Das Schiff nach Helgoland ist schon weg. Jeden Morgen legt es in den Havenwelten ab und nimmt Kurs auf die am weitesten vom Festland entfernte Insel des Landes. So stehe ich also in Bremerhaven und bekomme Lust auf mehr, Meer und eine Schiffstour.
Die Möwen kreischen, und es ist heiß, schon am Morgen. Mein Blick fällt auf den weiten Bereich der Wesermündung, die sich hier zur Nordsee öffnet. Gerade noch war ich in Bremen, wo sich der alte Überseehafen in die neue Überseestadt verwandelt.
Nur ein Stück weiter nördlich ist Bremerhaven mit der längsten Stromkaje der Welt der Umschlagplatz für die immer größer werdenden Containerschiffe. Ich habe ein Modell von der Kaje im Hamburger Maritimen Museum bestaunt – doch wie nah komme ich real heran? Kann ich wie Hafenkind Hanne einst in Bremen einfach auf die dicken Pötte hüpfen?
Im Neuen Hafen an der Südkaje liegt ein Segelschiff namens „Bremerhaven“, das mir ausgezeichnet gefällt. Doch schließlich ist es die solide Barkasse „Hein Mück“, die mich mitnimmt. Mich und gut 50 andere Hafenbegeisterte – vom Kleinkind bis zum Senioren.
Der Kapitän verschweigt uns nicht, dass Bremerhaven einst der größte Auswandererhafen Europas war. Das war im 19. Jahrhundert, als die bremischen Häfen wuchsen, die Schifffahrt nach Übersee an Bedeutung gewann. Da ist sie wieder, diese Sehnsucht nach der Ferne. Auswandern, fremde Länder entdecken, wachsen.
Und sie wird immer stärker, je mehr wir uns den Schiffen in den Kaiserhäfen nähern. Mit einem Mal habe ich einen 20 Tonnen schweren Anker über dem Kopf, so nah können wir heranfahren. Beziehungsweise unter dem Bug cruisen, mit unserem Winzling „Hein Mück“.
Es ist einer von zwei Ankern, die aus dem Bug des Frachters „Grand Venus“ herausragen. Ich schaue hoch und werde allein vom Anblick erschlagen. „Ein RoRo-Schiff mit Autoladung“, fachsimpelt unser Kapitän. Es bedeutet: Roll on, Roll off – die Ladung wird auf das Schiff gefahren. Klappt ja bestens mit rollender Fracht.
Und wir sehen auch schon zum nächsten Riesen auf: Die „Canadian Highway“, die so breit ist, dass das Schleusen durch den Panama-Kanal etliche Schrammen an den Seiten hinterlassen hat. 32 Meter – da sind wir nur knapp unter der zugelassenen Breite.
Wir da unten im „Hein Mück“ zeigen uns schwer beeindruckt. Mit jedem Ländernamen – egal ob Panama, Kanada oder Japan wächst unser Fernweh. Zu den Containerterminals der fünf Kilometer langen Stromkaje fahren wir nicht, sie liegen auf der anderen Hafenseite, auf der tideabhängigen. Doch einen Blick erhaschen wir schon auf die unzählige Kräne, die roboterhaft in die Höhe ragen.
Und später von oben… Ich freue mich schon. Zurück im Neuen Hafen steuere ich nämlich das Hotel Atlantic Sail City an, ein segelförmiges Gebäude aus Glas und Stahl, das wie der kleine Bruder des eleganten Burj al Arab in Dubai wirkt. Hier am Weserdeich, der nun höher und herausgeputzter denn je erscheint.
Ein Hauch von Gigantomanie aus dem Morgenland?
Mehr eine Assoziation und abermals jener Duft der weiten Welt. Ich zähle bis 15, 16, 17 und rase an Hotelzimmern und Büros vorbei bis zur Plattform des 140 Meter hohen Gebäudes.
Gelandet. Hier oben hört man nur noch die Schreie der Affen aus dem Zoo am Deich. Zur Linken sitzt ein Mann und malt, was er sieht: die Schiffe, die Kaiserhäfen und Kräne, die ich eben von unten bewundert habe.
Bis zur Nordsee kann ich blicken, zu meiner Nordsee. Eine steife Brise weht hier oben, wie in guten Tagen auf See. Unter mir das Affenhaus, ein Stückchen weiter geht es nach Panama und weiter rechts nach Nordfriesland.
Ich drehe mich, so dass mir der erneuerte Weserdeich zu Füßen liegt. Winzig klein die Sonnenanbeter und Flaneure. Landeinwärts lacht mich ein Strand an, der mit allem Pipapo ausgestattet ist. „Nur Baden darf man in der Weser nicht“, sagt die Frau neben mir zu ihrem Begleiter.
Rundherum die Stadt, von der ich nichts kenne außer den Havenwelten. Die neuen Attraktionen wie das Klimahaus und Auswandererhaus direkt unter mir. Da ist es wieder. Fernweh. Und ich spüre, dass ich es nur noch mit Kuchen bekämpfen kann.
Im Café Lloyd’s am Deich besetze ich den letzten freien Tisch und lasse mir von der schwungvollen Kellnerin einen Apfelstrudel mit Vanilleeis empfehlen. Langsam komme ich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.
Doch jedes Fernweh hat eine stark anregende Wirkung. Und dieser Teil von Bremerhaven ist darauf spezialisiert. Denn der Duft der Weltmeere haftet am Lack der Riesenfrachter. Und manchmal sind es ein paar Kratzer, die eine Geschichte erzählen.
Text und Fotos: Elke Weiler
Schöne Beschreibung, so emotional. Mehr davon! :)
Moin,
schöner Artikel über Bremerhaven. Schau gerne mal bei meinem Blog vorbei: http://www.tobiashoiten.de
Habe dort auch ein paar Artikel über Bremerhaven online gestellt.
Beste Grüße
Tobias