Wir sind an der richtigen Stelle: Der Fluss Tajo umarmt Toledo in großzügiger Geste, die Aussicht unterhalb des Paradors ist grandios. Das Weltkulturerbe scheint aus dem Fels heraus zu wachsen – seit 1986 darf sich der historische Stadtkern mit dem begehrten Titel schmücken.
Bis zum 15.Jahrhundert galt Toledo als die Stadt der drei Religionen. Stadtführerin Gloria Sanchéz kennt aber auch das Ende vom Lied der Toleranz. Denn dann kamen die katholischen Könige und meinten: „Keine Einheit ohne gemeinsame Religion“. Doch die multikulturelle Zeit hatte längst ihren Abdruck hinterlassen, und noch heute wandeln die Touristen auf geschichtsträchtigen Pfaden durch das ehemalige jüdische, muslimische sowie christliche Viertel Toledos.
Dabei fällt dem Besucher besonders der plastische Mudejar-Stil ins Auge – eine Verschmelzung maurischer und christlicher Bautraditionen. Türme, Klöster, Synagogen, Moscheen und Kirchen – das sind die markanten Stellen der Stadt. Zahlreich vorhanden und erstklassige Referenzpunkte für den Neuankömmling.
Zwar wirkt die 82.000-Einwohner-Stadt im mittelalterlichen Kerngebilde wie ein Dorf, dem langsam die Einwohner ausgehen. Und doch verläuft man sich in den verwinkelten Gassen und Straßen gerne mal. Bürgersteige können abends nicht hochgeklappt werden, weil es meist keine gibt. Also müssen die Fußgänger auch auf den Verkehr achten, denn Anwohner und hier Arbeitende cruisen mit Sondergenehmigung.
In den schattigen Gassen
Gerade noch hat sich Señora Sanchéz wieder eine dicke Schramme an ihrem Auto zugezogen – kein Wunder bei den engen Straßen. „Ein Autolackierer verdient hier sehr gutes Geld“, meint die gebürtige Toledana. Was die Touristen als pittoresk empfinden, erscheint den Einwohnern oftmals als lästig und unbequem.
So können Transporte bis zur eigenen Tür schon beschwerlich sein. Und die Müllabfuhr kommt selbst mit Spezialwagen nicht in den letzten Winkel. Bei dem Versuch, die Abfallsammelstellen unter die Erde zu verlegen, stieß man auf weitere historische Substanz. Ende der Veranstaltung.
Wer seine Fassade oder das Dach restauriert, kann mit Unterstützung rechnen. Im Innern der alten Bauwerke sind die Toledaner jedoch auf sich allein gestellt. Die Treppenhäuser sind eng, so dass längst nicht jedes Möbelstück hindurch passt. Und in den schattigen Gassen wünscht man sich im Winter oft einen wärmenden Lichtstrahl.
Doch den Besuchern – allein zwei Millionen im letzten Jahr – gilt die Weltkulturerbestadt als Highlight in Zentralspanien. Von Madrid leicht mit dem Schnellzug erreicht, lassen sich in Toledo und Umgebung ein paar entspannte Tage verbringen. Allerdings ändern sich die Dinge auch im Weltkulturerbe.
Von außen gilt die Iglesia de San Vicente als schönes Beispiel für den Mudejar-Stil, im Innern bietet sie eine Überraschung. Inmitten einer Stadt, deren Einwohner gerne „päpstlicher als der Papst“ genannt werden. Von Religiösität spürt man in der Vinzenzkirche nicht einen Hauch, als Gloria Sanchéz uns hineinwinkt.
Im Innern denken wir, in einer Art Café gelandet zu sein. Junge Leute sitzen an Tischen, debattieren, lachen, trinken Kaffee. Schon Mitte des 19. Jahrhundert wurde die Kirche entweiht und teilweise als Museum benutzt. Heute hat der Circulo de Arte de Toledo hier seinen Sitz, und dementsprechend bunt gestaltet sich das Programm. Neben zahlreichen Kulturevents und Konzerten mutiert der Vinzenz-Bau am Wochenende zur Diskothek.
Alt und Neu in Harmonie
Im alten Toledo existiert auch ein lebhaftes neues. Vielleicht gefällt es nicht jedem, obwohl es sich ebenso anspruchsvoll wie komfortabel gestaltet. So verbindet eine moderne Rolltreppenanlage die historische Oberstadt mit den neueren Stadtteilen zu ihren Füßen. Die Architekten der Anlage spalten mit skulptural wirkenden Betoneinschüben den Fels auf. So gelangt der Spaziergänger im Trockenen nach oben, mit freiem Blick in die Landschaft.
Auch die Architektenkammer der Region Kastilien-La Mancha ist so ein Beispiel für die gelungene Symbiose von Alt und Neu. Das Gebäude, ein Wohnhaus mit Patio, avancierte später zur Pförtnerloge des Konvents der Heiligen Isabel. Heute fusionieren ein zeitgenössischer Anbau mit lichtdurchfluteten Innenräumen und penibel restaurierte Gebäudeteile aus dem 15. und 16. Jahrhundert.
Marmorböden, in Weiß badende und sich nahezu darin auflösende Räume im Kontrast zu bemalten Holzdecken und aufwendig gestalteten Portalen. Interessierten bietet die Kammer über die Touristinfo geführte Architekturrundgänge in Toledo an – bestimmt eine gute Alternative oder Ergänzung zur üblichen historischen Route.
Auch wenn so eine Führung das einfache Erleben und Genießen nicht ersetzen kann: einen Kaffee auf der Plaza. Ein langer Blick auf ein El Greco-Gemälde. Der Genuss von Marzipan. Ein Spaziergang im Schlendertempo. Und irgendwann landet man dann ganz automatisch auf der anderen Seite des Tajo, um Toledo in voller Schönheit zu genießen.
Text und Fotos: Elke Weiler
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