Am Anfang war das Pastel de Nata. Als Fan muss ich zugeben, dass die Aussicht auf den Besuch eines portugiesischen Cafés den Ausschlag gegeben hat. Mit sechs weiteren kulinarisch Interessierten wollen wir die Hamburger Schanze und ein Stück St. Pauli entdecken – geleitet von einer Kennerin.
Kathrin Erbe ist zwar Fotografin, doch ab und an auch als Guide in der Hansestadt unterwegs. Von Lokal zu Lokal. Seit 25 Jahren lebt sie hier und kennt jeden Stein. Beziehungsweise jedes Café.
Wir sitzen gemütlich im „Colmeia“, mitten auf dem Galão-Strich, wie man die Straße Schulterblatt wegen der portugiesischen Verköstigungen gerne nennt.
Ein Ehepaar aus dem Harz und vier Badener lassen sich außer mir die guten Pasteis schmecken – runde Teilchen, puddinggefüllt. Vanilleduft liegt in der Luft. Der Galão, ein Milchkaffee, kommt stark und brühheiß daher.
Kathrin klärt uns auf: Zwar seien alle Probierteller auf dieser „Eat-The-World“-Tour inbegriffen, nicht aber die Getränke. Es geht Schlag auf Schlag. Schon sind wir im nächsten Laden, löffeln ein köstliches Früchtemüsli. Quasi satt.
Zwischendurch verschiedene Häppchen Viertelgeschichte, vor allem an der legendären Roten Flora. Der Schein trügt. Auch wenn sich hier die Autonomen regelmäßig am ersten Mai mit der Polizei bekriegen, auch wenn die linke Szene untrennbar mit der Schanze verbunden ist, auch wenn das ehemalige Konzerthaus besetzt ist: Die Schanze zählt zu den Lieblingsplätzen der Werber und Wohlhabenden.
Schwierig, am begehrten Ort ein bezahlbares Dach über dem Kopf zu bekommen. Und was mit der graffittibunten Flora passiert – man weiß es nicht. Natürlich gilt sie als Referenzpunkt der Schanze, kaum wegzudenken aus dem Stadtbild. „Doch da ist etwas im Busch“, erzählt Kathrin, als wir direkt davor stehen.
Alkoholdünste. Leere Flaschen, löchrige Matratzen und schmuddelige Decken vor dem Eingang. Das Flair gefällt nicht jedem. Will es auch nicht. Wir sind schon beim nächsten Hotspot gelandet, als mir siedend heiß einfällt, dass ich meinen Galão gar nicht bezahlt habe. Kein Problem, ohne Pasteis für Zuhause darf ich eh nicht zurückkommen.
Im Bio-Restaurant „Schanzenstern“ kommt Gemüsecurry auf die Teller. Der Laden ist gut besucht, und wir trinken den berühmten Ingwer-Tee, der mit dem Curry etwas gemeinsam hat: die Schärfe.
Kathrin weiß um die Beliebtheit des gut gefüllten Lokals. Egal wann. Die Schanze lebt also gesund – wenn sie nicht gerade obdachlos ist. Und unsere Tour entwickelt sich so kontrastreich wie das Viertel.
Die Stimmung in der achtköpfigen Gruppe ist gut, doch die Zeit drängt: Wir müssen ja noch nach St. Pauli. Vorbei an der Pianoforte Fabrik von 1873 und dann durch die Augustenpassage zum alten Schlachthof. Alles schick renoviert.
Doch dann stehen wir am Heiligengeistfeld mit Blick auf einen brutal hässlichen, betongrauen Flakbunker, dem ein paar Graffitis durchaus nicht schaden könnten.
Kathrin meint, dass sich die Gegend in den letzten 20 Jahren stark belebt hätte. Der Bunker mit seinen drei Meter starken Mauern wurde wohl immer irgendwie genutzt: Mal war die Post drin, jetzt thront zum Beispiel der Kultclub „Uebel & Gefährlich“ im vierten Stock des Flakturms IV.
Quasi um die Ecke, auf der Wohlwillstraße in St. Pauli, wartet man schon sehnsüchtig auf uns. Kathrin erscheint mit einem Tablett voller Currywürste im überdachten Außenbereich der „Kleine Pause“. Im Stehen genießen wir die selbstgemachte Tomatensoße samt angeschärftem Bratling.
Vorbei an Gründerzeitbauten, begehrten Miet- und Kaufobjekten, werfen wir einen Blick auf hohe Neuzeit-Architektur aus der Feder von Teherani: die „Tanzenden Türme“. Dort ist schon die Reeperbahn, aber wir blieben hier.
Werfen einen Blick durch die Fenster der noch geschlossenen Sofa-Bar „Zoë“ und erfahren, dass hier eine Szene aus dem Film „Gegen die Wand“ gedreht wurde. Gespeichert.
Während schräg gegenüber schon eine lauwarme Linsensuppe mit frischem, leichten Minzgeschmack auf uns wartet. Der türkische Imbiss „Gazi Antep“ ist längst Kult in St. Pauli.
Beim nächsten Grill gibt’s dann den Beilagensalat. Da es drinnen zu eng für uns alle ist, löffeln wir auf der Straße – trotz einsetzendem Regen. „Das ist aber gesund“, meint ein heraus tretender Kunde, der vermutlich eines der Grillhähnchen im Gepäck hat.
„Guten Appetit!“, wünscht uns ein Kinderwagen schiebender Papa strahlend. Mit so einem Beilagensalat auf der Straße ist man direkt die Attraktion im Viertel.
Glücklicherweise können wir bei der Konditorei Rönnfeld einkehren. Zwar wirkt der Laden nicht weniger intim als der Mini-Grill, doch gerade sind keine weiteren Kunden in Sicht.
Als Einziger auf unserer kulinarischen Viertel-Tour stellt sich Konditor Rönnfeld persönlich vor und erklärt mit Hamburger Charme sein Metier. Wir werden mit Plätzchen und Pralinen verköstigt, obschon alle zum Platzen gefüllt sind. Nach der abwechslungsreichen und ansatzweise internationalen „Tapas-Tour“ frage ich den Meister des Süßen nach etwas original Hamburgischem.
„Das Franzbrötchen“, meint der gute Mann und deutet auf ein Blech mit Croissants. Es sind aber keine. „Die 90 Cents lohnen sich“, empfiehlt Rönnfeld, wenn ich das Teilchen noch nie probiert hätte.
Er reißt kurz die ganze Franz-Brot-Legende aus napoleonischen Zeiten ab, und ich kaufe. Dann zieht es den vermutlich größten Pastel-Fan der nördlichen Hemisphäre zurück an den Ursprungsort unserer Tour – ins portugiesische Café.
Ich begleiche meine Schulden, doch an weitere Puddingteilchen ist kein Herankommen. Zwar existierten noch Pasteis im nicht sichtbaren Raum, doch die seien für ominöse Gruppen reserviert. Sagt man mir.
Ziellos laufe ich durch die belebten Straßen des Schanzenviertels. Immer noch Regen. Unzählige kleine, gemütlich aussehende Lokale pflastern meinen Weg. Doch genug.
Ich fahre zurück, den Geschmack des Franzbrötchens erfassend. Zimt und Zucker. So schmeckt also Hamburg. Aber auch herzhaft, minzig-frisch oder fruchtig. Und scharf.
Text und Fotos: Elke Weiler