Im Petén, dem riesigen Dschungelgebiet Guatemalas, schlägt uns die feuchtwarme Hitze wie eine fühlbare Masse entgegen. Der Regenwald nimmt gut ein Drittel der Gesamtfläche des Landes ein. In der Hauptstadt des Departamento, dem 2500-Seelen-Ort Flores, wohnt Emilio. Graue Schläfen, schwer schätzbares Alter und die Züge seiner spanischen, indianischen und deutschen Vorfahren im Gesicht.
Emilio lebt gerne hier, „auch wenn die Nachbarn immer genau wissen, was ich mache.“ Flores liegt wie Eidotter mitten im See Petén Itzá, lediglich ein künstlicher Damm verbindet den Ort mit dem Ufer. Langsam schlendert Emilio in der tropischen Hitze zur Plaza Mayor. Aus einer Gasse dröhnt ein Evergreen von Manu Chao „Me gustas tu“, jetzt singt er: „Mir gefällt Guatemala.“
Es ist Zeit für Musik. Bei der Plaza Mayor geht Emilio in das Hinterzimmer eines Gebäudes: Auf engstem Raum versucht der 26-jährige Dagoberto den staatlichen Sender „Radio Nacional Tikal“ in Schwung zu halten. „Alles wird hier produziert“, meint er. Sogar lokale Bands können in der Station aufnehmen.
Die Bedeutung von Tikal
Dagoberto teilt sich die Arbeit als Moderator und Mann-für-alles mit ein paar Kollegen. Emilio stöhnt über die Maßnahmen der vorigen Regierung, die eine Art Ausverkauf der staatlichen Unternehmen betrieben hat, laut Emilio werden Fernsehen und Radio größtenteils vom angrenzenden Mexico kontrolliert.
Am nächsten Tag ruft der Dschungel, genauer gesagt der „Ort, an dem die Geisterstimmen ertönen“. Nichts anderes bedeutet das kurze Maya-Wort Tikal. „800 bis 900 nach Christus hatte die Stadt an die 120 000 Einwohner“, weiß Emilio. Doch heute ist die einstige Großstadt größtenteils vom Dschungelgrün überwuchert, an den Umrissen vieler Erhebungen lassen sich schemenhaft die Formen von Tempeln und Kultstätten erkennen.
Die Sonne flirrt durch das Blattgrün, das überlaute Grillenzirpen klingt wie ein Konzert von Zahnarztbohrern. Im freigelegten Komplex der Zona Norte berichtet Emilio über kapriziöse Herrscher und verlorene Kriege. Aber Tikal lebt: Ein gekennzeichneter Kreis in der Mitte des archäologischen Ensembles erweist sich als aktueller Kultort der Maya.
Pflege der Traditionen
Zwischen den Gemäuern ihrer Ahnen finden sie alljährlich zu einem Schamanenritual zusammen. „Auch Maya-Gruppen aus Belize, Honduras, Mexico treffen sich bei Frühlingsanfang oder zu Beginn der Regenzeit.“ Emilio erzählt das gerne. Die Pflege der Traditionen tut der kulturellen Identität gut.
Mit Brennholz, Kerzen, Mais und Schnaps zelebrieren sie die Messe genau hier und ignorieren die Besucher von Tikal. Zeichen eines neuen Selbstbewusstseins der Maya – dazu hat auch die Verleihung des Friedensnobelpreises an Rigoberta Menchú Tum um ihr Bestreben „für soziale Gerechtigkeit und ethnisch-kulturelle Versöhnung auf der Basis von Respekt für die Rechte der Urbevölkerung“ sehr viel beigetragen.
Text und Fotos: Elke Weiler
Aus der Reihe Archivgeschichten: Ich war im Juli 2001 als Journalistin in Guatemala unterwegs, damals noch mit einer Analogkamera.
Wir sind per Inlandsflug vom internationalen Flughafen in Guatemala-City in den Petén gelangt, die sogenannte Wiege der Mayakultur. Neben Tikal existieren hier noch etliche archäologische Stätten wie Yaxhá oder Nakum.
Mehr Geschichten aus Guatemala? In Chichicastenango habe ich die Welt der Farben neu kennengelernt…
Mit Dank an das Tourismusbüro von Guatemala, das diese Reise ermöglicht hat.
Bei meiner allerersten „großen“ Reise überhaupt kam ich nach Tikal. WOW! Ich war hin und weg. Das müsste so 1991 gewesen sein. Wäre vielleicht mal wieder Zeit für einen Besuch ;-)
LG Simone
Da war dann kurz bevor Rigoberta Menchú den Nobelpreis bekommen hat. Hast du damals schon etwas bemerkt? Gab es schon Feierlichkeiten in Tikal? Liebe Grüße!!
Wow, was du alles erfahren hast, was ich nicht mal gefragt habe… Ach, für Flores hätte ich auch gern noch etwas Zeit gehabt, aber nach einem halben Tag im Dschungel war mir nur noch nach einem Stuhl und Ausruhen am See. Waren meine ersten Maya-Tempel, die in Tikal und mit dem Dschungel rundherum echtes Indiana-Jones-Feeling :)
LG Caudi
Ja, liebe Claudi, das geht immer alles viel zu schnell! Was ich gar nicht erwähnt habe: in Tikal hatten wir Unterstützung für „Fußkranke“ und durften im Pickup der Polizei mitfahren! Was für ein Aufsehen!
Tikal ist wirklich beeindruckend. Ich war 2018 noch einmal dort, 25 Jahre nach meinem ersten Besuch. An der Atmosphäre dort hat sich nicht viel geändert und man fühlt sich selbst noch ein wenig wie ein Entdecker :-)
Das finde ich irgendwie beruhigend zu erfahren, dass sich an diesem Archäologen-Gefühl nichts geändert hat. :-)