Quader mit Knick

Oslo Architektur

Das neue Munch Museum in Oslo

Wenn in Oslo, mache ich am liebsten erstmal einen Spaziergang am Wasser entlang. Und zur Oper. Für mich zählt sie zu den schönsten und am besten in ihre Umgebung integrierten Beispielen zeitgenössischer Architektur. Mehr noch. Sie kommt wie ein Stück norwegische Landschaft daher, das von Menschenhand kreiert wurde. Und ist nicht mehr wegzudenken aus Oslo.

Seit meinem letzten Besuch vor fünf Jahren im Osloer Winter hat sich einiges getan in der norwegischen Hauptstadt, vor allem an der Wasserfront. Was mir rechts von der Oper gleich auffällt, ist ein hohes, graues Gebäude, dessen oberer Teil sich dem Fjord entgegenneigt. Ich brauche mehr Zeit, setze mich in ein Café in Oslobukta und sehe mir die hoch aufragende Architektur am Wasser genauer an. Das neue Munch Museum.

Wie von einem 3D-Drucker ausgespuckt, ist mein erster Gedanke. Durch die leicht wulstigen Rippen der Außenhaut. Insgesamt sperrig, blockartig. Zu groß für den Ort. Es gibt keinerlei Verbindung zur unmittelbaren Umgebung, so scheint es. Ein Solitär. Ein Klotz am Wasser. Was trieb die Architekten an? Vielleicht muss man von einem rein funktionellen Gebäude sprechen bei dieser Kombination aus zwei ineinander geschobenen Quadern, einer waagerecht, der andere senkrecht. Mit der einzigen Besonderheit, das sich der hochkantige Klotz einen Knick leistet.

Das hohe Bauwerk am Fjord gilt als das größte je einem Einzelkünstler gewidmete Museum. Munch war Maler und Grafiker. In schräg geneigten weißen Lettern prangt sein Nachname auf dem unteren Quader. Ich überlege, sehe erneut nach oben, zum Knick und den Linien der Außenhaut. Soll die einzige Bewegung des Baus gar auf Munchs berühmtestes Ausstellungsstück anspielen, den „Schrei“? Und die grafischen Linien des Himmels in „Schrei“, „Angst“ oder „Verzweiflung“ – lieferten sie Inspiration für die dreidimensionale Außenhaut, die sich wie ein Vorhang vor die Fassaden legt? Nein, ich denke nicht. Vermutlich ist auch diese lediglich der Funktion geschuldet und soll die dem Fjord zugewandte Fassade beschatten, die größtenteils aus Glas besteht.

Ein Bau, der provoziert

Zwar nimmt sich die Architektur formal stark zurück, gleichzeitig klotzt sie bei den Dimensionen. Sämtliche Gebäude in unmittelbarer Nähe sehen dagegen winzig aus. Die interessanten neuen Schieferhäuser etwa. Oder die kleinen Saunen von Oslo Badstuforening, die sachte im Wasser schaukeln. Sympathisch, bunt, umweht von einem Hauch Anarchie. Quasi das Gegenstück zur großen architektonischen Geste. Jedes Häuschen ist anders gestaltet, in jedem ist das Saunagefühl anders. Drinnen unterhält man sich, tauscht Erfahrungen aus. Eine Mischung aus Einheimischen und Gästen auf neutralem Terrain. Und dann kurz ins kalte Wasser. Glücksgefühle.

Vielleicht soll das, was die Architekten vom Munch Museum geschaffen haben, einfach ein relativ neutraler Raum für die Kunst sein. Wenn nur die protzige Außenwirkung nicht wäre, genau an diesem Ort. Das Bollwerk am Fjord, das provoziert. Und kippt. Beton, der die Schwerkraft negiert, mit jener Außenhaut aus gewellten Aluminiumplatten. Die Glasfassade zum Fjord hin wird nur ganz oben an der geneigten Stelle sichtbar. Das Guckloch also. Winzig wirken die Menschen, die gerade Oslo von oben bewundern. Wer selber dort steht, fühlt sich wie auf einem Aussichtsturm.

Vom griechischen Buchstaben Lambda fühlten die Architekten sich inspiriert, so heißt es. Ich frage den Griechen: Was siehst du in der Form? Ein Segel, sagt er. Das ist interessant. Manchmal sehe ich den Schlot einer großen Fähre. Zumindest scheint die Grobheit der Formen der Fantasie genügend Raum zu lassen. Handelt es sich gar um die Trolltunga Oslos, eine Anspielung auf jene berühmte Felszunge nahe der Hardangervidda? Letztendlich ist der Knick als oberer Abschluss des Gebäudes die einzige Besonderheit, die es sich in der Außengestalt leistet.

Die Umgebung des Munch Museums

Björvika, der neugestaltete Stadtteil Oslos am Wasser, ist gerade im Sommer gut frequentiert. Leute sitzen in der Sonne, verbringen ihre Mittagspause am Fjord, treffen Geschäftspartner, erholen sich von touristischen Aktivitäten, lunchen in einem der Lokale. Fisch, Eis, Tacos, Ramen, vegetarische Kost. Man geht schwimmen, das Wasser ist frisch. Überall gibt es Stege oder Treppen ins erfrischende Nass. So hat sich aus einem ehemaligen Containerhafen ein lebendiger Ort für die Menschen entwickelt, die hier wohnen, arbeiten, zu Besuch sind.

Wie ein eigensinniger Monolith ragt das Munch Museum vor der lebhaften Kulisse in die Höhe. Architektur, die nach den Wolken greift. Doch das Licht, das Wasser, der Himmel schmeicheln ihr, verändern sie im Laufe des Tages. Wer die Ehre hat, so ein Filetstückchen einer Stadt bebauen zu dürfen, sollte der nicht auf die landschaftlichen und städtebaulichen Umgebung eingehen? Zumindest in einem Dialog stehen? Ignoriert der Entwurf seine Umgebung nicht komplett? Von den Saunen und der Oper über die Wohnhäuser bis zu den Barcode-Häusern ist eine Staffelung erkennbar. Das neue Museum durchbricht dies einfach durch seine Größe. Ohne Aha-Effekt.

Im Innern ergibt sich eine klare Struktur ohne Raffinesse. Auf der einen Seite Glas, der Blick schweift von Stockwerk zu Stockwerk über die Stadt, immer höher. Das ist die offene Seite. Auf der anderen liegen wohltemperierte Ausstellungsräume, wie ein hermetischer Tempel für die Kunst. Auf Rolltreppen fährt man von Etage zu Etage wie in einem Kaufhaus. Aufzüge stehen alternativ zur Verfügung.

Abgesehen von den Ausstellungen der umfangreichen Munch-Sammlung verbringen die Schwindelfreien unter den Besucher:innen vermutlich viel Zeit am „Guckloch“, um Oslo aus der Vogelperspektive der oberen Museumsetagen zu betrachten. Man sieht die Oper von hinten und erkennt sie kaum wieder, so durchschnittlich wirkt dieser architektionische Tausendsassa mit einem Mal. Die Oper ist ein Chamäleon. Gegen die Vielschichtigkeit des raffiniertesten Bauwerks Oslos kommt so leicht keine andere Architektur an.

Infos zu den Architekten und zum Museum

Das Madrider Estudio Herreros gewann 2009 mit dem Entwurf „Lambda“ die Ausschreibung für das neue Museum, heute einfach MUNCH genannt. „Wir wussten, ein vertikales Museum vorzuschlagen, wäre ein Risiko“, meint Juan Herrero, der gemeinsam mit Jens Richter für den Entwurf verantwortlich zeichnet. „Mit der Idee von Vertikalität und der Fassade schufen wir ein einfaches, aber einzigartiges Volumen.“ 2021 wurde das neue, 60 Meter hohe Gebäude eröffnet. An der Architektur scheiden sich die Geister, viele sprechen von einem Klotz oder Koloss, andere sinnieren, ob nicht genau dieser sperrige, aneckende Bau dem Künstler Edvard Munch gefallen hätte.

Dessen umfangreiche Sammlung hat jedenfalls ausreichend Platz im neuen Museum bekommen und ist für umgerechnet 18 Euro zu besichtigen, Stockwerk für Stockwerk. Wer einfach nur nach ganz oben möchte, um etwa in luftiger Höhe dinieren, zahlt natürlich keinen Eintritt. Von dem wohl berühmtesten Kunstwerk des Malers „Der Schrei“ existieren diverse Versionen, die innerhalb eines Raums im Raum halbstündlich wechselnd gezeigt werden.

Text und Fotos: Elke Weiler

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