Früh am Morgen werde ich wach, es ist noch dunkel draußen. Weißer Rauch zieht vom Schiffsschlot zum Meer, als würde er ins Wasser fallen. Vögel, die seltsam leuchten, fliegen in kleinen Gruppen gen Himmel. Erst als die Lichter der sizilianischen Küste sichtbar werden, ist der Spuk vorbei. Waren es Schwalben, und warum wirkten sie so strahlend weiß? Bislang hatte ich nur von Glühwürmchen und Quallen über die Eigenschaft der Biolumineszenz gehört. Oder von Tiefseefischen, die in Symbiose mit leuchtenden Bakterien leben.
Gegen acht werden wir in den Hafen von Palermo gelotst, dichte Wolken hängen über den Bergen der Nordküste Siziliens. Wegen ihrer schönen Lage wurde Palermo von den Arabern zur Hauptstadt der Insel gemacht. Bei den Griechen und Römern war sie lediglich ein Umschlagplatz, der Name leitet sich aus dem altgriechischen Panormos für große Bucht ab. Ideale Hafenbedingungen also.
Heute ist Palermo mit etwa 680.000 Einwohnern die fünftgrößte Stadt Italiens. Ich erinnere mich an die Liebeserklärung Barbaras, die ich im April in Ragusa getroffen habe: „Palermo ist die schönste Stadt der Welt.“ Nun hat sich die alte Dame einen Schleier aus Wolken übergelegt. Als würde das nicht reichen, gießt es aus vollen Kübeln.
Von Bergen umarmt
Wir steigen vom Schiff auf den Bus um, englisch- und deutschsprachige Passagiere gemischt. Angeführt von Annemarie, einer Schweizer Seniorin, die schon lange in Palermo lebt. Sie ist die Einzige im Bus, die sich über den Regen freut: „Meine Rosen bekommen Wasser.“ Denn als sie gestern die Blumen gießen wolte, kam nur ein dünner Strahl aus dem Schlauch.
Von Bergen sei die Stadt umarmt. Annemarie erzählt vom Monte Cuccio, der es auf 1050 Meter bringt. Doch unter dem Wolkenvorhang ist die landschaftliche Schönheit schwer auszumachen. Wir werden ein wenig Sightseeing vom Bus aus betreiben, das bedeutet mit Wasserschlieren verzerrte Bilder von Bauten und Straßenfluchten.
Eine kleine rote Kuppel fällt mir auf, und da halten wir auch schon an. Im normannisch-arabisch-byzantinischen Stil sei die Kirche La Matorana gebaut, so Annemarie. Eine Barockfassade kommt noch hinzu. Hybrid durch und durch, diese Kirche macht mich neugierig. Und es hilft alles nichts, wir müssen vor die Tür. Die Straßen haben sich in Bäche verwandelt, das Wasser schwappt mir über die Füße.
Wände, die vor Gold glänzen
Zum Glück laufe ich in kurzer Hose und Sandalen herum. Alles andere wäre innerhalb von Millisekunden durchnässt gewesen. Ein Pulk von blauen Männchen pilgert zum Kircheneingang. Noch auf der Piazza kriegt ein deutscher Tourist einen Tobsuchtsanfall. Eine Zumutung wäre das! Ich kapiere nicht, warum er sich bei uns und nicht direkt bei Petrus beschwert.
Unsere blauen Regencapes, die sich nur durch ihren raffinierten Schnitt von Müllsäcken unterscheiden, haben sie uns bereits auf dem Schiff ausgehändigt. Nur wenige Teilnehmer sind von sich aus auf Regen eingerichtet und haben Schirme auf die Mittelmeereise mitgenommen.
La Martorana entstand zunächst als Zentralbau, die Wände glitzern vor Gold: Mosaiken! Die Kirche ist ein gutes Beispiel für das Miteinander der Kulturen auf Sizilien. Annemarie weißt darauf hin, dass die Normannen, die 1072 Palermo erobert haben, die arabische Baukunst zu schätzen wussten. Da wird die Kunsthistorikerin in mir wach: Ein Teil des Fußbodens scheint von den römischen Kosmaten geschaffen zu sein, die sich an arabischen Einlegearbeiten inspirierten.
Draußen schüttet es immer noch vom Himmel, und wir beschließen, uns von der Gruppe abzusetzen und direkt zum Ballarò zu spazieren. Denn Palermo lebt auf seinen Märkten – normalerweise. Wegen des Regens hält sich der Betrieb heute in Grenzen. Ein älterer Mann putzt die Glasabdeckung seiner Fleischtheke und beschwert sich über das Wetter, das ihm die Einnahmen versaut.
An einem anderen Stand, der neben Tintenfischsalat einen enormen Thunfischkopf ausstellt, preist ein junger Mann lauthals seine Waren. Ein Anderer ruft in einem fort „schöner Thunfisch“ auf Italienisch mit sizilianischer Färbung. Ein perfektes Beispiel für die sogenannten Abbaniate auf den Märkten Palermos. Es klänge fast wie Selbsthypnose, wäre da nicht die Lautstärke.
La coppola storta
Neben Früchten, Salzkapern, Käse, Hühnchen und frisch gekochten Tintenfischen sind auch Kappen in den Farben der Fußballmannschaft Palermos, billige Schuhe und Regenschirme im Angebot. Doch dafür ist es jetzt zu spät. Als wir auf der anderen Seite wieder herauskommen, legt der Himmel ein Regenpäuschen ein.
Wir trinken Cappuccino in einer Bar, essen „cornetto con la crema“ und lassen uns den Code fürs WiFi geben. Nett, die Palermitaner. Als wir weitergehen, suche ich Paté de Peperoncino – ein Auftrag der Familie. Das Letzte habe ich im April aus Catania mitgebracht, und es geht dank starkem Konsums langsam zur Neige.
Vermutlich werde ich nun im Monatsrhythmus nach Sizilien reisen müssen, um das Peperoncino-Level halten zu können. Das Paté ist eine Bombenerfindung, es würzt ausgezeichnet und ist nicht zu scharf. Im selben Laden finde ich außer Feinkostartikel auch einige Modelle von „La coppola storta“, der schiefen Mütze. Mit den neuen Kreationen will man die sizilianische Tradition wiederbeleben und vom Mafia-Image befreien.
Wir schlendern die Via Vittorio Emanuele hinunter in Richtung Hafen, biegen dann links in die Piazza Marina ein, wo es ein Lokal mit sizilianischen Gerichten geben soll. Die Caponata, ein typisches Gericht mit Auberginen und Tomaten, ist mir noch in bester Erinnerung aus Modica. Doch hier enttäuscht sie mich. Lecker sind die Mini-Variationen des Arancino, der frische Tintenfisch-Salat sowie die frittierten Sardinen mit eingelegten Zwiebeln.
Halluzination im Regen
Von der Piazza Marina ist es noch ein gutes Stück bis zum Anlegeplatz der Kreuzfahrtschiffe. Als ich im Yacht- und Kutterhafen „La Cala“ bin, regnet es wieder in Strömen. Ein Hund kommt mir entgegen, blickt mich erwartungsvoll an. Doch als er einen Kumpel erblickt, verlässt er mich.
Der Regen prasselt auf die leeren Fischerboote und Netze. Ich halluziniere im Regen: Wie schön wäre das alles mit kräftigen Farben und Leben in den Straßen. Nach einem heißen Tag abends bei einem Aperitivo im Hafen sitzen. Später durch die erleuchtete Stadt bummeln.
Als ich völlig durchnässt und mit triefendem Haar das Schiff wieder erreiche, ist es Nachmittag, und wir werden um fünf Uhr ablegen. Der Kontrolleur am Eingang kommt ob meines desolaten Zustands nicht umhin, über das Wetter zu sprechen. Wir sind uns einig, dass man so einen Ausflug im strömenden Regen als „besonders“ einstufen könnte.
Palermo im Regen, Melancholie in glänzenden Gassen, die trotzigen Rufe der Fischverkäufer, der einsame Hund im Hafen. Irgendwann komme ich wieder. „Non dimenticare Palermo“ stand über dem Streetart-Werk von Ema Jons auf der Piazza Casa Professa. Nein, ich vergesse es nicht.
Text und Fotos: Elke Weiler
Dieses Türkis … Schwester von Emilia?
Hätte ich mal fragen sollen. Oder direkt adoptieren! Letztens habe ich übrigens eine Ape in deiner Farbe in Tetenbüll gesehen! Beim nächsten Mal mach‘ ich ein Foto, versprochen!
Wie oft habe ich Italien schon im Regen erlebt! Dabei denkt man als erstes an Sonne und Lebensfreude. Deine Bilder passen so gar nicht zu diesen Gedanken, sind aber wunderschön! Ich habe Palermo mit Sonne in den Gassen kennen und lieben gelernt, doch der Regen und graue Schleier passt irgendwie zu der verfallenen Pracht dieser Stadt. Wunderbar auch deine anderen Artikel zu Sizilien mit traumhaften Bildern, gucke immer wieder gern auf deinem Blog vorbei und bleibe hängen :-) Lieben Gruß, Katrin
Danke, liebe Katrin, das sehe ich auch so! Das Wetter passt zur Stadt, aber bei Sonne würde ich sie gerne auch noch mal erleben. Außerdem war mein Aufenthalt kurz, und ich bin sicher, in Palermo gibt es viel zu entdecken. Allein die Aktion des Streetartists Ema Jons, der aus Norditalien stammt, und im Viertel Borgo Vecchio ein Projekt mit Kindern gestartet hat …