Helsinki, du freches Ding!

Ich kam mit dem Schiff nach Helsinki. Die wohl passendste Art in eine Stadt zu reisen, deren Topographie vom Wasser dominiert wird. Am Abend zuvor hatte ich bereits dem Rhythmus der finnischen Sprache gelauscht und die Vorfreude stieg.

Was ich nicht erwartete, war ein Taxifahrer im Plaudermodus. So bedächtig und zurückhaltend er zunächst wirkte, so neugierig war er doch. Ob ich nach Lappland wollte? Scheinbar fahren die meisten gleich nach Norden, kaum in Finnland angekommen. Das weckte Begehren in mir. Seine nächste Frage, was ich mir in der Stadt anschauen wollte, konterte ich mit einer Gegenfrage: Was er mir denn empfehle?

In Hamburg erzählen sie dir ihr halbes Leben und geben nützliche Informationen für dein nächstes Reiseziel mit auf den Weg. In Berlin schimpfen sie wahlweise über Politik und Verkehr, gerne auch vermischt. In Madrid und Istanbul fahren sie schneller als jeder Weltmeister. In Quito spielen sie Julio Iglesias, tragen Sonnenbrille und wollen wissen, wo du herkommst. Doch du hast keine Lust zu reden, weil du Julio Iglesias nicht magst und Ecuador nicht verlassen willst.

Der Finne wirkt seltsam deplatziert in seinem Taxi. Vermutlich kommt er aus Lappland und hat vorher eine Rentierfarm betrieben. Meine Fantasie trabt davon. Lappland – irgendwann werde ich dorthin reisen, versichere ich dem guten Mann. Im Sommer oder im Winter, wenn die Nordlichter tanzen. Dann möchte ich in einem Glas-Iglu hocken und…

Keine Spur von Roger Moore

Die Felsenkirche soll ich in Helsinki besichtigen, meint der Fahrer, bevor er mich am Hotel herauslässt. Art Nouveau! Wieder eine Überraschung. Ich habe doch nicht geahnt, dass Helsinki die höchste Jugendstil-Konzentration in Nordeuropa vorweisen kann. Und nun zeigt sich mein Hotel bereits als bestes Beispiel dafür.

Das Sokos Torni, das ich wegen seines markanten Turms im Stadtbild immer wiederfinde, hält die nächste Überraschung für mich bereit. Ein Upgrade in eine Suite. „Dort hat Roger Moore am liebsten gewohnt, wenn er in Helsinki war“, vertraut mir die Rezeptionist mit einem Strahlen an. Mads Mikkelsen wäre mir lieber gewesen, denke ich, bedanke mich aber genauso breit lächelnd.

Die Suite ist großzügig und mit hübschen historischen Details ausgestattet. Von Roger Moore glücklicherweise keine Spur. Am liebsten würde ich mich gleich in die Vintage-Wanne legen, in der Ich-weiß-nicht-wer schon gelegen hat. Doch der Regen scheint nachzulassen, Helsinki verlangt nach mir. Mein erstes Ziel: der Markt am Hafen – Kauppatori.

Etwa eine Viertelstunde laufe ich vom Hotel aus dorthin, vorbei am Esplanadi Park. Wo ich aufgehalten werde: Ein junges Paar singt finnischen Tango, Melancholie im Park. Tanzen will aktuell keiner, vermutlich ist es nicht spät genug. Also spaziere ich weiter zum Kauppatori.

Wo ich was riechen, sehen, schmecken muss? Lappländisches Fastfood an jedem dritten Stand! Rentierfrikadellen und gegrillter Lachs. Ich nehme einen Pappteller mit Bratkartoffeln, Gemüse, kleinen Fischen, Lachs und träume vom lappländischen Winter. Schnee und Eis. Unterwegs mit dem Hundeschlitten, so dick eingemummt, dass man sich kaum bewegen kann.

Der Nackte ist beliebt

Da sehe ich ihn. Den Mann, der ins Hafenbecken pinkelt. Ein Riese, splitternackt, schweinchenrosa die Haut und ein irrer Blick. Das Brüsseler „Manneken Pis“ ein Witz dagegen! Der „Bad bad boy“ von Tommi Toija wirkt wie ein Riesenbaby, misst jedoch über acht Meter. Er ist der erklärte Liebling aller Besucher.

Hier trifft man sich, fotografiert Figur und Wasserstrahl aus jeder Perspektive. Fällt fast ins Becken dabei! Und stößt beim Shooting mit einem jungen Mann zusammen. Zufall oder Absicht? Immer wieder laufen wir uns über den Weg.

Aber… das hier ist doch nicht Italien! Beim Eintreten in die Markthalle Vanha Kauppahalli aus dem 19. Jahrhundert sind er und sein Freund direkt hinter mir. Also halte ich gut erzogen die Türe auf. Natürlich sehe ich die Jungs auch drinnen, obwohl ich eigentlich auf das Meer der Köstlichkeiten fixiert bin. Und Flammlachs in der Dose erstehe, um die Lieben daheim zu erfreuen.

Werde ich verfolgt?
Werde ich verfolgt?

Am anderen Ende trete ich aus Kauppahalli hinaus. Um außen entlang zurückzugehen, die Architektur auf mich wirken zu lassen. Und wem begebe ich dort? Richtig, den Jungs. Ich muss blöd grinsen, wirklich abschreckend. Und als ich ein Boot nehme, um mich nach Suomenlinna abzusetzen, verliert sich die Spur. Ich habe sie abgehängt. 007 hätte es nicht besser gemacht.

Ausflug nach Suomenlinna

Bedrohlich türmen sich schwarze Wolkengebilde am Horizont auf. Kaum, dass wir auf Suomenlinna anlegen, frischt der Wind auf, Regen peitscht auf die See. Zwei Sekunden später erwischt es mich, ich rette mich in einen Durchgang. Suomenlinna ist eine alte Festung, die sich auf mehrere Inseln vor Helsinki verteilt.

Der Wind pfeift mit einer Kraft durch den Tunnel, dass es den Japanern, die mir entgegenkommen, die Schirme ruiniert. Im Deli & Café „Viaporin“ unweit der Anlegestelle lasse ich mich nieder. Es ist zwischen den meterdicken Mauern der ehemaligen Barracken untergebracht, mit nordischer Zurückhaltung und Eleganz eingerichtet und bietet Kaffee, Tee, Kuchen und Kleinigkeiten zum Lunch an. Sogar einen Picknickkorb.

Ich entscheide mich für Apfelkuchen mit Baiser. Köstlich, doch mit 6 Euro pro Stück nicht ganz billig. Als die Sonne wieder zwischen den Wolken hervorlugt, laufe ich quer über die Insel, die wie eine Oase vor der Stadt wirkt. Menschen, die auf Hügeln picknicken, Fahrradfahrer, Gassigeher. Kinder, die auf den Straßen spielen.

Giraffen, die Kaffee trinken

Eine heilige Ruhe, die nur von Vogelgezwitscher unterbrochen wird. Die Anwohner bitten per Schild um das Einhalten der Privatsphäre, wohnen sie doch auf einer der beliebtesten Sehenswürdigkeiten Helsinkis. Zwar entdecke ich im Laufe meines 28-stündigen Aufenthalts in Helsinki noch mehr Ecken…

… begegne der High Society in der berühmten Ateljee Bar meines Hotels und genieße ohne Roger Moore den Ausblick aus der obersten Etage des Turms. Vergucke mich in Kaffee trinkende Giraffen auf einem Balkon, schiebe mich mit den touristischen Strömen durch die gelobte Felsenkirche, die mit weniger Menschen noch wunderbarer sein könnte. Und genieße die meditative Stille in der Kamppi-Kapelle, die wie ein Kokon aus Holz auf dem Platz steht. Perfekt zum Einigeln.

Doch mein Lieblingsort bleibt Suomenlinna. Helsinki, ich komme wieder! Und beim nächsten Mal kombiniere ich dich mit Lappland. Nicht nur wegen des Taxifahrers, der möglicherweise Rentiere gezüchtet hat.

Text und Fotos: Elke Weiler

Mit Dank an Tallink Silja und Visit Finland, die diese Reise unterstützt haben.

14 thoughts on “Helsinki, du freches Ding!

  1. Wunderbarer Text und sehr schöne Fotos! Ich war vor ein paar Jahren mal in Finnland, aber leider nicht in Helsinki und ich möchte wirklich dringend zurück (auch, um die drei Brocken Finnisch zu erproben, die ich dort gelernt habe ;)! Und über die absurdesten Taxifahrerbegegnungen könnte man wohl ganze Bücher verfassen!

  2. Bin zufällig auf diesen Beitrag gestoßen, der mir sehr gut gefallen hat. Ich war bisher erst einen Tag, auch auf der Weiterfahrt :-) in Helsinki. Aber der Artikel macht Lust auf mehr.

  3. Tolle Geschichte von einer faszinierenden Stadt. Hab so richtig Lust auf Helsinki… sitze hier nämlich gerade in der Bibliothek in Broome, draussen ist es tropisch heiss. So kommt ein Bericht aus einem kühlen Land gerade richtig :-)

  4. Danke für diesen netten Beitrag. Ich fliege bald nach Finnland und möchte etwas zeit in Helsinki verbringen, somit google ich jetzt und such alles Mögliche zu dieser schönen Stadt.
    ,, Die Begegnung“ mit dem jungen Mann hast Du so gut beschrieben, ich habe es ganz mitgefühlt. Naja…beim Reisen erlebt man verschiedene Situationen. Viele Grüße
    Edyta

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