Nebelwald ohne Nebel

Elke mit Lama

Wer an einen fremden Ort reist, nimmt etwas mit und lässt etwas von sich dort. Manchmal mehr, manchmal weniger – doch die Beziehung zu diesem Ort bleibt. Die erste Geschichte beginnt mit einem Glas Marmelade, das bald aufgebraucht ist. „Chigualcan“ steht auf dem Etikett, umringt von länglichen gelben Früchten, die entfernte Ähnlichkeit mit Quitten hätten, wären sie nicht sternförmig gefurcht. Nur in Ecuador nennt man sie Chigualcan, ansonsten Papayuela, die Bergpapaya.

Die Baumfrüchte stammen aus dem Nordosten Südamerikas, werden heute von Panamá bis Chile kultiviert. Exotik im Glas, ein Geschmackserlebnis irgendwo zwischen Papaya, Erdbeere, Ananas. Die Verwandtschaft zur Papaya schmecke ich nicht heraus, doch für mich macht die Chigualcan den Geschmack Ecuadors aus, ebenso wie die Naranjilla, die Quito-Orange. Das Nachtschattengewächs sieht aus wie eine Kreuzung aus Tomate und Apfelsine, schmeckt aber eher nach Zitrusfrüchten.

Ginge es nach den Früchten, herrschten in Ecuador paradiesische Zustände. Gerade das Hochland mit seinem vulkanischen Boden gilt als äußerst fruchtbar, das Schwemmland der Küstenregion ebenso. Es gibt ganzjährig Erdbeeren! Schon am Frühstückstisch im Hotel wird es bunt, die köstlichsten frischen Säfte neben einem Meer aus Obst: Granadilla, Taxo und Pitajaya neben Bananen, Ananas und Papaya.

Und als wir mit unserem Guide Luis durch Quito tigern, machen wir es wie die Einheimischen und legen zwischen zwei Kirchen einen Stopp in einem Saftladen ein. Ein Dollar kostet ein riesiges Glas, egal ob Baumtomate, Orange oder Naranjilla.

Immer wieder Kochbananen

Auch beim Lunch auf dem Brötchen-Hügel „El Panecillo“ fehlen die Früchte nicht: Es gibt Huhn mit Baumtomatensoße. Zum Nachtisch lauwarmen Kochbananen-Kuchen. Eines meiner ecuadorianischen Lieblingsgerichte heißt „Fritada“: Neben zwei Sorten Mais, Schweinefleisch und einer speziellen Tortilla finde ich auch gebackene Plátanos auf dem Teller.

Kochbananen liebe ich in jeder Form, doch gebacken, beziehungsweise frittiert sind sie optimal. Nur Avocados können das noch übertrumpfen. In Ecuador finde ich sie sogar in der Kartoffelsuppe „Locro de Papa“. Zwar habe ich versucht, beides getrennt zu essen, doch zusammen schmeckt es einfach besser.

Nördlich von Quito zeigt uns Luis ein Stück vom Nebelwald ohne Nebel. Wir sind in der Provinz Pichincha, benannt nach dem Hausberg Quitos, und wir werden sie während unseren gesamten Ecuador-Aufenthalts nicht verlassen.

Auf 2600 Metern treffen wir Herman aus der Gemeinde Yunguilla. 50 Familien leben hier und bewirtschaften die Finca Tahuallullo, was „kleine Palme“ auf Kichwa heißt. Der Grund für das gemeinsame Projekt: Arbeit und Einkommen zu schaffen, nachhaltig leben, den Wald schonen, der zuvor abgeholzt wurde.

Das Projekt Yunguilla

Herman und die anderen Dorfbewohner bauen Bio-Früchte an. Für sich selbst und für ihr gemeinsames Projekt. Die Einnahmen gehen zunächst in eine Kasse, und ein Teil wird reinvestiert. Aus Physalis, Erdbeeren, Brombeeren und Chigualcan stellen sie Marmelade her. Das hat Tradition in Yunguilla, die Großmütter machten es in der Pfanne.

Provinz Pichincha, Quito
Herman empfängt uns.

Der Geschmack Ecuadors im Marmeladenglas? Es ist mehr als das. Ich bin wieder in Yunguilla, wenn ich einen Löffel Chigualcan esse. Ich sehe die grünen Berge, den Nebelwald ohne Nebel. In der Ferne bellt ein Hund, ein Hahn schreit, während wir mit Herman den Berg hinaufsteigen. Himmlische Ruhe.

Neben dem Gemüsegarten ist ein Grillplatz, Gäste können hier zelten. Meist übernachten sie direkt bei den Familien, zahlen 40 Dollar pro Person. Stehen morgens um fünf Uhr zum Melken der Kühe auf – die Gemeinde produziert auch Käse. Die Besucher ernten und essen gemeinsam mit den Dorfbewohnern. Tanzen mit ihnen, wenn mal wieder ein Dorffest ansteht. Und ganz nebenbei lernen sie ein bisschen Spanisch, so wie ich von Herman.

„Pájaro!“, sagt er und ich weiß, er meint das Tier, das gerade zur Baumkrone flattert. Die Tangara fucosa ist ein Singvogel, Grünnackentangare zu Deutsch. Das Grün blinkt zwischen den Blättern. Und der Vogel klingt ganz so, als pfeife ein Mann einer Frau hinterher. Doch über Vögel werden wir noch mehr erfahren, später, tiefer im Norden. Im Wald ohne Schatten.

Wir verlassen Yunguilla, bevor der Nebel am späten Nachmittag kommt und bis zum Morgen bleibt. Ein Stück nehme ich mit, ein Stück vom Land und eine Idee. Beim nächsten Mal bleiben wir über Nacht wie der Nebel, oder länger, ein paar Tage am besten. Ernten Koriander, Zucchini und rote Beete aus dem Gemüsegarten. Versuchen, eine Kuh zu melken. Mehr Spanisch zu lernen. Da sind sich Anja und ich einig. Das erste Mal in Ecuador und gleich infiziert.

Elke mit Lama

Text und Fotos: Elke Weiler

Wie alles anfing und wie es endete, könnt ihr schon lesen. Mehr Stories aus Ecuador demnächst in diesem Theater!

Mit Dank an Quito Turismo, die diese Reise unterstützt haben.

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