Der Fluss

Kanu-Tour

Das Mökki, der See, der Fluss lauten die perfekten Komponenten eines Finnlandurlaubs. Hauptsache draußen, in der Natur. Auch etwas Bewegung ist unvermeidlich. Was das Wandern betrifft, weiß ich inzwischen: Traue nie einem Norweger, wenn er sagt, der Weg sei leicht. Aber wie steht es mit den Finnen und den Flüssen?

Wir treffen uns schon früh am Morgen mit den Anderen am See Naarajärvi. Die Kanus liegen in der Sonne, quasi startklar. Nur ein paar Dinge müssen noch verladen werden, Jussi hat viel vor. Er kennt nicht nur den Fluss und die richtige Paddeltechnik. Er will auch finnisch für uns kochen, später.

Mit von der Partie sind ein Paar mittleren Alters aus Hamburg, Sabine und Matthias, eingefleischte Kanu- und Kajakfahrer. Sowie die beiden in Finnland lebenden Russinnen Ana und Anastasia. Wir schleppen Dinge hin und her, unterhalten uns zum Warmwerden ein bisschen. Ana gibt mir quasi einen Einsteigerkurs in Finnisch.

„Du muss die Wörter immer auf der ersten Silbe betonen“, meint sie auf Englisch. Wenn ich mir auch nur eines dieser verwirrenden, langen Wörter merken könnte! Finnen scheinen jede einzelne Silbe ihrer wunderbaren Sprache auszukosten, sie setzen sich geradezu hinein. Um nicht zu sagen, sie singen.

Erstmal Zickzack fahren

Ich steige in eines der Kanus, Jussi sitzt hinten, ich vorne. Damit ist klar, dass der Guide lenkt. Wir winken meinen Gastgebern Jenni und Pasi am Ufer zu – in der Hoffnung, sie am Ende des Tages in alter Frische wiederzusehen. Allerhöchstens leicht erschöpft von der körperlichen Aktivität.

Vor uns liegt eine Strecke von etwa 23 Kilometern, was sich für mich recht sportlich anhört, auch wenn wir den ganzen Tag Zeit dafür haben. Wann sitze ich schon mal in einem Kanu oder Kajak? Und von dem 25-jährigen Erfahrungsschatz der Hamburger bin ich genauso so weit entfernt wie die Erde vom Mond.

Am Naarajärvi
Start auf dem Naarajärvi

Ana und Anastasia scheinbar auch, denn sie fahren Zickzack. Was auf dem See noch nicht so sehr ins Gewicht fällt wie auf dem Naarajoki, unserem Fluss. Denn sobald wir den ruhigen Naarajärvi verlassen, beginnt unser Abenteuer. Paddeln, paddeln, paddeln. Der Fluss ist schmal und flach, hat Ecken und Kanten. Steinbrocken und quer liegende Äste versperren nicht selten den Weg, manchmal teilt sich der Fluss, um uns zu verwirren, oder überrascht uns gar mit Stromschnellen.

Unter Jussis Ägide und mit ein paar sportlichen Moves in letzter Sekunde schaffen es alle. Um Sabine und Matthias muss man sich sowieso keine Sorgen machen. Die Mädels hingegen weiten die Strecke auf das Doppelte aus, dem Zickzack-Kurs sei Dank. Und ich habe die Möglichkeit, zwischendurch viel zu fotografieren, Jussi sei Dank.

Natürlich brauchen wir viel länger als geplant, nennen wir es mal „Slow Canoeing“. Jussi weiß, an welcher Stelle sich immer ein paar Biber aufhalten, doch außer einem Huschen ins Wasser können wir nichts und niemanden erkennen. Verdammt scheu, diese Tiere. Wir finden den ersten Rastplatz, doch Jussi entscheidet, dass er sich nicht eignet. Er will richtig brutzeln.

Mit knurrenden Mägen paddeln wir weiter. Die finnische Luft macht einen hungrig wie ein Bär. Außer ein paar Vögeln lässt sich kein Waldbewohner blicken. Um uns herum flirrendes Licht, das Schmatzen und Gurgeln des Flusses, das leise Säuseln des Windhauchs in den Blättern. Versteckt sich die Sonne für einen Moment, wird es frisch.

Tanzen als Ausgleich

Wenn uns die Arme wehtun, machen wir etwas falsch, meint Jussi. Mir schmerzt eher die Seite, die meinem aktiven Arm gegenüber liegt, entgegne ich. „Wechsle mal!“, rät Jussi. Um mich abzulenken von der Eintönigkeit des Paddelns, frage ich ihn, was er sonst so macht. „Tanzen“, antwortet der Guide. So habe er auch seine Frau kennengelernt.

Lunch-Spot
Ofen gefunden!

Es sei ein guter Ausgleich für die eher einseitige Belastung beim Kanufahren. Er tanzt sämtliche Standards, und natürlich auch finnischen Tango. Ich sehe ihn schon mit seiner Frau übers Parkett schweben, als wir endlich unsere Futterstelle erreichen. Das Herausschälen aus dem Kanu ist mit der Inbetriebnahme der unteren Körperhälfte verbunden. Was für eine Wohltat, wieder zu laufen!

Fischsuppe à la Jussi

Und seien es nur die 50 Meter bis zur Hütte, die sogar mit einem Ofen ausgestattet ist. Genauso, wie Jussi es wollte. Wir tragen unsere Verpflegung zur Hütte, während der Chefkoch das Feuer anschmeißt. Auf dem Menu steht: finnisches Roggenbrot in Ringform „Ruisleipä“, karelische Piroggen mit Reis „Karjalanpiirakka“, bröseligen Käse für jede Gelegenheit und Fischsuppe à la Jussi.

Fischsuppe
Finnische Fischsuppe

Ana hat nur noch Zeit für einen Happen: Sie verabschiedet sich, denn sie muss noch arbeiten. Ich schaue Anastasia verwundert an. „Du paddelst allein weiter?“, will ich wissen. „Nein, du!“, meint sie schlagfertig. „Ich steige zu Jussi ins Boot.“ Die Sache ist die: Jussi wird allein weiterfahren, während Anastasia und ich auf Zickzackkurs gehen. Weitere Zeitverzögerungen stehen bevor.

Aber immerhin sind wir nun gut gestärkt. Jussi hat sogar selbstgemachten Blaubeersaft mitgebracht, eine Köstlichkeit. Und das ist noch nicht alles, denn unser Guide hat ein Dinner eingeplant. Es gäbe eine Feuerstelle am Endpunkt unserer Reise, dem See Niskajärvi. Das klingt verlockend und aufbauend.

Als Sabine und Matthias sehen, wie sich das Mädelsduo abquält, bieten sie uns einen Wechsel an: Sabine klettert zu Anastasia ins Kanu, das ich zuvor versucht habe zu steuern, verzweifelt. Ich darf bei Matthias mitfahren. Die beste Idee, seit es Canoeing gibt! Endlich kommen wir in einem normalen Tempo voran, können unsere Kräfte schonen.

Wo der Naarajoki im Niskajärvi verschwindet

Was gut so ist, denn wir ahnen nicht, was uns erwartet. Wir wissen nichts über den Niskajärvi und auch über das Wetter konnten wir bislang nicht klagen. Kaum Regen, wenig Wind, nie zu heiß oder zu kalt war es. Doch als wir aus dem Schilf heraus steuern, ändert sich alles.

Der See liegt vor uns, wir müssen ihn schräg durchqueren. Nur eine Insel ist in der Mitte, ansonsten die freie Fläche, die dem Wind zum Opfer fällt. Die Wellen arbeiten gegen uns. Um uns nicht zu verlieren, um Meter für Meter voranzukommen, geben wir alles. Wir paddeln gegen die Angst und die äußeren Kräfte, selbst Sabine und Matthias sehen jetzt nicht mehr entspannt aus.

Jussi, allein im Kanu, paddelt rechts und links, er wechselt häufig, um Zickzack zu vermeiden. Trotzdem ist er der Schnellste, und wir folgen seinem Kurs. Wir verlieren Anastasia und Sabine aus den Augen, beschließen das Schilf am Rande anzusteuern, um die höchsten Wellen in der Mitte zu meiden.

Das Wasser drückt uns ins Schilf hinein – dass ein See so viel Kraft entwickeln kann! Trotzdem fühlen wir uns hier sicherer. Auch Anastasia und Sabine haben denselben Kurs gewählt. Jussi ist vor uns, er hat den Endpunkt der Strecke fast erreicht. Wir brauchen etwas länger, weil uns das Schilf ausbremst, kommen jedoch ungefähr gleichzeitig mit den Anderen an.

Unglaublich erleichtert fallen wir uns in die Arme. Überlebt. Zeit für ein Siegerfoto mit noch zittrigen Knien. Der Niskajärvi wirkt so friedlich aus der Ferne. Wir liegen im Gras auf einer kleinen Anhöhe, das Leben ist schön. Jussi brät Gemüse und Hähnchen im Wok. Derartige Erlebnisse schweißen zusammen, wir fühlen uns wie eine Familie.

Dem Naarajoki sei Dank.

Text und Fotos: Elke Weiler

Mit Dank an Visit Finland und Rock & Lake Cottages, die meine Reise ins finnische Seengebiet unterstützt haben.

12 thoughts on “Der Fluss

    1. Glücklicherweise hatten wir ja vorher gewechselt, und mit Matthias hatte ich einen erfahrenen Kanufahrer an Bord. In den schlimmsten Minuten am Ende hatte ich auch keine Zeit zu fotografieren, dann wären wir vermutlich gekentert! :-)

  1. Liebe Elke!
    Was für ein toller Bericht!
    Ich saß noch nie in einem Kanu, bekomme aber immer größere Lust das mal auszubrobieren… Danke dafür :-)
    Viele Grüße aus Schweden!
    Rike

  2. Hallo Elke,

    dein Bericht klingt wirklich spannend. Und die Fotos sind toll. Mich würde interessieren, wie sich deine Arme am nächsten Tag angefühlt haben. :-D

    Lieben Gruß

    Elisa

  3. Cooler Bericht. Die Finnen scheinen ja einiges gewohnt zu sein. Kräftige Fischsuppe und selbstgemachter Blaubeersaft ist sicher perfekt bei so einem anstrengenden Paddelabenteuer.
    Mann so ein Kanu-Trip wäre genau das richtige für mich. In den kommenden Wintermonaten dürfte das aber schwierig werden, stimmts?

    Alles Gute,
    Tom

  4. Herrlich! Wir sind mal in Dänemark einen Fluss HOCHgepaddelt von der Nordsee aus. Das war der Irrsinn, so lange uns der Wind ins Gesicht wehte. Bis zur Flußbiegung war es aber deutlich kürzer als Euer See aussieht. Ahoi, Stefanie

  5. Danke, liebe Stefanie! Ja, man sollte Flüsse und Seen nie unterschätzen, sie können sich in Nullkommanix in wilde Furien verwandeln. ;-) Aber schön zu sehen, wie einen solche Erlebnisse verbinden und sich dann dieses Familiengefühl ausbreitet. Liebe Grüße nach Hamburg!

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