Durch Zufall bin ich hierher geraten. Im dritten Stock des Anker Hotels schaue ich auf Bäume und einen kleinen Fluss. Eine Idylle und eine Ruhe, die ich mitten in der norwegischen Hauptstadt nicht erwartet habe. Also laufe ich hinunter, wo sich die glasklare Akerselva ihren Weg durch Oslo bannt. Wo wird sie mich hinführen? Das Tal ist von hohen Bäumen beschattet, die ihre Arme über dem Flüsschen ausbreiten, Schatten spenden.
Mal ist die Akerselva still, flach und frisch, mal rauscht sie lauter durch ihr steiniges Bett, reibt sich an Stromschnellen, springt über größere Brocken von Geröll, schießt einen Abhang hinunter. Auf den Grünflächen sitzen, liegen und sonnen sich die Osloer. Einige übernachten auch dort.
Ich wohne quasi in Grünerløkka, das ehemalige Arbeiterviertel liegt eigentlich auf der Ostseite des Flusses. Häuser mit alter Bausubstanz, Innenhöfe und nette kleine Läden. Alternative Lokale mit alternativem Rock direkt am Ufer, Straßencafés jenseits des Flusses, eine Brauerei, hippe Läden, Vintage, Kunst, Design.
Das Kolonihagen
Die Café-Dichte ist hoch, was mir sofort auffällt, als ich abends durch die Straßen schlendere. Ich suche das „Kolonihagen“, ein Hinterhoflokal im rustikalen Stil, über die Korsgata schlendernd übersehe ich es fast. Der Tipp kam von Line über Instagram. Ein Volltreffer.
Gegen sieben Uhr abends gibt’s das Buffet zum halben Preis. Der Grund: Es ist Feiertag, und an Sonntagen ist das Restaurant nur bis 20 Uhr geöffnet. Ein besonderer Feiertag, zum 200. Mal feiern die Norweger ihre Verfassung. Eingangs ein Schild: „Gratulerer med dagen!“ Also die besten Glückwünsche.
Im „Kolonihagen“ wird auch ein herunter gesetztes Büffet zum Gedicht. Für mich fängt gutes Essen beim Brot an: selbstgebacken und frisch liegt es auf dem Holzbrett. Die Butter in Pergamentpapier gewickelt und mit einer Kordel zusammen gebunden. Egal, ob Lachs, Spargel, Kartoffelsalat, Würstchen, Schokokuchen oder die köstliche Creme mit Rhabarber – das Buffet ist zum Niederknien. Das Ambiente mit Liebe zum Detail eingerichtet, in diesem charmanten alten Gemäuer.
Am nächsten Tag ziehe ich die Averselva entlang gen Norden, vorbei am DOGA, dem Museum für Architektur und Design, das vor 12 Uhr mittags nicht öffnet. Es ist in einer alten Trafostation direkt am Fluss untergebracht. Ein Stück weiter entdecke ich „Hausmania“ auf der Hausmannsgate. Gut identifizierbar an einer knallbunten Hauswand, davor eine Art Ufo. Ein selbstverwaltetes Projekt mit günstigen Räumen für Künstler, Designer, Schriftsteller und Musiker.
Eine Stadt in der Stadt
Ich will zur „Mathallen“ ganz in der Nähe. Hier wird Oslo so richtig grün. Ich rede nicht von Gärten und Parks, sondern von „Vulkan“. Kein Mann, kein feuerspeiendes Monstrum. „Vulkan“ ist ein Projekt auf dem Gebiet des ehemaligen Vulkan-Werks. Eine Stadt in der Stadt.
Rund um die „Mathallen“ setzt man auf Nachhaltigkeit. Das Kernstück ein Backsteingebäude aus dem Jahre 1908, das zur einzigen Markthalle Oslos mutierte. Wobei man sagen muss: Gestapeltes Gemüse ist eher eine Randerscheinung. „Mathallen“ lockt als Fresshalle mit Flair. Kaffee, Kuchen, Brot, Bioprodukte, regionale Spezialitäten, Fisch, Wurst und Käse – alles vom Feinsten.
Urban und bohemian ist das einstige Industriegelände also geworden. Rund um die Markthalle neue Gebäude, viele Wohnhäuser, eine Schule, ein Tanzhaus. Seit dem Mittelalter wurde das Gebiet industriell genutzt. Nun wird hier gelebt, genossen, Energie gespart und selbst produziert.
So wird auf dem Vulkan-Gelände Erdwärme angezapft, Wasser durch Sonnenkollektoren erwärmt. Und in den beiden Hotels Scandic Vulkan und PS:hotell gewinnen sie zusätzlich die Energie von Kühlräumen und Aufzügen zurück. Bei letzterem kommt noch eine soziale Komponente hinzu: Es stellt Menschen ein, die auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance haben, die aus unterschiedlichen Gründen Hilfe benötigen.
An diesem Sonntagmorgen ist es noch ruhig auf dem Gelände. Halb Oslo ist verkatert von der Feierfreude des Vortags, erst wenige Menschen bevölkern die Markthalle. Beim nächsten Oslo-Besuch würde ich gerne hier wohnen, und schauen, ob die Akerselva im Winter zufriert. Und ob die Leute, die jetzt darin baden, dann vielleicht Schlittschuh laufen. Ob Eiszapfen an den Bäumen hängen, durch die jetzt das Frühlingslicht flirrt.
Text und Fotos: Elke Weiler
Und noch ein Tipp zum Weiterlesen: die Oper von Oslo!
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