Es ist ein kleines Rumoren in Julchens Bauch, das mich am Morgen weckt. So ruhig ist es rundherum, nichts als der Gesang der Amseln, Drosseln und Konsorten. Der Hund hat die ganze Nacht brav auf den entsprechenden Decken verbracht, die ich im Schrank gefunden habe, gleich neben dem Napf. Wie die Steine haben wir geschlafen in unserem Retro-Apartment mitten in der Natur des süddänischen Rødekro in Sønderjylland.
Da ist nicht nur diese Ruhe, die uns einlullt wie ein altes Wiegenlied. Alles ist so frisch, Regentropfen auf dem Gartentisch. Gestern Abend habe ich mich noch mit der Inhaberin Margrethe Stenger unterhalten und einen Blick in die anderen Wohnungen und Zimmer der „Naturperlen“ geworfen – darunter ein barrierefreies Apartment mit schwenkbaren Wandschränken und Spezialbetten.
Alles so neu. Margrethes Mann Preben ist Maurer und hat dementsprechend viel selbst machen können. Den alten Bauernhof, den sie an der leichten Anhöhe vorgefunden haben, haben sie niedergerissen. Das neue Haus öffnet sich mit riesigen Fenstern zum Lillebælt, der Blick fällt auf das Inselchen Kalvø. Mit dem dortigen „Badehotel“, das eigentlich ein Restaurant ist, arbeitet Familie Stenger eng zusammen, da sie selbst kein Essen anbieten.
So wird das üppige Frühstück morgens geliefert, es steht schon fertig nebenan, als wir von unserer ersten Erkundungstour zurückkommen. Ich trage es ins Wohnzimmer, öffne die Tür zum Lillebælt und lasse die Sonne hinein. Selbst die tiefgrüne, hügelige Landschaft vermittelt ein Stück original Hygge-Gefühl.
Fata Morgana
Im südnorwegischen Risør hatte ich ein Schreiberzimmer im Hotel am Meer. Hier ist es eine ganze Wohnung der Ruhe und Inspiration, auch wenn man das Rauschen des Wassers nicht hört. Die Genner Bucht wirkt an diesem Morgen so beschaulich und still, als wäre sie eine Fata Morgana. Dabei existiert sie, wir haben schon einen ausführlichen Spaziergang hinter uns, waren am Damm, haben am nahezu unbewegten Wasser gestanden und uns auf dem Rückweg verlaufen.
Nur dank der beiden Jogger, die als Einzige um sieben Uhr morgens die Gegend bevölkerten, fanden wir wieder zurück. Allerdings haben sie betont, nicht von hier zu sein, alle Angaben ohne Gewähr. Eigentlich war es gar nicht so schwer, vielmehr einfach zu früh für mich. Nach dem Aufwachen wollte ich eigentlich nur eine kleine Runde mit Julchen drehen.
Vielleicht deutete das Rumoren ja auf eine Magenverstimmung? Aber nichts dergleichen. Ein Hundekeks hilft fürs Erste, und schon sind wir unterwegs an diesem schönen Morgen. Julchen voller Unternehmungsdrang, ich eher verschlafen bis zunehmend hungrig. Es ist unser erster Spaziergang, nachdem wir am Abend zuvor im strömenden Regen angekommen sind.
Fast die ganze Zeit, fast jeden Tag unseres lieben langen Roadtrips war uns der Wettergott wohlgesonnen. Erst als wir Schweden verließen, verdunkelte sich der Himmel. Über dem Öresund noch strahlende Sonne, Glücksgefühle auf meiner Lieblingsbrücke. Auch Ente Emilia düste wieder voll funktionstüchtig durch die Gegend dank des findigen Automechanikers in Falsterbo.
Kaum hatten wir Dänemark erreicht, zog sich der Himmel zu. Da war dieser fahle Geschmack nach Ende. Um uns aufzuheitern, bog ich bei Odense ab und steuerte die Fähre in Bøjden an, statt den ganzen Weg über Fünen bis Kolding stur geradeaus zu fahren. Viel Zeit sparen würden wir wohl nicht, konnten es aber gemütlich angehen.
Hygge gegen den Blues
In Bøjden dann ein ordentlicher Spaziergang am Ufer des Lillebælt, besser als alle Raststätten an der Autobahn. Die Überfahrt nach Fynshav dauerte nicht mal eine Stunde. Ich lief ziellos hin und her, auf dem Außendeck nichts los, der Regen setzte ein. Doch die Dänen kennen ja ein probates Mittel gegen Wetterfühligkeit und jegliche Art von Blues: Es nennt sich Hygge.
Ganze Bücher existieren bereits zum Thema, und da die Dänen laut „The World Happiness Index“ in 2016 die glücklichsten Menschen der Welt sind, müssen sie sich auf dem Gebiet auskennen. Für Hygge gibt es kein deutsches Wort, hier fängt die Sache schon an. Es beschreibt ein Gefühl von Gemütlichkeit, das nicht nur im hübsch eingerichteten Ambiente zum Ausdruck kommt, sondern auch in mitmenschlicher Nähe und Wärme. In Momenten des Einhaltens.
Als wir die „Naturperlen“ erreichen, wird uns jedenfalls direkt hyggelig zumute. Es regnet draußen? Völlig egal! Wo es doch drinnen so nett ist, und wir durch die großen Fenster dem Prasseln des Regens auf die Gartenmöbel zuschauen können. Zum Frühstück das Ganze nun mit Sonne. Und Julchen chillt auf der Terrasse.
Aber wir wollen zur Insel, und den Weg kennen wir ja nun. Ein paar Fischer sitzen im Hafen, als wir über den Damm laufend auf Kalvø landen. Direkt gegenüber das „Badehotel“. Alles wirkt so beschaulich, ich kann mir kaum vorstellen, dass hier im 19. Jahrhundert eine größere Werft in Betrieb war. Die Wassertiefe in der Bucht ließ auch den Bau größerer Schiffe zu, so hatte man mir gesagt.
Zeit für die kleinen Dinge
Der Verein „Det Maritime Kalvø“ erinnert heute noch an diese Zeit. Julchen und ich schauen uns zwar nicht die Ausstellung an, beobachten aber die Geschehnisse im Hafen und genießen vor allem die Ruhe von Kalvø. Die ganze Gegend – ideal für endlose Gassis und Wanderungen. Zeit für die „kleinen“ Dinge. Muscheln anschauen. Einer Schnecke folgen. Galloways grüßen.
Völlig relaxed machen wir uns auf den Weg nach Aabenraa, einer Kleinstadt mit ebenfalls großer maritimer Bedeutung im 18. und 19. Jahrhundert. Viele der bunten Bürgerhäuser in der Slotsgade sprechen noch von der goldenen Ära des Ortes. Julchen trifft einen Kollegen, ich denke mal wieder, dass Hunde so offen und unkompliziert im Umgang miteinander sind. Aber das trifft vor allem auf Mademoiselle zu: Man nennt sie auch Social Julchen.
Komplizierter wird der Hund dann im fast doppelt so großen Sønderborg, Hauptstadt der Region Sønderjylland. Ich hatte vor, einfach gemütlich am Hafen entlang zu schlendern und die Gassen zu erkunden. Doch dann braust das erste Motorrad an uns vorbei – Julchen flippt aus. Ich hoffe, dass wir nicht das gleiche Spiel wie im norwegischen Kristiansand erleben. Dort gab es zwar nicht viele Biker, dafür aber solche, die gerne mehrere Runden hintereinander drehten.
Glücklicherweise reichen die Intervalle in Sønderborg, um friedlich ein Eis am Hafen zu verspeisen. Um weiterer Lärmbelästigung zu entgehen und Julchens empfindsame Ohren zu schonen, düsen wir mit Emilia nach Dybbol Mølle, einer restaurierten Mühle aus dem 18. Jahrhundert an geschichtsträchtiger Stelle.
An der Förde wandern
Auf der historischen Wehranlage entschied sich im 19. Jahrhundert der zweite deutsch-dänische Krieg. Dybbol Banke wurde zum Gedenkort, ein Museum veranschaulicht die Geschehnisse von damals. Doch Julchen und ich sind kriegerischen Dingen überhaupt nicht zugetan. Lieber spazieren wir in der Sonne und grüßen die Kühe, die uns neugierig betrachten. Ganz wie zu Hause also.
Wir laufen noch ein Stück über den Gendarmstien geradewegs die Flensburger Förde entlang. Natürlich nicht die ganzen 84 Kilometer, die der Wanderweg misst. Einst patroullierten hier die Grenzgendarmen zu Fuß, sie hielten nach Schmugglern Ausschau.
An diesem sonnigen Abend sind Julchen und ich ganz allein auf dem schmalen Pfad unterwegs. Bald müssen wir heimkehren, doch Südjütland gehört quasi zur Nachbarschaft. Bestimmt werden wir zurückkommen, um weitere Abschnitte des Küstenwanderwegs zu erforschen, der als einer der schönsten von Dänemark gilt.
Am nächsten Morgen hat sich der Himmel zugezogen, bei tiefhängenden Wolken und leichtem Nieselregen trösten wir uns mit einem Hotdog bei „Annies Kiosk“ – einer Legende im Grenzgebiet. Annie hätte frei, erzählt uns Connie, die den Laden heute schmeißt. Den Kiosk gibt es schon seit 80 Jahren, irgendwann hat Annie ihn übernommen. Man sagt, sie machen die weltbesten Hotdogs hier.
Der letzte Stopp
Julchen findet das Wort tendenziell unschön, ist aber schwer angetan vom Duft und noch mehr von Connies Frage: „Darf der Hund auch ein Stück?“ Mir ist bewusst, dass Julchens phänomenales Ortsgedächtnis für kulinarische Hotspots nun um einen weiteren Punkt auf der inneren Landkarte bereichert wurde.
Bei Annie stimmt wirklich alles: die nette Bedienung, die reichlichen Zutaten, das geschmackliche Gesamterlebnis. So fahren Julchen und ich mit einem einvernehmlichen Testurteil über die kaum vorhandene Grenze von Sønderjylland nach Schleswig-Holstein. Wir lieben Europa. Besonders Nordeuropa. Auf das traute Heim freuen wir uns allerdings auch nach der langen Abwesenheit.
Zwar ist es nur ein Übergangsort, da unser echtes Heim nach der Katastrophe im letzten April beständig an alter und neuer Form gewinnt. Doch das Wichtigste ist: Die Männer warten auf uns. Trotz fast dreiwöchiger Abwesenheit und leichter Skandinavisierung erkennen sie uns wieder. Eine Riesenparty mit Gebell, Geknutsche und Gehopse…
Doch ab und zu schaut Julchen mich so an, als wollte sie sagen: „Hej, das war eine verdammt geile Zeit. Lass uns das noch mal machen, ja? Nur wir drei Mädels!“ Ente Emilia ist dabei. Sie kann das Ende der Winterzeit kaum erwarten.
Text und Fotos: Elke Weiler
Mit Dank an die Region Südjütland für die Unterstützung der finalen Etappe unseres Roadtrips #scandi43 – Skandinavien für 3 – mit Hund und Ente durch Dänemark, Südnorwegen und Westschweden.
Weiterlesen? Hier geht es zu anderen Artikeln über den Roadtrip #scandi43.
War sehr hyggelig bei dir heute :-)
Ganz herzliche Grüße aus einem eiskalten Nordjütland,
Meermond
Ganz lieben Dank! Nordjütland ist klasse! Liebe Grüße, Elke