Reggae & Rastafari auf Saint Lucia
Werbung – Kennzeichnung aus Gründen der Transparenz, da die Kosten dieser Pressereise vom Saint Lucia Tourist Board übernommen wurden.
Ich höre Musik, fast die ganze Zeit dieses eine Lied: One love, one heart. Irgendwo habe ich es gehört, Bob Marley ist allgegenwärtig auf Saint Lucia, auch an jenem Sonntagmorgen. Wir sitzen im Bus, gefahren von David, einem Rastafari, der sein Haar unter einer turmartigen schwarzen Mütze verbirgt.
David erzählt gerade, dass es zwei Sonntagsmessen gibt. Eine Frühe für die älteren, eine Späte für die jüngeren Kirchgänger. Hier und dort sehen wir gestylte Fußgänger auf dem Weg, denn für die Messe wirft man sich in Schale wie für eine Hochzeit. Jedes Haar sitzt. Wir hingegen sind eher sportlich unterwegs, viel zu leger, um vielleicht dem Gospelgesang in einer Kirche zu lauschen.
Wir wollen uns im Regenwald von Baum zu Baum schwingen, an dünnen Drahtseilen hängend. Ziplining nennt sich das, oder auch Canopy, wie ich es in Costa Rica ausprobiert und für gut befunden habe. Für sehr gut. Ich freue mich also, höre nicht die Unkenrufe der Anderen, verdränge die Bilder von Taranteln oder Schlangen, die aus Bäumen fallen.
Der schöne, fast nostalgisch wirkende weiße Bus, den David hegt und pflegt und hütet wie seinen Augapfel, brettert über schmale Straßen. Dörfer mit bonbonbunten Häusern liegen wie Farbtupfer auf dem Weg zwischen Rodney Bay und Babonneau, wir sind im Nordwesten der Insel. Sieht man mal von der Hauptstadt Castries ab, erscheint die Insel wie eine Komposition aus Grüntönen. Überall dichte Vegetation zwischen Himmel und Karibik.
Spielball der Nationen
Als Farbtupfer dazwischen die Häuser in Pink, Türkis, Grasgrün, Orange, Sonnengelb. Ich sehe nach draußen, beginne zu fotografieren. Da fragt Petra: „Sollen wir einen Stopp einlegen?“ Es ist der Anfang vom Ende unserer Ziplining-Tour, doch wir sagen ahnungslos Ja. Warum nicht den Weg zum Ziel machen? David fährt wieder ein Stück zurück, und wir steigen in einem kleinen Ort namens Fond Assau aus. Auf eine Kokosnuss.
Französische Namen sind keine Seltenheit in Saint Lucia, das seit 1979 unabhängiges Mitglied des Commonwealth ist. Zu kolonialen Zeiten ging die Insel genau 14 Mal zwischen den Briten und Franzosen hin und her. Auch „Guten Tag“ auf Patois klingt französisch: Bei „Bózu“, leicht nasal interpretiert, ist die Verwandtschaft zu „Bonjour“ unüberhörbar.
In der Mitte des Ortes verkauft ein Mann frische Kokosnüsse, er freut sich über frische Kundschaft. Daneben sein Buddy mit leicht schief sitzender Sonnenbrille, die Dreadlocks unter einer riesigen Mütze verborgen. Sie müssen lang sein, wirklich lang, dem Volumen der Mütze nach zu urteilen. Wir kommen ins Gespräch, ganz offensichtlich sind wir hier gern gesehen.
„Die meisten Touristen fahren in dunkel verglasten Bussen einfach durch“, meint Roger, der Rasta. Das schmeckt ihm nicht. Wenn sie dann auch noch „All inclusive“ gebucht haben, geht das Leben auf Saint Lucia quasi an ihnen vorbei, „the real life“. Mangels Patois-Kenntnissen meinerseits unterhalten wir uns auf Englisch.
Mein Gesprächspartner schwenkt über zu den Kokosnüssen, die wichtig für die Gegend sind. So erfahren wir, wie vielseitig sie verwendet werden. Das Öl sei gut für die Haut, und er benutzt es sogar für die Haare. Inzwischen hat er die Sonnenbrille abgenommen, obwohl wir im gleißenden Mittagslicht stehen. Schweißtropfen jagen über meinen Rücken, die Hitze zersetzt mein Hirn.
Der Lebenskünstler
Wir wechseln in den Schatten, gleich gegenüber gibt es eine Art luftigen Aufenthaltsraum, überdacht, der entfernt an eine überdimensionierte Bushaltestelle erinnert. Roger ist wirklich in Plauderstimmung. Sonntagslaune. Unter der Woche arbeitet er in Marigot Bay, wo er eigens geschnitztes Kunsthandwerk verkauft. Und den freien Tag verbringt er idealerweise mit seinem Kumpel im Dorf, der die Kokosnüsse vertickt.
Jeder kennt jeden in Fond Assau, und Roger liebt das. Er hat noch Familie auf Martinique, das über den Wasserweg von Castries bis Fort-de-France knapp 70 Kilometer entfernt liegt. Der Rasta meint, dort kümmere sich der Staat mehr um seine Bürger, die Sozialleistungen seien besser. Er wäre viel gereist in der Karibik, sogar bis Kanada, bevor er wieder in sein Dorf zurückgekehrt ist.
Roger will jetzt nirgendwo anders mehr hin. In Saint Lucia helfe man sich gegenseitig, hielte zusammen. Genau in diesem Moment fährt ein Auto vorbei, und zwei Kinder winken aus dem Fenster. „Das sind meine!“, meint Roger nicht ohne Stolz. Ich höre Musik, sie erfüllt den ganzen Ort: Reggae dröhnt aus den Boxen des Nachbarhauses, Reggae ist überall.
Reggae und Rastafari
Bob Marley, der für mich untrennbar mit Jamaika verbunden ist, wo die Rasta-Bewegung entstand, noch vor dem Reggae. Andere karibische Inseln, andere Rhythmen, habe ich immer gedacht. Doch Reggae und Rasta bilden auch einen Teil von Saint Lucia, einen nicht unerheblichen Teil. Vermutlich habe ich auf Rogers Mütze gestarrt. „Willst du die Haare sehen?“ Oder er ist Gedankenleser.
Natürlich möchte ich die Haare sehen. 20 Jahre hat er darauf gezüchtet! Er lüftet die Mütze, entdreht den Kranz und – Respekt! Die Zöpfe reichen bis zu den Knien. Er verrät mir auch seinen Rasta-Namen: Stone. Weil er viel durchgemacht hat, hart wie Stein allem widerstanden hat. An dem Punkt möchte ich nicht indiskret weiter fragen.
Stone wirkt eher wie ein Kind der Sonne. Da passt es gut, als er sagt: „Hier ist die Sonne.“ Ich nicke beipflichtend. Saint Lucia, Karibik. Der Rhythmus, das Lächeln der Menschen. Nein, Roger braucht das Reisen nicht mehr. Die Sonne hat meine Haut leicht verbrannt, als wir langsam zum Bus zurück schlendern. „Ich kenne euren Fahrer“, gibt Roger an, also führe ich ihn zu David.
Slow life statt Ziplining
Die beiden haben sich lange nicht gesehen und gesprochen. David lebt in einem anderen Dorf, das nicht weit entfernt ist, er zeigt in die Richtung. Roger und ich verabschieden uns wie alte Freunde. Vielleicht käme ich ja mal nach Marigot Bay? Ja, warum nicht. Ich werde nach ihm Ausschau halten.
Und wie war das mit dem Ziplining? Vergessen, gecancelt. „The real life“ hat uns gepackt. Auf unserem Weg liegt La Croix, ein guter Ort für Pflanzenkunde, Davids Steckenpferd. Seine Großmutter war nämlich eine ausgewiesene Expertin, sie wusste alles über ihre Heilwirkung. Nun ist David der Einzige in der Familie, der ihr Wissen weiter transportiert. Und der einzige Rastafari. „Ich bin anders!“ Er lächelt dieses Lächeln und ist vor allem eines: die Ruhe selbst.
David rupft junge Guavenblätter vom Baum: „Sie helfen zum Beispiel bei Magen-Darm-Problemen.“ Die stachelige Frucht Soursop hingegen ist vielseitig in der Wirkung: Der Verzehr von Stachelannone wirkt antibakteriell, hilft gegen Krebs, Depressionen und bei Stress. Die Blätter können als Tee getrunken werden, sie senken den Blutdruck.
Rasta-Farmer
Am liebsten würde David irgendwann seinen Job gegen ein Leben als Farmer tauschen. Raus aus dem sogenannten „Babylon-System“, das die westlich geprägte Welt kennzeichnet. Die Nähe zur Natur leben. Unter den Rastafari gibt es viele Farmer. Sie teilen ihre Erzeugnisse in der Community, den Rest verkaufen sie, so David. Abnehmer gibt es genug auf Saint Lucia, denn sogar Luxushotels wie das Capella in Marigot Bay oder das Ladera in Soufrière stehen auf organische, lokale Waren.
David wurde nicht in eine Rasta-Familie hinein geboren, er hat sich vor gut sieben Jahren von einem Freund überzeugen lassen. Sein 40. Geburtstag stand bevor. „Bei uns sagt man: Danach geht es nur noch bergab!“ Ich versichere ihm, dass man in anderen Breitengraden ähnlich denkt. David wird also Vegetarier, das wäre gesünder, ein Rasta-Freund lebt es vor.
Viele Rastas sehen die Tiere als ihre Freunde und leben deswegen fleischlos. Spontan beschließe ich einen vegetarischen Selbstversuch, Gründe gibt es ja genug, und über 40 bin ich auch. Höchste Zeit also, an die Gesundheit zu denken, der Körper ist dein Tempel. Am Fisch werde ich jedoch festhalten, genau wie David. Damit hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf.
Seit sieben Jahren lässt unser Fahrer sein Haar wieder wachsen, denn „je länger das Haar, desto weiser der Mann“. Sowohl Kopfhaar als auch Bart stünden für spirituelle Kraft. Die Dreadlocks auf dem Kopf zusammengedreht seien wie eine Krone, und die Freunde nennen David nun „Royal Deks“.
One Love
Die Rasta-Bewegung hat zugenommen. Selbst Jüngere interessierten sich mittlerweile für die „One love“-Philosophie, das Ziel aller Rastafari. Kein Rassismus, kein Krieg. David kann sich allerdings nicht mit den orthodoxen Rastas identifizieren, die in dem verstorbenen äthiopischen König Haile Selassie eine Art schwarzen Gott sehen.
„Gott ist weder schwarz noch weiß“, meint David. Und weder männlich noch weiblich? Ich frage David nach weiblichen Rastafari. Ja, es gibt sie. Und sie tragen ihre Dreadlocks unter einer länglichen, strumpfartigen Mütze. Meinem Eindruck zufolge gibt es wesentlich weniger. Doch auch von den männlichen Dreadlocks-Trägern Saint Lucias sei längst nicht jeder ein Rastafari, weiß David. Etwa die Hälfte.
Wer sie aus modischen Gründen trage, werde „Salon-Rasta“ genannt. David nimmt seine Mütze nicht ab, er ist nicht wie Roger, dessen Filzlocken wir sogar befühlen durften. Widerspenstig haben sie sich angefühlt und gleichzeitig weich. Irgendwie leicht.
Über viele Dinge haben wir nicht gesprochen, vieles nur gestreift. Und wer weiß, vielleicht ist David bei meinem nächsten Besuch auf Saint Lucia ja schon zum Farmer avanciert. Vermutlich haben Rogers Haare dann den Boden erreicht. Und ich? Höre Musik. One love, one heart.
Text und Fotos: Elke Weiler
Ach Elke, so gerne gelesen!
Und interessanterweise deckt sich das männlich-weiblich-Verhältnis mit meinen Beobachtungen z.B. auf Sansibar. Woher das kommt? Ich hab echt keine Ahnung und wäre mal gespannt, was ein Rasta sagen würde.
Toll finde ich, dass das Konzept ja anscheinend funktioniert, das Teilen mit der Community und den Verkauf der Überschusswaren. Wenns doch immer so ginge, oder? :)
Und: Boah wat für ne Haarpracht!
LG /inka
Danke, liebe Inka!! Freut mich total. Und ja, da gibt es noch so viele Fragen, ich muss dringend noch mal nachrecherchieren. Vor Ort! Auch mit weiblichen Rastas sprechen und mehr Reggae hören. Eine Rasta-Farm besuchen etc…. Liebe Grüße, see you!!
Öhm, wie war das… Neid auf die langen Locken? Na ja, jetzt sind Rogers Locken tatsächlich länger als meine, denn die habe ich am Samstag abgeschnitten : )
Dass die Rastafari-Bewegung eine spirituelle ist, wusste ich – Schande über mich – gar nicht. Ich dachte, das hätte alles nur mit Musik & Co. zu tun : ) Ich glaube, ich muss tatsächlich häufiger in den Süden fahren. Ich habe da ein paar Bildungslücken! Spannender Bericht!
Sonnige Grüße
Jutta
Nein, so lang waren deine?!!! Wow! Meine sind ja auch wieder kürzer, aber mit Roger konnte ich noch nie konkurrieren. ;-) Ja, jenseits des großen Teichs ist es auch nicht übel. Vor allem in der Karibik. Sie haben einfach gute Musik. Und wo gute Musik ist, sind nette Menschen. :-) Liebe Grüße aus Brasil!!!
Ein schöner Artikel. Bist Du Vegetarierin geblieben oder hast Du’s wieder aufgegeben ?
Lieben Dank!! Ja, ich bin noch dabei!!!
Hallo,
Beneidenswert deine Reisen, und Deine Artikel zu lesen eine wahre Freude.
Bitte weiter schreiben das ich wieder etwas zum Träumen habe.
L.G.
Peter
Danke, Peter! Und liebe Grüße aus Rio!!!
Schöner Reisebericht:-)
Genauso stelle ich mir die Menschen und ihre Mentalität dort vor! Rastazöpfe hatte ich auch mal als kleines Kinde:-) Sind schon ziemlich cool!
Weiter so mit dem Blog und viele Grüße,Luana
Danke, Luana! Rastazöpfe als Kind, wow! :-)
Großartiger Artikel der sofort Fernweh für die Karibik weckt.
Obwohl ich im Moment in Australien unterwegs bin könnte ich nach diesem Artikel sofort ins Flugzeug springen und in die Karibik fliegen.
Danke dafür ;-)
Danke, Florian! Und noch eine tolle Reise durch Australien!!