Mit Tieren haben sie mich nach Mittelnorwegen gelockt. Elche, Rentiere und Bären live in Aussicht gestellt. Irgendwo in den Wäldern Trøndelags sollten wir sie sehen, doch sie waren so rar wie die Trolle.
Obwohl… das erste Rentier treffen wir gleich zu Beginn in Bøla. Es versteckt sich nicht, läuft nicht davon und tut auch sonst nicht viel außer gut auszusehen. Im Regen laufen wir zu einem schmalen Flussbett und entdecken das Tier auf einem Felsen gegenüber. Schätzungsweise schlappe 6000 Jahre alt.
Das sogenannte Bølareinen, in Stein geritzt, ist gut zu erkennen, für den Bär braucht es schon etwas Fantasie, zumal ihm die Beine fehlen. Auch der Steinzeit-Mann auf Skiern und ein Vogel sind schwer zu identifizieren. Letzterer erinnert mich an die Form einer Scholle.
In der zugehörigen Hütte wärmen wir uns bei einer typischen Mahlzeit inklusive Elchsalami und Kaffee ein wenig auf. Wenn es Salami gibt, muss es auch Elche geben. Ich erfahre von Christine Svarva, die im Norden von Trøndelag lebt, dass Elche schon häufiger sichtbar seien. Vielmehr möchte man hier lieber keinen treffen, vor allem nicht nachts auf der Kühlerhaube.
Einen Bären hingegen hat sie noch nie in freier Wildbahn gesichtet. Das sei wohl auch besser so. Man könne die Zahl der Bären wohl ungefähr an der Zahl der gerissenen Schafe abschätzen. Und die Rentiere? Ja, die seien zu bestimmten Jahreszeiten sichtbar, sie folgten dem Schnee.
Die Elche also. Gut sichtbar. Mit einigen Erwartungen nehmen wir an einer „Moose Safari“ in Sørli teil. Die aus Deutschland eingewanderte Familie Hartmann unterstützt uns dabei. All meine Hoffnungen schwinden allerdings, als die achtzehnjährige Biathonsportlerin Paula Friedericke meint, dass die Familie vor dem Umzug nach Norwegen, also bei zahlreichen Urlauben im Land, nie einen Elch gesichtet hätte.
So eine Einwanderung scheint also von den Elchen belohnt zu werden. Wir Gäste wandern über himmlisch weichen Boden, durch Feuchtgebiete und über Wiesen. Wir pflücken Blaubeeren vom Wegesrand, klein und aromatisch. Suchen die Plätze auf, wo Vater Jens schon Elche in der Abendsonne hat grasen sehen. Nichts.
Werden wir nach einer erfolglosen Elchsafari wohl mit den Bären glücklicher sein? Eines ist klar: Gunn Anita Totland, die ehemalige Lehrerin und Spezialistin für Bärensafaris im Lierne Nationalpark, wird uns mit ihrem Wissen, einem möglicherweise eingebauten GPS und einem guten Riecher zur Seite stehen.
Kaum dass wir den Park erreicht haben, sehen wir ihn: einen großen, schlanken Mann, der gedankenverloren durch die einsame Gegend rennt. Was macht er hier, ohne Auto, ohne alles? Einfach nur spazieren? Gunn Anita will es wissen. Sie stoppt den Bus, springt heraus und fragt.
Strahlend kommt sie wieder zu uns zurück: „Er hat ihn aufgeschreckt!“ Also hat sich der Mann scheinbar genau wie wir auf die Pirsch begeben. So allein hat er natürlich bessere Chancen, sich im Wald ruhig und quasi unbemerkt zu bewegen. Am Fluss hat er gewartet, ganz still. Und dann kam tatsächlich ein Bär vorbei.
Aber er blieb nicht lange. „Bären sind sehr scheue Tiere“, weiß Gunn Anita, die in ihrem Leben in Mittelnorwegen auch nur einmal einen von weitem gesichtet hat.
„Der Braunbär war eigentlich so gut wie verschwunden“, erzählt sie weiter. Aus dem Nachbarland Schweden kam er zurück nach Norwegen. Wie viele aktuell in Trøndelag leben, weiß keiner so genau. „30 bis 40 Tiere sind es sicherlich.“ Doch sie können nicht von jedem Tier Spuren finden.
Auf dem Boden vor uns die frische Spur des vom jungen Mann erschreckten Meister Petz. Uns wären die Tatzenabdrucke auf dem sandigen Boden kaum aufgefallen, doch Gunn Anita hat ein Auge dafür. Sie misst den Abdruck der Vorderpfote und meint, dass es ein größeres Tier sein, ein Männchen.
Wir schlagen ins in die Büsche, versuchen still zu sein, reden nur das Nötigste. „Der Bär schläft tagsüber, doch wenn er unsere Nähe bemerkt, zieht er weiter, ohne dass wir es merken.“ Ich schaue durch das flirrende Grün der Bäume. Wer weiß, vielleicht zeigt sich ja ein Elch?
Was wir finden, sind weitere Spuren. Bisse an Baumstämmen, die wie Markierungen funktionieren. Ein Kommunikationssystem der Bären untereinander. Die Höhe der Bissstelle lässt auf ihre Größe schließen. Wir finden abgeknickte Äste, sogar Haare. Gunn Anita führt uns zu Kameras, die jede Bewegung aufzeichnen. Mit einem recht guten Bild von einem Tier, das in der Nacht zuvor genau diesen Weg gegangen ist.
Auch von dem Tier, das der Mann heute morgen aufgeschreckt hat, finden wir weitere Spuren: frische Exkremente. Der Bär hat sich von Blaubeeren ernährt – wie wir gestern während der Elchsafari. „Er ist in aller Eile hier durchgerannt“, meint Gunn Anita.
Vielleicht sieht er uns jetzt von irgendwo zu. Doch ich sehe nichts. Keine dunklen Bärenaugen, die aus dem Unterholz hervorlugen. Ich fühle nichts, er ist weg. Und die Anderen auch. Wir kraxeln weiter, vorbei an Farn und Busch, über Baumstämme und Bäche, bücken uns unter Birkenästen und den Zweigen der Nadelbäume. Weiße Baumhaut und Nadeln rieseln auf uns hinab.
Und nur Gunn Anita kennt den Weg zurück. Sie und ihr eingebautes GPS wissen, wo der Schwede Joakim mit einem Outdoorlunch auf uns wartet. Li-Bab, also Kebab aus Lierne hat er für uns zubereitet. Mit geschnetzeltem Elchfilet, Zwiebeln, Champignons, Salat und einer Soße mit Preiselbeeren. Alles eingerollt in den typischen Kartoffelfladen der Gegend.
Zum Nachtisch gekühlte Moltebeeren mit Zucker und Sahne, früher das klassische Alltags-Dessert, heute wieder hip. Joakim sagt, dass es ihn immer an seine Kindheit erinnert. Wir trinken köstliche Limonade, die Gunn Anita aus dem Saft der Weidenröschen hergestellt hat, denen wir in Mittelnorwegen auf Schritt und Tritt begegnen.
Im Gegensatz zu den Tieren. Doch das wird sich schlagartig ändern. Wir schlagen dem Schicksal nämlich ein Schnippchen und fahren zum Namsskogan Wildlife Park. Ha! Tiere in Hülle und Fülle! Hier könnten wir sogar noch eine Nacht auf Rentierfellen verbringen, nachdem wir nun schon Erfahrung in einer Sami-Hütte gesammelt haben. Wir könnten uns morgens von Wolfsgeheul wecken lassen.
Endlich treffen wir sie alle: Elche, Rentiere, Bären, Wölfe, Luchse, einen Vielfraß und … Polarfüchse! Wir dürfen sogar zu ihnen ins Gehege, vor unseren Augen werden sie gefüttert. Nur zu den Polarfüchsen, wohlgemerkt. Børge ist der Hit. Er heißt nicht nur wie der Nationalpark im Norden Trøndelags, Børgefjell, seine Verwandten kommen dort auch in rauen Mengen vor.
Smartie Børge
Børge, der Vorwitzige. Er scheint meiner Kamera am meisten zu vertrauen. Oder mir. Der flinke Børge traut sich nämlich ganz nah heran. Parkführerin Inga erklärt uns, dass die Polarfüchse immer gut beschäftigt werden müssen. „Sie sind sehr smart.“ Spielen gerne, lieben die Herausforderung.
Mein Smartie Børge trägt bei 30 Grad im August noch sein Sommerfell, erst im Winter wird er weiß. Sein Blick: zum Dahinschmelzen. Und so pfiffig! Odin, der Bär, hingegen schaut eher gutmütig drein. Eigentlich bin ich kein großer Freund von Tierparks, aber dieser hier gefällt sogar mir.
Jedenfalls bin ich sehr froh, die Bekanntschaft von Børge gemacht zu haben. Bleibt zu hoffen, dass seine Verwandtschaft nicht Opfer der globalen Klimaerwärmung wird.
Text und Fotos: Elke Weiler
Mit Dank an die mittelnorwegische Region Trøndelag für die Unterstützung dieser Reise.
Ist der süß! Ich habe noch nie einen Polarfuchs so nah gesehen.
Hatte ich vorher auch nicht. Und ich dachte immer, sie sind weiß. ;-)