Jedes Mal, wenn ich von der Nord- an die Ostseeküste Schleswig-Holsteins fahre, bin ich wieder überrascht. An der schmalsten Stelle, nämlich zwischen Husum und Schleswig liegen nur 36 Kilometer zwischen Küste und Küste. 40 Minuten, in denen sich das Land so sehr ändert. Dieses Mal wähle ich die Strecke mit der größten Entfernung zwischen den Küsten, also zwischen Sankt Peter-Ording und Fehmarn.
Allerdings fahre ich zunächst bis Heiligenhafen, 177 Kilometer. Je näher ich der Ostsee komme, umso mehr denke ich, ganz woanders zu sein. Die Landschaft hat etwas von der Lieblichkeit Südschwedens, von Skåne. Sie rollt förmlich, so behutsam hügelig nimmt sie sich aus. Geschliffen von eiszeitlichen Gletschern.
Hinter Kiel geht das los. Die Holsteinische Schweiz. Als würde dich das Land in Urlaubsstimmung bringen wollen. Als würde die Luft plötzlich süßlich riechen, doch es ist Herbst, und es zieht jener würzige, erdige Geruch von nassem Waldboden herauf. Selent, der See, Lütjenburg. Dann ein Schild zum Weissenhäuser Strand.
Als Kind habe ich dort meinen ersten und einzigen Familienurlaub in Deutschland verbracht. Sonst zogen wir immer gen Süden, nach Spanien, Kroatien und Italien. Bis an die Nordsee kamen wir nur in Holland, was ich als Kind mit Strandschaukeln und Apfelpfannkuchen verband.
Hätte ich mich damals schon in Nordfriesland verliebt? Seitdem mir das vor etwa zehn Jahren passiert ist, gehöre ich jedenfalls der Nordsee-Fraktion an. Schuld ist der wüstenartige Strand von Sankt Peter-Ording. Die Weite, der Wind, das Wilde. Ein Gefühl von Freiheit. Alles vergessen, dem Wind übergeben. Leben. Doch die Ostsee ist anders, ganz anders.
Ab und zu werfe ich gerne einen Blick auf die andere Küste. Und darum sind Julchen, Ente Emilia und ich in guter alter Roadtrip-Manier gemeinsam unterwegs. Neben Heiligenhafen wollen wir uns auch Fehmarn anschauen, das durch eine kurze Brücke mit dem Festland verbunden ist. Der östlichste Punkt Schleswig-Holsteins.
Der Wettergott meint es gut mit uns. Als wir in Heiligenhafen ankommen, knallt die Sonne dermaßen, dass es sämtliche Sonntagsausflügler und Urlauber an den Strand verschlagen hat. Einige gehen sogar schwimmen. Julchen und ich beziehen Quartier am Außenposten des Städtchens, auf der Landzunge.
Über eine schmale Brücke geht es zum Steinwarder, mitten in die Ferienzone. Unser erstes Ziel ist das Beach Motel, wo wir zwei Nächte verbringen werden. Nur ein Fahrrad- und Fußgängerweg trennt uns vom Strand. Zwischen den zahlreichen Gebäuden der Anlage sind Sand und Strandhafer wie Dünenlandschaften angelegt, wenn auch noch zart und jung, alles in Reih und Glied.
Nach dem Erfolg des Beach Motels in Sankt Peter-Ording haben die Macher das Konzept im letzten Jahr auch an die Ostsee importiert, gleiche Architektur, beste Lage. Nur, dass es hier keinen Deich gibt. Gut situierte Pärchen und junge Familien lümmeln sich in Sitzsäcken auf den Verandas oder sitzen auf gemütlichen Sofas im Foyer.
„Bist du allein?“, fragt man mich an der Rezeption. „Nein, mit Hund.“ Ich zeige auf Julchen, die sich bereits mit anderen Hunden im Eingangsbereich ausgetauscht hat. Denn auch die Hundefreundlichkeit gehört zum Beach Motel. So finden wir in unserem Zimmer zur Begrüßung Hundekekse neben den Näpfen und dem Hundebett. Plus ein Infoblatt mit Benimmregeln für Vierbeiner.
Ich lese Julchen alles vor, doch sie will lieber auf den Balkon. Dort hat sie nämlich den besten Überblick auf die Geschehnisse am Strand. Im Prinzip müssen wir also gar nicht rausgehen. Wollen wir aber. Also ich zumindest. Julchen ist zunächst ebenfalls recht motiviert, hat dann aber andere Pläne als ich, was die Richtung angeht.
Schließlich kann ich sie überzeugen, dass wir uns zum Hundestrand begeben. An die normalen Badestrände dürfen wir bis Ende September offiziell nicht – auch nicht mit Leine. Das macht die Sache etwas kompliziert, wenn man einfach stundenlang an der Wasserkante entlang schlendern will.
Die Sache mit der Ostsee ist die: Alle Strände sind schmal und daher bei normalem Badebetrieb gut gefüllt, zumindest in so beliebten Orten wie Heiligenhafen. Wir gehen also über den Fußgänger- und Radweg hinter den Dünen bis zum Hundestrand, über die sogenannte Seebrückenpromenade.
Am Strand ist einiges los, die Hunde toben im Sand und im Wasser, Julchen macht erste Bekanntschaften. Ich merke, dass wir beim Packen von Julchens Reisetasche etwas Wichtiges vergessen haben: ein Strandspielzeug. Stöckchen finden wir nämlich keine. Und da ihre Kollegen meist mit Herrchen oder Frauchen spielen, bellt Julchen mich auffordernd an: „Na, komm, wirf mir etwas!“
Zwar haben wir Yma mitgenommen, das lappländische Rentier, welches mir auf der Fähre zwischen Helsinki nach Travemünde zugelaufen ist, doch für Strandaktivitäten eignet sich die ansonsten recht beliebte Yma nicht. Der Hund soll sich bitte mit den Kollegen amüsieren. Doch ausnahmsweise fixiert sich Julchen ganz auf mich.
Und wenn es normalerweise Jule ist, die das Rudel in ein Café oder Restaurant führen will, indem sie die entsprechende Richtung einschlägt und bestimmt drauflos geht, steuere ich dieses Mal höchst freiwillig eine Lokalität an. Denn nach knapp 180 Kilometern und ohne Mittagessen hängt mir der Magen auf den Knien.
Was für ein Glück, dass die Portion Milchreis mit roter Grütze im „Holyharbour“ ebenso üppig wie lecker ist. Gut gestärkt für weitere Erkundungen ziehen wir weiter. Und genauso gestalten sich unsere Tage an der Ostsee: zu Fuß unterwegs, am Strand, die Farben des Meeres unter dem changierenden Herbsthimmel bewundernd. Blau und türkis bis grün, fein marmoriert, das ist die Ostsee.
Es regnet nie, auch wenn sich schwarze Wolken am Horizont aufbauschen. Ich mag diese dramatischen Lichtverhältnisse. Der Wind hält sich in Grenzen. Erst als wir nach Fehmarn übersetzen, frischt er auf. Wir suchen den Hundestrand von Meeschendorf im Südosten der Insel. Das Meer ist aufgewühlt, der Wind wuselt durch Julchens Fell. Alles ist anders als in Heiligenhafen.
Ungeschützter. Rauer. Spröder. Noch schmaler der Strand, an manchen Stellen wegen des eindringenden Wassers unpassierbar. Außer uns sind nur wenige Spaziergänger unterwegs, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Eine Schwimminsel wird von den Wellen hin und her geworfen. Wie eine Erinnerung an die letzten Stunden des Sommers.
Wir klettern über Tang und große, glatte Steinbrocken, springen über Pfützen und Rinnsale. Irgendwann geben wir auf. Julchen hat eh andere Pläne als ich, wie üblich. Sie interessiert, was in den Dünen passiert. Gibt es Hasen? Doch die dünnen Dünen sind abgesperrt, auch für Hunde. Tags darauf schafft der Hund es tatsächlich, aus einer ähnlichen Zone in Heiligenhafen eine trockene Brötchenhälfte herauszufischen. Und diesen Schatz will Julchen auf keinen Fall mit mir teilen.
Nicht, dass ich darauf erpicht gewesen wäre. Eigentlich will ich nur schauen, worum es sich handelt. Überflüssig zu erwähnen, dass Julchen ausreichend mit Futter versorgt ist. Dieses Brötchen hat sie mit Geschick herausgefischt, ungefähr mit der gleichen Zielstrebigkeit, wie sie Cafés und Restaurants auswählt.
Ich versuche, einen Spaziergang zu den berühmten Häusern am Graswarder zu unternehmen, doch Julchen zeigt wenig Interesse. Einem Pärchen, das hinter uns herläuft, kommt sie in die Quere. „Wertes Fräulein, weiter geht’s!“, meint der Mann zu Julchen, leicht amüsiert. Auf einen gepflegten Umgangston scheint Mademoiselle höchsten Wert zu legen, und wir können unseren Weg fortsetzen. Ein Stück weit.
Es wird Zeit, dass wir uns auf unseren Balkon zurückziehen. Zum Sonnenuntergang über der Ostsee. In diesem Punkt sind Julchen und ich uns einig. Hier oben könnten wir ewig sitzen und den Wolken zuschauen. Dem Licht, das sich ständig ändert. Dem Farbenspiel des Meeres. Als gäbe es nichts anderes.
Text und Fotos: Elke Weiler
Mit bestem Dank an das Beach Motel in Heiligenhafen, das meine Reise mit Übernachtung und Frühstück unterstützt hat. Letzteres übrigens sehr lecker! Und das lockere, unkomplizierte Miteinander von Gästen, Angestellten, Familien, kleinen Kindern und Hunden im Hotel hat uns Spaß gemacht.
Deine Bilder gefallen mir richtig gut, weiter so! :)
– Mandy
Danke dir, Mandy! :-)
Hey :-)
Der Artikel ist dir sehr gut gelungen und vor allem die Bilder sind wirklich wirklich schön :-)
Lieben Dank! :-)