Weg. Der Boden war nicht mehr da! Die Kieselsteine, das Holz, der Stall. Sogar das erste zarte Pflanzengrün – alles futsch! Monsieur wollte mich in den Garten abschieben, doch ich war skeptisch. Was höchst selten vorkam. Aber ohne Boden würde ich vermutlich rutschen, fallen, sinken und in unbekannten Sphären landen.
Also lieber erst mal kräftig frühstücken, damit ich für die Expedition ins kühle, weiße Nirgendwo gerüstet war. Mein frecher Katerfreund bot an, die Lage per Fensterguck zu sondieren. Was für eine Hilfe. So würde ich also allein zur ersten Polarreise meines Lebens aufbrechen. Ohne Mats. Ohne Emil. Nur auf mich gestellt.
Wieder öffnete Monsieur die Tür. Konnte man nicht mal fünf Minuten über den Sinn des Daseins nachdenken? Mein Leben hier war zu kurz, um schon ins nächste überzugehen. Bald würde ich meinen Verlobten wiedertreffen. Bislang hatte ich noch keine Flaschenpost von Emil aus Rügen bekommen.
Und Katerchen Mats! Er brauchte Unterstützung, Hilfe, Zuwendung – vor allem Erziehung! Schließlich trug ich die Verantwortung. Die klassische Zwickmühle. Hinter mir drängelten Monsieur und Mats. Alles hing an mir, die Zeit drängte. Vorsichtig wagte ich den ersten Schritt, taps, den zweiten, taps, drei, vier. Zart bis wolkig fühlte sich das kühle Weiß unter den Pfoten an. Fantastisch.
Wonne! Schnee! Ich kannte das doch von der Hummelwiese. Damals hatten wir sieben Knuddelbabys draußen wilde Parties gefeiert. Königinmutti und -vati hatten weder Kosten noch Mühen gescheut, uns zu unterhalten. Und wir Naivlinge dachten, sie hätten das weiße Wunder extra für uns hervor gezaubert. So wie sämtliche Lutscher, die zu unserer Zerstreuung antanzten.
Nun sah ich klarer. Ich nahm alles viel bewusster wahr. Ich ging den Dingen auf den Grund. Ich buddelte. Auch Madame erschien auf der Bildfläche und fand Gefallen am Schnee. Sie entwarf und warf Bällchen, die ich gierig mampfte. Mehr!
Was für ein Gefühl, seine Schnauze tief in den Schnee zu stecken. Denn das weiße Wunder hielt alle interessanten Düfte unter sich verborgen. Der Schnee machte aus allem und jedem ein ganz großes Geheimnis. Eine Herausforderung für jede ernsthafte Forscherin.
Madame verlagerte ihren Tätigkeitsschwerpunkt. Denn meine süße Schnauze – aktuell weiß gepudert – ließ die Superreporterin in Verzückung geraten. Statt standesgemäß herum zu toben, musste ich posen, posen, posen. Wie die Knipserin meines Vertrauens mit dem zarten Kontrast von kühler Transzendenz und rustikaler Fellmatte später umging, war mir wurscht. Blütenweiß und Schmuddelbeige – Madames Problem. Ich war einfach zum Jodeln glücklich.
Als dann auch noch mein alter Freund Buddy mit seinem Rudel auf der Matte stand, kam ich aus dem Knutschen gar nicht mehr raus. Der Kerl hatte sich zu einer echten Sahneschnitte gemausert, bestimmt liefen ihm die Husumer Hundepüppchen scharenweise hinterher. Buddy fühlte sich ganz wie Zuhause und betüddelte sämtliche Plüschtiere. Hallo, ich war auch noch da! Aber nö, die Sahneschnitte wollte lieber in Sahnenähe bleiben, statt sich mit mir im Garten zu vergnügen.
Als wir nach der obligatorischen Kuchenschlacht endlich meinen Deich erreichten, forderte ich ihn zum Eistanz auf. Sekunden-, minuten-, stundenlang. Wieder nix. Der Junge war sich treu geblieben, beziehungsweise den Stöckchen. Natürlich kannte ich in meinem Revier jedes Stöckchen mit Namen und versuchte, bei Buddy Eindruck zu schinden. Mein Ex-Welpenfreund blieb cool. Da konnte ich noch so mit den Hüften wackeln! Hüpfen, Segeln, Singen!
Erst am Schluss, als mir langsam die Pfoten abfroren, wollte Buddy plötzlich toben. Er erhob die Stimme. Wums. Mit diesem Brummbass würde er in jeder Bluesband mit Kusshand angenommen. Himmelschafundmeer, wie mich das vom Deich fegte! Lieber brachte ich ihm noch ein paar Stöckchen, damit er mir weiterhin wohlgesonnen blieb.
Und dann fiel es mir wieder ein: In Grönland unterschieden sie angeblich 40 verschiedene Sorten Schnee. Oder 100? Egal, die Grönlutscher kannten sich einfach aus. Bestimmt wussten sie auch das: Der Schnee veränderte alles. Doch mit der Leichtfüßigkeit eines Hasen veränderte ich ihn. Ich musste Buddy und den Anderen nur zeigen, wie das ging.
Alles ist möglich. Wenn du ein Schneehase bist.
Text: Julchen (nach Diktat die grönländische Staatsangehörigkeit beantragt)
Fotos: Elke Weiler
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