Verliebt in Óbidos
Irgendwo zwischen Coimbra und Óbidos reißt der Himmel auf. Alles ist perfekt organisiert, sogar das strahlende Sonnenlicht, nichts anderes passt zu einer Stadt, die wie aus dem Ei geputzt wirkt. Wir sind längst nicht die Einzigen, die auf dem geräumigen Besucherparkplatz eingewiesen werden. Denn es ist Sonntag, und da fährt Portugal entweder ans Meer oder an einen Ort wie Óbidos.
Man sagt, Óbidos sei eine weibliche Stadt. Ohne genau zu wissen warum, würde ich das sofort unterschreiben. Vielleicht liegt es am Schwung der Gassen, an der Schönheit seiner Lage, an den weiß gekalkten Häusern und jenem gewissen Etwas, das manche Städte einfach haben. Oder eben daran, dass Óbidos über Jahrhunderte im Besitz der portugiesischen Königinnen war.
Mehr Dorf als Stadt und dazu ein Renner auf touristischen Routen, ist Óbidos vor allem eines: eine Schönheit innerhalb mittelalterlicher Mauern, die sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruht, obwohl sie genug Grund dazu hätte. Obwohl das völlig reichen würde. Aber die Menschen von Óbidos leben im Hier und Jetzt.
Zunächst klettern wir die ungleichen Stufen hoch, landen auf dem Mauerring, sehen hinunter. Die Bougainvillea stehen in voller Blüte, Katzen schlummern auf Autodächern, Tagesgäste flanieren über die zentrale Rua Direita vorbei an zahlreichen Läden und Lokalen. Nicht selten wird Kirschlikör angeboten, Ginjinha im Schokoladenbecher, eine Spezialität von Óbidos.
Wolken aus Schoko-Duft
Noch bis zum 25. April diesen Jahres versinkt Óbidos in Wolken aus Schokoladenduft. Pralinen und Kuchen an jeder Ecke. Alljährlich im Frühjahr steigt das Schokoladenfestival. Nicht, dass ich Schoki verachten würde! Aber den Kirschlikör mag ich lieber im normalen Becher. Vor lauter Fotorausch komme ich nicht zum Probieren.
Den ganzen Tag könnte ich nichts anderes tun, sämtliche Gassen ablichten und die ganzen Details… Maximal ein paar Häppchen essen zwischendurch, köstliche Petiscos, Kleinigkeiten, die ganz groß rauskommen. Auch wenn die Snackbars nach der Meinung von José Saramago die portugiesische Tradition der „Vinhos e Petiscos“ verdrängt haben, kann man doch aktuell an ein Revival glauben.
Mehr braucht der Mensch nicht. Die Schönheit eines Ortes, der Natur, gutes Essen, Wasser, Wein. Und ein gutes Buch. Welches der Leser gleich im nächsten Bio-Markt findet, der nicht einfach ein schnöder Laden ist, nimmt er doch ein ehemaliges Refektorium ein. Der Mann hinter der Theke verkauft neben Bio-Obst auch Vintage-Postkarten und alte Bücher.
Ich erstehe eine kegelförmige Papiertüte, gefüllt mit besten Himbeeren. Was ihn zu besänftigen scheint, dachte er doch, wir schlenderten nichtsnutzig durch den Raum. Ich muss zugeben, dass ich gerne Bücher in anderen Ländern kaufe, auch wenn ich die Sprache nicht spreche. Früher waren es mal die Musikinstrumente, die ich dann nicht spielen konnte.
Bücher sind handlicher, und in Óbidos stehen meine Chancen gut. Dank des Projekts „Vila Literária“ finde ich eine immense Auswahl an den ungewöhnlichsten Orten wie in diesem Bio-Markt. Zuvor waren wir bereits in der Livraria da Adega, einem ehemaligen Weinkeller, der heute Buchhandlung und Café kombiniert.
Bolo in der Bäckerei
Aber der Höhepunkt unseres literarischen Pfades ist vielleicht die Santiago-Kirche. Du gehst hinein, möchtest die Architektur aus dem 13. Jahrhundert bewundern, vielleicht ein bisschen Weihrauch schnuppern und findest stattdessen Bücher. Das eine Buch, das so wunderbar ist, dass du es erahnen kannst. Bingo!
Hinter dem blau-weißen Cover mit angenehmer Haptik sei eine humorvoll erzählte Geschichte von Mário de Carvalho zu finden: „Casos do beco das Sardinheiras“ erzählt vom portugiesischen Leben in einer jener alten Gassen mit Charme, irgendwo in der Alfama oder Mouraria in Lissabon. Ob ich diese Aussage jemals mit ausreichend Portugiesisch-Kenntnissen nachprüfen kann, sei dahingestellt. Hauptsache, ich habe mein Buch.
Während sich die Anderen auf das lokale Kunsthandwerk und Dinge wie Röcke aus Kork stürzen, zieht mich die Bäckerei „Capinha de Óbidos“ in ihren Bann. Es duftet unbeschreiblich gut nach frisch gebackenem Brot und Keksen. Köstliche Häppchen sind in Vorbereitung, Teig wird geknetet, Bolo-Kuchen nach Familienrezept liegt zum Probieren aus.
Junge Bräute haben den Bolo einst ihren Gästen angeboten, er schmeckt nach Weihnachten und hält sich gut. Wir dürfen naschen wie einst bei der Oma in der Küche und kommen auf die Orangenkekse. Aus unbekannten Gründen nehme ich ein Brot mit, man weiß ja nie. Es wird Zeit für eine abschließende Ginjinha, bevor wir zurück nach Lissabon düsen und von dort nach Hause.
Dabei würde ich Óbidos zu gerne außerhalb der Stoßzeiten erleben. An seinem ganz normalen Alltag teilhaben und mich mit einem guten Buch irgendwo auf eine Terrasse setzen. Und wenn es regnet, in der Santiago-Kirche oder im ehemaligen Weinkeller lesen. Petiscos in einem der kleinen Weinlokale schmausen. Oder einen Krimi schreiben, in dem ein Buch der Schlüssel zu allem ist.
Text und Fotos: Elke Weiler
Mit Dank an Centro de Portugal und TAP Portugal, die diese Reise unterstützt haben.
Seufz, Portugal, dieses Land hat es mir auch angetan, seit ich mit meinem altersschwachen Golf nach dem Abi da runtergefahren bin. Ich kann mich dunkel an Coimbra erinnern, aber ob wir in Obidos waren? Auf jeden Fall hast du meine Sehnsucht wieder geweckt, klasse Bilder!
Danke, liebe Britta! Die Idee, dort mit einem klapprigen Auto herumzudösen, finde ich übrigens sehr genial. Nach dem Abi habe ich das verpasst. Aber wer weiß, vielleicht passt das bald mal! ;-)
Man sagt Obidos war tatsächlih ein Geschenk des Königs an seine Gemahlin, daher wohl der weibliche Bezug. Wir waren letztes Jahr im Zuge unsres Portugal Rodtrips dort. Ich fand es zauberhaft und kaum entflieht man der Hauptgasse, kehrt totale Ruhe und Frieden ein. Nett ist es übrigens auch außerhalb der Stadtmauern – nur verirrt sich da kaum einer hin.
Habt ihr dort übernachtet? Das würde ich beim nächsten Mal so gerne tun! Aber ehrlich gesagt, hat mich ein bisschen Leben auf der Rua Direita auch nicht gestört. :-)
Durch deinen tollen Artikel habe ich nun wieder einmal einen weiteren Sehnsuchtsort gefunden! Ich liebe Portugal einfach!
Danke dir!!! Portugal ist einfach klasse!!
Danke für diesen schönen Artikel. Jetzt habe ich richtig Fernweh bekommen. Mir geht es im Urlaub auch immer so, dass ich am liebsten bleiben würde, den Alltag kenenn lernen möchte und für all die Dinge, die ich dort noch erleben möchte, eigentlich viel mehr Zeit brauche… Deinen Krimi würde ich lesen. ;)
LG aus Brixen Südtirol
Cool, Daniela! Dann habe ich schon mal eine Leserin. ;-) Danke und liebe Grüße von der Küste!
Obidos ist der schönste Ort in Portugal. Der ruhigstem Ort neben Lissabon. Es gibt ein Lagune und Strand, die sind wunderbar.
Danke, Ana! Ich glaube, ich muss noch mal wiederkommen! :-)
Portugal hat soviel zu bieten. Ich ärgere mich immer, wenn mir Portugalreisende erzählen, wie toll es an der Algarve gewesen ist. Mehr haben sie nicht gesehen. Für mich heisst es immer, Reisekoffer in den Mietwagen und kreuz und quer durch das Land. Und mit Händen und Füssen Kontakt zu den Einheimischen suchen
Hallo Elke,
ein sehr schöner Artikel über Óbidos, aus so einem ganz anderen Blickwinkel als wir den Ort gesehen haben. Trotzdem ist Óbidos auch für uns einer der schönsten Orte, die wir gesehen haben. Es ist immer schade, wenn die meisten Leute nur die Hauptstraßen sehen und sich nicht auf die Gassen abseits dieser begeben. Oben von der Stadtmauer aus erölffnen sich besonders schöne Blicke durch die Gassen und über die Dächer. Natürlich probierten auch wir den Kirschlikör und das Hineinlunschen in die kleinen Geschäfte, Adegas und den Bäcker sorgt immer wieder für Überraschungen. Óbidos scheint eine andere Zeitrechnung zu haben. Ein Besuch ist auf jeden Fall zu empfehlen.
Ganz lieben Dank! Mich würde ja immer noch interessieren, wie es abends in Óbidos ist, wenn die Tagesgäste weg sind. Irgendwann werde ich mal dort bleiben für ein paar Tage… Liebe Grüße von der Küste!
Ja, dann ist es sicher auch sehr schön. Ich hab gar nicht darauf geachtet, wie lange die Kneipen geöffnet haben. Wenn alles zu ist, ist in Óbidos wahrscheinlich gar nichts mehr los. Dann ist man im Mittelalter.
Oh, das weiß ich auch nicht. Aber ich hatte den Eindruck, dass es auch ein eigenes Dorfleben gibt, und die Bewohner sehr engagiert sind. :-)
Auch wieder wahr.