Lutscher waren sehr spezielle Wesen. Lang und meist flach in der Form, um nicht zu sagen platt wie die Schollen, und mit einer Schaltzentrale ausgerüstet, die relativ weit von der Erde entfernt war. Sie rochen und hörten schlecht, sahen aber offenbar ganz gut. Oft waren sie kilometerweit entfernt vom Geschehen um sie herum, was vermutlich an der erhöhten Lage der Schaltzentrale lag.
Unsereins hingegen lebte mit jeder Faser im Hier und Jetzt. Die Nase auf dem Boden oder den Blick in die Ferne gerichtet, wo die Occupy-Bewegung ihr Unwesen trieb. Trotzdem liebte ich Lutscher, oder gerade weil sie so verschroben waren. Vielleicht galten wir darum als Dreamteam. Wir ergänzten uns optimal. Lutscher konnten von unsereins lernen, wie man das Beste aus dem Tag herausholte. Wie man das Leben mit jeder Faser lebte. Wie man sich optimal im Sand wälzte.
Im Gegenzug bereiteten sie kulinarische Highlights zu und kraulten uns mit magischen Händen. Oft hatten sie liebliche Stimmen und konnten singen. Nicht selten galten sie als äußerst begeisterungsfähig gegenüber unsereins. Das war mir gerade noch passiert.
Nach einer erneuten, unerlaubten Abwesenheit von Madame, die sich im viel zu weit entfernten Spanien herumtrieb und dort Köstlichkeiten aß, von denen wir nur einen Bruchteil abbekamen, nämlich Manchego, war das Rudel endlich mal wieder komplett. Also enterten wir St. Buddel.
Die Saison hatte bereits begonnen, so dass die Auswahl an Lutschern und Kollegen beachtlich war. So geschah es, dass wir bereits auf dem Weg durch die Dünen eine Ferienlutscherin erster Güte trafen.
Als sie mich sah, war sie sofort hinüber. Verliebt bis über beide Öhrchen! Sie wollte ein Baby von Janni und mir adoptieren. Ich überhörte das und bot ihr an, sie ersatzweise selbst zu begleiten. Immer noch sah ich gewisse Vorteile im Einzelhunddasein und die Kooperation mit verliebten Lutschern schätzte ich besonders.
Doch dann entschied ich mich doch für Madame und mein Rudel, wir Hunde sind eben Gewohnheitstiere. Und eigentlich war ich eine recht zufriedene Chachaputi. (A.d.R.: Wort aus einem verschollenen Inka-Dialekt, das soviel wie Sonne im Herzen und Hummeln im Hintern bedeutet.)
Also lief es im Großen und Ganzen rund, sah man mal von meiner gescheiterten Kandidatur als Lammkönigin der Herzen ab. Sollte ich es noch einmal versuchen? Vielleicht musste ich mich mehr in die Spezies Schaf hineinversetzen, der ich doch, glaubte man den Aussagen diverser Spazierlutscher, relativ ähnlich sah.
Ok, was taten die Schafe für gewöhnlich – außer die Deiche im Frühjahr besetzen? Sie fraßen Gras und gebaren Lämmer. Ich vermutete, dass das in keinem ursächlichen Zusammenhang stand. Also konnte ich getrost das Grünzeug probieren, ohne gleich lammschwanger zu werden und mir danach „Mähmäh“ in die Plüschlöffel tuten zu lassen.
Auch die Rennplüsche, die bekannterweise ihre Produzententätigkeit aufgegeben hatten und sich jetzt nur noch gesellschaftlichen und kulinarischen Dingen widmeten, liebten Gras. Irgendetwas musste an diesem Grünzeug also dran sein.
Monsieur wunderte sich sehr, als ich anfing, einzelne Halme abzurupfen und zu kosten. Er vermutete stark, dass ich krank wäre und setzte sich vor den Flimmerschirm, der die Weisheit der Welt in sich barg. Er tat, was die Spezies Lutscher in Momenten wie diesen tut. Wenn sie nicht mehr weiter wussten. Er gugelte das Phänomen „Hund frisst Gras“.
Warum fragte er nicht einfach mich? Und warum wusste er nicht, dass ich von Natur aus eine Entdeckerin war? Vasco da Gama ein Witz dagegen. Oder hatten die großen Eroberer jemals mit Detailforschung angefangen? Am Strand gebuddelt und den gegenüberliegenden Erdpunkt anvisiert?
Waren sie jemals so gründlich wie ein Beardie in St. Buddel gewesen? Oder ging es ihnen einfach nur darum, ihre Fahne auf fremden Böden zu hissen? Lutscher hatten oft absurde Vorstellungen vom Leben. Meine Psychoanalytikerin Mademoiselle Julie riet mir, alles rauszulassen und wie verrückt mit dem Dicken über den Strand zu tollen.
Janni hatte sich zu einem ansehnlichen Pummelschwein entwickelt, das seinen Charme gegenüber dem weiblichen Hundiversum eher instinktiv einsetzte. Für mich war es essentiell, dass er gut tanzen konnte.
Unsere Spiele waren rustikal und intensiv. Auch stand er nach wie vor auf meine Spezialität, Strand-Shiatsu, und warf sich bei jeder Gelegenheit auf den Rücken. Trafen wir Kollegen am Strand, fühlten sie sich hin und wieder von unserem gebündelten Temperament überrannt.
Aber man konnte nicht auf alles Rücksicht nehmen, wenn das Lebensmotto „Carpe diem“ hieß. Ich beschloss eine Rudelvergrößerung, denn die Housekeepingstelle war immer noch unbesetzt, und jemand musste die Sache in die Pfote nehmen. Wenn ich mich erneut als Lammkönigin der Herzen bewarb, hatte ich keine Zeit mehr hier einzuspringen.
Dabei betraten immer wieder Unbefugte unseren Grund und Boden, zuletzt ein impertinentes Igeltier. Fragte ich es aufgebracht, was es in meinem Aufsichtsbereich so anstellte, igelte es sich ein.
So konnte man doch nicht kommunizieren! Kulturelle Unterschiede überwinden! Nur miteinander reden half. Doch Madame mahnte mich, ich hätte mich im Ton vergriffen. Ja, Himmelschafundmeer!
Konnte ich denn ahnen, dass Stacheltiere derartige Sensibelchen waren? Madame hatte scheinbar ein Händchen für komplizierte Wesen, denn unter ihrer Ägide entspannte sich das Tier und begann unser Gartengrün zu fressen.
Ich verstand nur Ackergülle, und das Pummelschwein auch. Janni versuchte sich dem Eindringling sachte zu nähern, doch Madame schottete das Pieksbällchen komplett ab. Sie hatte eine Art Bannmeile für Igelbesuch errichtet.
Es war zum Pferdeäpfelpürieren. Der Dicke arbeitete schon viel zu lange an einem Konzept für seine neue Interviewreihe „Kumpelgespräche“. Auch das Rastaschaf schuldete mir als Ressortleiterin noch jede Menge Stories. Vor allem, seitdem er Besuch von seinem Herzblatt, einem hübschen Schlafschaf aus Hamburg, bekommen hatte.
Ich musste mich auf das Wesentliche konzentrieren, als wir dem Schollen-Städtchen Tönning einen Besuch abstatteten. Es war kurz vor dem großen Eierfest, und vielleicht konnte ich mich in diesem Jahr als Osterhase etablieren.
In der Vergangenheit hatten die Rennplüsche es immer geschafft, sich das prestigereiche Amt unter die Pfote zu reißen. Und was musste ich in Tönning sehen? Einen Osterhasen, der im Hafen herumpaddelte. Drei Mal Himmelschafundmeer! Waren jetzt alle guten Jobs bereits vergeben?
Text: Julchen (nach Diktat eine Anzeige aufgegeben: „Versierter PR-Lutscher oder -Vierbeiner kurzfristig für Kampagne gesucht“)
Fotos: Elke Weiler
Danke für die tollen Eindrücke Julchen. Toller Bericht und super Bilder! :))
Macht richtig Lust auf eine Reise
Gerne, Karin! Dafür bin ich ja hier. Und dass es so schön ist in St. Buddel, das kann man gar nicht oft genug schreiben. :-)