Die Hunde laufen frei herum, überall in den Dörfern zwischen Pindaya und dem Inle-See. Über schmale Straßen schaukeln wir durch die Hügellandschaft im Osten Myanmars. Vor allem, wenn wir dem Gegenverkehr ausweichen, stoppen, halb von der Straße runterfahren.
Die rote Erde staubt hinter den Fahrzeugen, und ich werde müde.
Noch bevor wir den See erreichen, halten wir an einer Manufaktur für Papier. Eine Shan-Familie stellt es aus der Rinde des Maulbeerbaums her, wir können jeden einzelnen Schritt nachvollziehen. Zunächst wird ein wässriger Brei gestampft, die braune Masse dann auf Rahmen verteilt.
Es ist die Zeit der Kirschbaumblüte in Myanmar, und also rosa Zeiten für die Papiermacher. Die Kirschblüten werden ebenfalls auf die Rahmen verteilt, das duftige Ganze trocknet in der Sonne. Fast scheint es zu einfach, wie so ein Bogen entsteht. Doch die Shan-Familie stellt nicht nur einzelne Papierbögen her, sie unterhält auch einen kleinen Shop mit all ihren Produkten: Notizbücher, Umschläge, Laternen und vor allem Sonnenschirme aus Papier.
Vielleicht mache ich einen Fehler, wenn ich keinen der klassischen Schirme erstehe. Doch oft geht es mir am Anfang einer Reise so, ich brauche Zeit. Dieses Mal entzieht sie sich mir, die Minuten, Stunden, Tage scheinen wie nichts zu vergehen. Dicht und reich an Erlebnissen ist die Zeit und doch fliegt sie uns davon.
Erst auf dem Boot atme ich durch.
Wir steigen in der größten Stadt nördlich des Inle-Sees, in Nyaung Shwe, in die länglichen, motorbetriebenen Nussschalen. Noch ist es warm, die Abendsonne steht schräg am Himmel, und an der Anlegestelle kommen und gehen die Boote. Der Nyaung Shwe Kanal zieht sich über einige Kilometer, bis wir den See erreichen. Ein reges Treiben an Motorbooten, alle voll besetzt mit Einheimischen oder Touristen.
Einige spannen die in den Booten bereitliegenden Schirme gegen das Spritzwasser oder als Sonnenschutz auf. Es sind praktische, ganz normale Regenschirme, kein einziger handgemachter Papierschirm darunter. Dann weitet sich mit einem Mal der Horizont, das Wasser wird bewegter, die Welt windiger.
Unser Ziel liegt ganz im unteren Zipfel des langgestreckten Inle-Sees, das Amata Resort mit seinen Gartenhütten im Südosten des Sees. Zwar wäre es auch über eine Straße parallel zur Küste zu erreichen, doch diese Anfahrt übers Wasser, die sich ins Unendliche dehnt, der Sonnenuntergang und die schnell sinkende Temperatur lässt uns ein intensives Gefühl für den See bekommen.
Ich fühle ihn auch auf der Haut. Immer wieder spritzt das Wasser über die Bootskante, also spanne ich einen der Schirme auf. Die Strickjacke ziehe ich ein bisschen fester zusammen, und genieße den Anblick der grünen Berge zur Linken. Da tauchen sie auf, jemand muss ihnen Bescheid gesagt haben. Es sind ein paar der Einbeinruderer, die mit ihren Körben auf den Booten jonglieren. Je näher wir kommen, desto komplexer wird die Choreografie.
Sie machen das für uns, für die Fotos, für ein paar Kyat. Längst kann man auf dem See besser und schneller Geld im Tourismus verdienen als traditionell wie die Fischer oder Bauer in den Schwimmenden Gärten. Es ist eine Art Show zum Sonnenuntergang, eine Foto-Session im Gegenlicht. Dann docken die Boote an, und der Erste sagt: „Money…“
Vielleicht sind wir desillusioniert, vielleicht haben wir erwartet, dass der Tourismus in Myanmar noch in den Kinderschuhen steckt. Doch dem ist nicht so. Auf der touristischen Route durch das Land läuft alles wie am Schnürchen. Und wir erfahren, dass es bereits Ende der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts angefangen hat.
Im Zwielicht des Abends steigen wir aus den Booten und laufen durch den Garten des Amata Resorts. Alles ist so friedlich am See, keine Spur von den Konflikten, die im Norden von Myanmar brodeln. Das Wasser wirkt sanft in der Dämmerung, nur aus Ferne klingen noch die vereinzelten Geräusche der Motorboote. Wir wissen, hier könnten wir eine Weile bleiben.
Gleich am nächsten Tag werden wir einem echten Fischer begegnen, der mit dem Bein rudert, um beide Hände für das Ziehen der Netze frei zu haben. Unsere Begleiterin Su informiert uns über das Fischangebot im Inle-See, das vom Schlangenkopffisch über Karpfen und Aal reicht. Ein Problem, von dem sich der See nur langsam erholt, ist der chemische Dünger, der hauptsächlich für den Tomatenanbau in den Schwimmenden Gärten des Sees verwendet wurde.
Das hat den Fischbestand dezimiert, noch immer erholt sich der See. „Die jungen Leute zieht es in die Städte“, sagt Su. „Sie wollen immer seltener Fischer oder Bauern werden.“ Und weil die Jüngeren am liebsten fortgehen, werden es immer weniger am See, etwa 100.000 Inthas leben hier – von insgesamt 170.000 Einwohnern rund um den Inle-See.
Schwer zu verstehen, warum sie einen Ort wie diesen verlassen. An jenem Morgen glänzt der See. Gestern noch schäumte er im Wind, heute zeigt er sich glatt wie ein Spiegel, der jede Farbe, jeden Schatten, jede Form reflektiert. Es herrscht Trockenzeit. Später, im Sommer, wird das Wasser an einigen Stellen so flach, dass man zu Fuß durch den See spazieren kann.
Der Bootsführer reduziert die Geschwindigkeit. Wäre da nicht das ewig knarrende Motorengeräusch, wir könnten dem See lauschen, seinem leisen Plätschern zuhören. Goldene Pagoden leuchten in der Sonne, die Symbole eines buddhistisch geprägten Landes. Die Shan-Berge liegen im Morgendunst, die Netze der Fischer sind noch leer.
Wir schippern durch Dörfer, deren Häuser auf Stelzen gebaut sind. Im Rhythmus des Wassers wiegen sie sich kaum merklich hin und her. Das sehen wir nicht, doch später werden wir es fühlen. Wir wollen den Intha begegnen, den Menschen des Sees. Zunächst besuchen wir die Werkstätten der Weber. Ein Frau zieht Lotusfäden aus den Stängeln, immer wieder ziegt sie uns, wie das geht. Wie zart und zugleich stark die Fäden sind. „Fühlen Sie mal!“, ermuntert uns auch Su.
Das Dorf In Phaw Kone lebt von diesen traditionellen Webereien, die Lotus und Seide verarbeiten. Ganz im Süden, in den letzten Verästelungen des Sees liegt es, noch unterhalb der Schwimmenden Gärten. Die Seide aus dem Osten des Shan Staats wird hier eingefärbt und gemeinsam mit dem Lotus verwebt. Zwar gibt es auch reine Lotus-Stücke, meist schmale Schals, doch diese sind relativ teuer.
Lotus fühlt sich am Anfang noch hart wie Leinen an, doch der fertige Schal ist wunderbar weich und soll im Sommer gut kühlen. Überall das eifrige Geklacker der Webstühle, eine erst am Abend endende Geschäftigkeit. Die Menschen lächeln zurück. Wenn du lächelst, ist das Eis sofort gebrochen, die Schüchternheit, der Ernst wie weggeblasen. Und es gilt, was Su schon am Anfang sagte: „Das Lächeln kann einen gesprochenen Gruß ersetzen.“
Wieder sitzen wir in den Booten, sehen im Vorbeifahren in die fragilen Bambusbauten auf dem Wasser, die Menschen, die vor den Häusern hocken und Wasser abschöpfen. Bis wir vor einem halten. Und dem Ehepaar Shwe Myint und U Moe So einen Besuch abstatten. Gleich über dem Hauseingang baumelt ein Säckchen mit Ingwer und Steinen gegen die bösen Geister. Denn neben dem Buddhismus existiert auch der aus dem Animismus verbliebene Geisterglaube in Myanmar.
Aus der Nachbarschaft dringen Kinderschreie bis in den ersten Stock des leichten Bambushauses. „Ein Kindergarten“, meint Herr Moe So auf Birmanisch, und Su übersetzt für uns. Selbst hat das Paar 13 Kinder in die Welt gesetzt, von denen zwei verstorben sind. Die Jüngste sei inzwischen 19 Jahre alt. Sieben Kinder wohnten noch zu Hause, und wir dürfen einen Blick in die Schlafstube werfen, wo sich Matratze an Matratze reiht.
Wie eine Spielwiese aus bunten Decken wirkt die rechte Raumseite, denn nachts wird es empfindlich kalt am Inle-See, da sinkt das Thermometer gerne mal auf ein paar Grad plus. Nur das Nachtlager des Ehepaars ist mit einem Hauch von Privatsphäre umgeben. Es liegt gegenüber den anderen und profitiert von ein paar Tüchern als Raumtrenner.
Frau Myint zeigt uns ein Bild der kompletten Familie aus vergangenen Zeiten. Manchmal schlägt sie sich leicht auf die Brust. Der Husten. Während draußen die Sonne auf das blechgedeckte Dach brennt, fährt ein Windhauch durch die luftige Architektur. Wir trinken Tee, und Herr Moe So erzählt von seinen Anfängen im Tourismusbereich.
Seit 1996 entwickele sich der Tourismus am See stetig, und die kleinen Orte profitierten davon. Mussten die Kinder früher andernorts zur Schule gehen, verfügen sie heute über eigene Räumlichkeiten und Lehrer in den Dörfern. Hotels und Restaurants sind überall auf und am See entstanden. Gegen Ende der 90er Jahre habe U Moe So die Arbeit gewechselt, sei vom Fischer zum Bootsfahrer für die Touristen geworden.
Auch ernähre man sich nicht mehr nur von den Produkten des Sees, sondern führe mit dem Motorboot zum Einkaufen auf den städtischen 5-Tage-Markt. Nur bis 2002 existierten noch schwimmende Märkte auf dem See. Eine staatliche Rente gäbe es nicht, so lebt das Paar heute von seinen Kindern, die wiederum vor allem im Tourismus arbeiten.
Wir reden über das Gesundheitswesen. Behandlungen im städtischen Krankenhaus seien gratis, so Herr Moe So. Doch für die Medikamente bezahlt man in Myanmar. Zwei Krankenhäuser gäbe es sogar am See, doch für größere Operationen müsse man in die Hauptstadt des Shan Staates, nach Taunggyi, fahren. Können sich Ärmere denn überhaupt Medikamente leisten? Doch, meint er, denn sie würden oft von Reichen gespendet werden.
Wir spüren das leichte Schaukeln des Wassers im Haus. Herr Moe So wurde auf dem See geboren, erzählt er, und er wüsste, wie er hier leben kann. Etwas anderes kommt für ihn nicht in Frage. Und da ist diese Ruhe auf dem See, die Ruhe der Intha, der Menschen am See. Als strahle er auf sie ab, als sei er ein Teil von ihnen, wie sie von ihm.
Text und Fotos: Elke Weiler
Natürlich haben wir auch am Inle-See wieder Tempel und Kloster barfuß besichtigt. Wir haben Frauen zugesehen, die Cheroot-Zigarren drehen, und probeweise geraucht. Männern, die lange, schmale Boote bauen. Und kleine Boote mit Einbeinruderern als Souvenirs. Ich habe es genossen, zwei Tage lang am See zu leben. Jede einzelne Begegnung, jede einzelne Bootstour. Ich habe mich auf traditionelle Art im Resort massieren lassen. Was sich ein bisschen wie Thailändisch anfühlt, und doch ganz anders ist. Gerne wäre ich noch länger am Inle-See geblieben.
Und dann wären da noch zahlreiche Fotos, die die Schönheit des Sees preisen, und für die hier leider kein Platz mehr ist. Vielleicht kreiere ich noch eine Galerie, wenn die Geschichte hier zu Ende erzählt ist? Die Farben waren fast zu satt an jenen Tagen am Inle-See.
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