„Sage einer Weide nie deine Geheimnisse. Irgendwann wird sie zu einer Harfe und erzählt der ganzen Welt davon.“
Eine sympathische Vorstellung, die die einzige Nation mit einem Musikinstrument auf der Euromünze von eben diesem hat. Eine Vorstellung, die Fantasien weckt. Nicht nur in Irland. Beim nächsten Mal werde ich einem Harfenspiel sehr genau zuhören.
Leider kann uns diese gut 500 Jahre alte Harfe, und damit die älteste der Insel, keine schönen Geschichten mehr verraten, steckt sie doch in einem Glaskasten. Zur rein optischen Bewunderung. Hals und Rücken von schönem Schwung. Keltisches Design.
Wir sind in der Alten Bibliothek des Trinity Colleges in Dublin und atmen den Duft dicker Wälzer ein, auf denen die Zeit ihre Spuren hinterlassen hat. Ausleihbar sind die wertvollen historischen Bücher trotzdem, das weiß Hilary. Denn genau wie Samuel Beckett hat sie mal am Trinity College studiert. Wenn auch zu einem anderem Zeitpunkt.
Hilary, die sich nicht nur mit irischen Weisheiten und Büchern auskennt, begleitet mich durch Dublin. Ursprünglich stammt sie aus Belfast, und wie alle, die sich im Norden der Insel auskennen, weiß sie von den großen Veränderungen dort zu berichten.
Gerade jetzt, im Gedenkjahr des Titanic-Unglücks, ist am Geburtsort des ehemaligen Passagierschiffs jede Menge los. Aber das ist eine andere Geschichte. Bleiben wir mal in der irischen Hauptstadt. Hilary wohnt hier und spricht perfekt Deutsch. Sie hat auch schon an verschiedenen Orten in Deutschland gelebt und kennt sich dort besser aus als ich.
So viele Fußgänger, die wie in Dublin über rote Ampeln hetzen, hat sie jedenfalls in meinem Mutterland nicht gesehen. In der Alten Bibilothek hat niemand Eile. Der Alltag ist vergessen, er geht unter im babylonischen Sprachengewirr. Man bewundert den dunkel eingekleideten Long Room, die tonnengewölbte Decke aus Eichenholz, die Säulengänge mit ihren vollgepackten Bücherregalen. Um die 200.000 Stück.
Und dann nebenan, der große Schatz. So etwas wie die Mona Lisa Dublins: das Book of Kells. Natürlich liegt es im Glaskasten, wie die Harfe, und die Besucher scharen sich drumherum. Doch da ist noch mehr. In Wort, Bild und Film werden wir an seine Entstehung herangeführt. Vom Vorbereiten der Kalbshaut bis zu den Schreib- und Maltechniken um 800, als das Buch mit seinen aufwendig verzierten Schriften und Illustrationen entstand.
Die Universität ist eigentlich schon die letzte Station unseres Stadtspaziergangs. Und in Hilarys Augen ganz klar das Highlight. Wir haben an den Ufern der Liffey begonnen, ganz klassisch, und sind durch den bekanntesten Bezirk Dublins gelaufen: Temple Bar.
Natürlich gibt es im Viertel der Pubs und Galerien auch eine Kneipe namens Temple Bar. Sowie eine unverwüstliche Infotafel über den Lehrer, Philosophen und späteren Uni-Dekan Sir William Temple, der im 17. Jahrhundert genau hier gelebt hat.
Und „Barr“, so klärt Hilary mich auf, bedeutete im 17. Jahrhundert „Uferweg“. Irgendwie führen alle Wege zum Fluss, so auch einer vom Temple’schen Grundstück. Seinerzeit war der Bezirk ein Zentrum des Handels und der Frachtschiffe, mit einem Zollhaus, Handwerkerbetrieben und Lagerhäusern.
In den 80er Jahren hingegen zog es die Kunstschaffenden in den renovierungsbedürftigen Stadtteil, schließlich auch mit dem Segen der Stadt. Heute ist es hier angesagt und teuer, weiß Hilary. Wir bleiben vor dem Clarence Hotel stehen: schönstes Art Deco.
Die großen Fenster im sogenannten Tea Room, die oktogonale Haube über der Bar, die eckigen Stilelemente – alles behutsam renoviert in den 90er Jahren. Damals entschied sich die Rockband U2 in der Bar, dieses Hotel zu kaufen.
Ich kann das verstehen. In welcher Kneipe gibt es schon eine separate Leseecke? Wenn nun der Tea Room noch als Ballhaus funktionierte wie im letzten Jahrhundert – die Sache wäre perfekt.
Noch so ein Temple Bar-Juwel ist gewiss das Irish Film Institute in der Eustace Street. Hier kann man nämlich nicht nur Arthouse Filme am Abend sehen, sondern tagsüber in einem netten Café sitzen und sich mit Gleichgesinnten austauschen. Ein bisschen Bohème, zweifelsohne.
Und samstags werden auf der kleinen Piazza davor Tische mit Köstlichkeiten, Brot und Käse aufgebaut. Ich sag‘ nur: Scones mit Himbeeren und Joghurt! Lunch fällt dann flach.
Ein Stück weiter. An dem Brotstand laufen laut die Beatles, ganz beschwingt. Wir sind nun in der George’s Street Arcade angelangt, umgeben von Bollywood und Rockabilly Kleidern, Plüschpantoffeln, Krawatten, Kitsch.
„Das war mal ein ganz normaler Markt mit Gemüse, Fisch und Fleisch“, erzählt Hilary. „Noch bis ins 20. Jahrhundert.“ Rundherum Viktorianische Architektur, die Fassaden aus rotem Ziegelstein wirken wie frisch gemauert, sind großzügig durchfenstert und in weiten Bögen zur Straße geöffnet.
Ganz in der Nähe, auf der South William Street betreten wir ein vornehmes Townhouse im Gregorianischen Stil, das heutige Powerscourt Centre. Der reichen Familie, die auch einen ländlichen, noch pompöseren Ableger im County Wicklow erzeugt hat, sei Dank: Beides ist heute der Öffentlichkeit zugänglich.
Im Townhouse darf geschlemmt und geshoppt werden. Nette Lokale, kleine Läden. Das alles in einem fantasievollen Ambiente, das Rokoko und Neo-Klassik mit Pompon-Lampen und Leucht-Ghirlanden kombiniert. Und der Laden brummt.
„Es ist gut, wenn man Fantasie hat“, meint Hilary und blickt in den ehemaligen Innenhof der Powerscourts. Oder, um es mit Oskar Wilde zu sagen: „Wir liegen alle in der Gosse, aber einige von uns betrachten die Sterne.“
Text und Fotos: Elke Weiler
Wie schön! Ich liebe das Foto von der Ha’penny Bridge. Das macht echt Lust auf einen Stadtbummel durch Dublin.
Hat auch echt Spaß gemacht mit Hilary. Bin gespannt, was du danach erzählst…