Im Land der Sami

Mittelnorwegen

Ich liege auf Rentierfellen und kann nicht schlafen. Es ist viel zu lange her, dass ich in einem Zelt übernachtet habe. Damals lag ich auf einer Luftmatratze mit Rillen und teilte mir das Zelt mit einer ganzen Mädchentruppe. Ein Kichern und Raunen bis in die frühen Morgenstunden. Draußen überlegten die Jungs, was sie anstellen konnten.

Als Kind nennst du das abenteuerlich, als Erwachsener unbequem. Zelten ist so ähnlich, wie den Wecker auf null Uhr stellen, eine Mitternachtsparty feiern oder unter der Bettdecke lesen. Die Gummibärchen griffbereit.

Mittelnorwegen

Mitternacht ist längst vorbei. Wir sitzen nicht mehr mit den Anderen am Feuer mit Flussblick, Sonnenuntergang über der Huddingselva. In der Hütte reden wir weiter, Kirsten, Sandra und ich. Sandra hat zwei Drittel ihres Rotweins über den heiligen Bereich unseres Nachtlagers gekippt – aus Versehen. Der Wein wird wohl in die Unterwelt fließen, wo laut der samischen Anschauung die Verstorbenen leben.

Wie sagt man Prost auf Südsamisch?

Immer noch knistern die glühenden Scheite und strahlen Wärme ab. Doch ich spüre den kühlen Atem der Nacht am Rücken, während das Gesicht vor dem Feuer glüht. Nur noch das Knistern. Nachtruhe. Alles so ungewohnt. Direkt neben meinem Kopf ein Rascheln. Eine Art Quieken in der Wand.

„Mäuse?“, frage ich leise. Es müssen mindestens zwei Tiere sein. Plötzlich bewegt sich etwas an meinem rechten Fuß, und ich fahre hoch. Sandra ist noch wach: „Ich kann nichts hören.“ Da! Das sind eindeutig Schritte draußen. „Vielleicht erlauben sich die Männer einen Scherz!“ Wieder Stille.

Erneut das Rascheln in der Wand, die aus Birkenstämmen, Rinden, Torfsoden und Gräsern besteht. Der ideale Lebensraum für diverse Tiere. Sandra trinkt. „Ha, ein Bär!“, kommentiere ich das brummige Geräusch.

Gamme in Trøndelag
Hütte am See

„Das war mein Bauch“, flüstert Sandra und prustet los. Wir lachen alle drei, Kirsten ist also auch noch wach. Ich reiße mich zusammen. Die Wandgeräusche sind in periodischen Abständen zu vernehmen, ich notiere alles im Kopf für spätere wissenschaftliche Untersuchungen.

Die Kälte zieht ins Zelt, fast klappern mir die Zähne. Absurd, so im Hochsommer. Natürlich muss ich zum Klo. Keine Ahnung, ob die Anderen nun schlafen. Ich versuche, in der Dunkelheit eine Jacke aus dem Koffer zu ziehen und schlüpfe in die Wanderschuhe.

Bei dem verzweifelten Versuch so wenig Lärm wie möglich zu machen, drücke ich die schwere Holztür auf und stolpere hinaus in die mondhelle Nacht. Im Westen immer noch ein zarter rosa Streifen am Horizont, heute wird es nicht dunkler. Kein einziger Stern am Himmel, das hohe Gras feucht von der Nacht.

Bei der Gelegenheit kontrolliere ich die Hütte von außen, nichts Verdächtiges. Die Nacht hat ihre eigenen Geräusche. Ihre eigene Schönheit, das Land im Mondlicht. Das Børgefjell, Berge am Horizont. Das nächste Gehöft einer Samenfamilie, verlassen.

„Sie sind in den Bergen“, hat uns Kent Mikkelsen vom Nationalparkzentrum gesagt. Es gab einen Zwischenfall, ein paar Rentiere sind auf die andere Grenzseite gehuscht, Schweden ist nah. Jetzt werden sie mit vereinten Kräften zurückgeholt.

Die Rentiere, die das Leben der Sami über das ganze Jahr bestimmen. Acht Jahreszeiten legen den Rhythmus der Farmer fest, zum Beispiel die Zeit des Kalbens, das Markieren der Jungtiere, das Anfüttern und die Ortswechsel vor und nach dem Winter.

Toiletten und Duschen sind in einem rechteckigen Holzhäuschen mit Gründach unweit unserer Hütte, der Gamme, untergebracht. Zum Übernachten gab Kent uns Schlafsäcke, zum Abtrocknen ein Stück Vlies in der Größe eines Geschirrtuchs. Es gibt keinen Spiegel, in keinem der Bäder.

Schade, dass das Gehöft dort am Fuße der Berge zur Zeit unbewohnt ist. Ich hatte mich auf die Geschichten der Sami am Lagerfeuer gefreut. Gleich am ersten Tag unserer Reise nach Mittelnorwegen in die Region Trøndelag hatten wir das südsamische Kulturzentrum „Samien Sijte“ in Snåsa besucht.

Die Gamme, Zelt der Sami
Alles öko.

Wir lernten drei Sami-Frauen kennen, die ihre Traditonen pflegen, ansonsten wie alle anderen leben – inklusive Facebook, Schule, Shopping. Nur die beiden Jüngeren sprechen Südsamisch, das sich vom Nordsamischen unterscheidet wie Norwegisch vom Deutschen.

„Seit den 80er Jahren hat sich viel getan“, sagt Birgitta Fossum, die Museumsdirektorin. Jetzt können die Kinder Samisch auch in der Schule lernen. Und der Nationalfeiertag steigt am 6. Februar, Party für alle, egal ob in Norwegen, Schweden, Finnland und Russland.

Das Tragen der Tracht ist angesagt, und viele Samen halten wieder Rentiere. So erzählen die Frauen, mit angewinkelten Beinen links neben der heiligen Stelle sitzend, wo früher Lebensmittel aufbewahrt wurden. Es gilt als unhöflich, dem Gegenüber die Füße zu zeigen.

„Wir wohnen heute nicht mehr so“, teilt uns Birgitta mit. Heute leben die Sami in Häusern, die Zelte benutzen sie eher selten, wenn sie draußen bei den Rentieren übernachten. Und das sind dann mobile Zelte mit Fellen, nicht wie unsere Torfgamme, die schon seit Jahrhunderten, Jahrtausenden nach dem selben Schema gebaut wird.

Sami-Zelt von außen
Wie aus dem Boden gewachsen

Ökologisch bauen heißt, zurück zu den Wurzeln gehen, denke ich. Holz, Erde, Gründach. Das Material aus der Umgebung genutzt, die Konstruktion dem Klima angepasst. Ohne Feuer funktioniert gar nichts, es spendet Wärme und Licht. Das Feuer steht für die Sonne.

Die Sitzordnung rundherum: auf der linken Seite die Mutter neben dem heiligen Bereich, dann der Vater, die Kinder mittig und der Hund im Eingangsbereich. Auf der rechten Seite die Großeltern und Gäste. Bei der Begrüßung ist es verboten, den heiligen Bereich zu kreuzen.

Man bewegt sich hinter den Sitzenden vorwärts und geht rückwärts aus der Hütte, um den Anwesenden nicht den Hintern zu zeigen. Später versuche ich es, scheitere aber an der Komplexität der Türöffnung. Immerhin schaffe ich ein Mittelding, seitlich gehend.

Snacks machen die Runde: Wir haben getrocknetes Rentierherz und Zunge probiert. Die Spitze der Zunge wurde nicht serviert, damit keiner der Gäste zum Lügen animiert wird. Die Knochen eines zerlegten Tieres werden übrigens begraben, damit zeugen die Sami dem Ren ihren Respekt. Sie glauben an Wiedergeburt.

Sunset über der Huddingselva
Sunset über der Huddingselva

Wir sitzen auf Birkenreisern und Fellen, das Feuer in der Mitte der Gamme hat etwas Magisches. Das Zentrum der Welt ist diese Hütte, beim Umzug ändert es sich. An all das denke ich mitten in der Nacht, als ich zurückkehre in mein Zentrum der Welt, zurück auf meine drei Rentierfelle, die Kent scherzhaft als Kingsizebett bezeichnet hat.

Unter mir spüre ich die Kälte des Bodens, und während ich durch das ovale Loch in den mondhellen Nachthimmel blicke, scheinen sich die drei Welten der Sami in der Gamme zu berühren, die himmliche, die irdische und die unterirdische.

Das Rascheln in der Wand. Mäuse, kein Bär. Der Bär gilt als heilig, ein Mittler zwischen Göttern und Menschen. Der Bär, wir werden ihn bald suchen… Ich schlafe ein.

Text und Fotos: Elke Weiler

Mit Dank an die mittelnorwegische Region Trøndelag für die Unterstützung dieser Reise.

15 thoughts on “Im Land der Sami

  1. Ist ja krass. Ich glaube da hätte ich auch die Mücken husten hören. Die Zelte sehen aber irgendwie schon sehr spannend aus, besonders das Begrünte ist irre. Habt ihr da mehrere Nächte verbracht?

  2. Super Fotos! Sieht absolut abenteuerlich aus. Werde das sicher auch mal im nächsten Jahr ausprobieren. Mücken beim Schlafen sind dann aber natürlich schon eine harte Angelegenheit… :o

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