Gefälle genauso ist. Allerdings waren es ja Holländer, die hier zu Rate gezogen wurden, beziehungsweise Köge und Deiche gebaut haben, vor Jahrhunderten. Wir haben hier ein ganzes Städtchen, bei dem du dich nach Holland versetzt fühlst: Friedrichstadt.