In den Gassen der Fischer

In einer Stadt wie Stavanger sollst du am Hafen wohnen. Und du wohnst am Hafen. Aus dem Hotel herausstolpernd fällst du quasi in die Nordsee. Oder besser nicht, denn in der Hafengegend tummeln sich Quallen jeglicher Größe in Scharen, da ist eine regelrechte Party im Gange.

Außerdem konnten die Einwohner früher viel leichter ins Wasser stolpern. Da reichten die Lagerhäuser bis fast an die Kante, und man verlud die Ware aus dem Lagerraum direkt aufs Schiff oder umgekehrt. Dann kamen die Dampfschiffe und haben alles durcheinander gebracht.

„Viel zu gefährlich“ urteilt Andrea über die veränderte Situation. Also wurde der Kai verbreitert, damit die Dampfschiffe die Holzhäuser nicht in Brand setzten. Und heute fahren Mütter ihre Kinder spazieren, rund um den Hafen. Paare sitzen am Ufer und ich auch. Kontemplativ.

Andrea ist eigentlich Meeresbiologin, stammt aus Eckernförde und hätte vermutlich nie gedacht, dass sie sich mal auf die Geschichte Stavangers spezialisiert. Obwohl die natürlich viel mit dem Meer zu tun hat. Andreas Mann arbeitet als Geochemiker für eine Ölfirma, darum leben sie in Norwegen. Und zwar an einer recht beliebten Stelle.

„Schon als das Eis verschwand, war der Ort besiedelt“, holt Andrea aus. „Es waren Jäger, die den Rentieren folgten.“ Was für ein Unterschied zur heutigen Stadt, zur Zivilisation. Auch wenn es so etwas wie Street Art damals schon gab – ohne Straßen. Im letzten Sommer habe ich ein Rentier in Mittelnorwegen gesehen.

Das sogenannte Bølareinen in Trøndelag, ein Rentier, vor 6000 Jahren in Stein geritzt. Wie lange wird die heutige Urban Art überdauern? Stavanger hat sich in Sachen Street Art jedenfalls einen beachtlichen Platz erarbeitet und mischt unter den Top Five mit, behauptet sich stolz zwischen London, São Paulo, Melbourne und New York.

Mauer-Pferd von DALeast
Mauer-Pferd von DALeast

Aber dazu werde ich später mehr erfahren und vor allem mehr sehen. Andrea führt uns durch die Altstadt Stavangers. An einer der wenigen modernen Wände treffen wir auf ein sich aufbäumendes Pferd. Spannungsgeladen, fast wie elektrisiert wirken die Drähte, die es formen, doch der chinesische Künstler DALeast hat das Bild mit schwarzer Farbe erstellt.

Die meisten Altstadthäuser sind aus Holz, das Viertel steht unter Denkmalschutz. Und früher sah es so aus, dass die Lagerhäuser am Wasser mit dem jeweiligen Wohnhaus dahinter über einen Gang verbunden waren. „Denn es regnet schon mal in Stavanger“, weiß Andrea. Da waren diese Verbindungsgänge einfach praktisch. Hinter dem Wohnhaus folgte die Straße, auf der wir wandeln – auch das hat Tradition.

Diese Ruhe.

Die „Nedre Strandgate“ galt nämlich einst als Flaniermeile der Stadt. Hatte also jemand einen neuen Partner, zeigte man sich hier, und die Welt wusste Bescheid. Um das Geschehen voller Diskretion verfolgen zu können, brachten die Anwohner Spiegel neben den Fenstern an, wie heute noch sichtbar am Maritimen Museum.

Bausubstanz aus dem 18. Jahrhundert, restauriert. Dass die adretten Holzhäuser feueranfällig sind, können wir uns an allen fünf Fingern abzählen. Da finden wir auch schon ein Alarmtelefon, feuerrot auf weißem Grund. Und Andrea erzählt uns, dass die heutigen Einwohner wegen des Denkmalschutzes hohe Auflagen haben, wenn es ums Renovieren geht.

Katze in Stavanger
Aufgeregte Einwohnerin.

Aber uns und die unzähligen Kreuzfahrtpassagiere freut’s, auch wenn aktuell kein großes Schiff im Hafen liegt. Bald werden sie kommen und durch die Gassen der Altstadt tigern – vielleicht auch jemand mit einem neuen Partner? Doch keiner sieht es, keiner weiß es – die Spiegel von Stavanger haben ausgedient. Und den Touristen fehlt oftmals das Feingefühl, wenn es um die Privatsphäre der Anwohner geht.

Einst waren es die Fischer und Handwerker, die mit ihren Großfamilien in den schnuckligen Häusern wohnten. Heute sind es eher Pärchen, die den Ort lieben und dafür einige Hürden in Kauf nehmen. Zum Beispiel das Problem mit der Anlieferung, denn die Altstadt ist autofrei. Wegen der Gärten sollten wir noch mal wiederkommen, meint Andrea. Da täte sich was.

Die ehemaligen Grundstücke waren länglich geschnitten, also das Lagerhaus am Wasser, Wohnhaus und Garten dahinter, der sich terrassenförmig über den Hügel erstreckte. Die Halbinsel ist felsig, Stavanger auf Granit gebaut, der an einigen Stellen zwischen den Häusern und Gärten hervorlugt.

Als ich am nächsten Tag später wieder durch die Gassen der Altstadt wandele, habe ich noch einmal Glück. Alles ruhig, fast verschlafen. Der Himmel strahlt blau über dem Weiß der Häuser, Möwen kreischen am Hafen. Ich mag diese Kombination der schmalen Gassen und gestaffelten weißen Puppenstuben im Kontrast zu den großen Schiffen. Stavanger überrascht mich mit einer Schönheit, die in sich ruht.

Geöffnet
Geöffnet

Das Stavanger der Fischer, der Schiffsbauer, der Ölsardinenbüchsenhersteller. Heute ist es das Stavanger der Ölfirmen und Touristen. Morgens wirkt es ausgeruht und abends voller Leben – denn dann tobt der Bär in den Hafenkneipen.

Text und Fotos: Elke Weiler

Mit Dank an Visit Norway und die Region Stavanger, die diese Reise unterstützt haben.

Wie es sich in Norwegen und speziell in Stavanger so lebt, erfahrt ihr im Gespräch mit Vanessa, die glücklich in „Norwegen“ ist.

22 thoughts on “In den Gassen der Fischer

  1. Liebe Elke,

    ich lese deine Geschichten richtig gerne. Manchmal 3 auf einmal, an einem freien Tag wie heute ;-) Schön, dir auf deinen Reisen folgen zu können ….

    1. Danke dir, liebe Johanna! Das freut mich natürlich riesig! Ich hoffe, dass wir uns bald mal auf einer Reise kennenlernen!!! Einen schönen Mittsommer wünsche ich dir!!

  2. liebe Elke,
    wieder ein toller Artikel! Vielen Dank! Ich war vor ein paar Jahren in Stavanger, und es hat mir dort sehr gut gefallen. Ich freue mich schon auf Deine nächste Geschichte!
    Viele Grüße
    Martina

    1. Danke, liebe Martina! Hast du Stavanger als Citytrip gemacht? Mit oder ohne Preikestolen? Ich muss unbedingt noch mal hin! ;-) Liebe Grüße zurück!!

      1. … ich war auf Norwegen-Kreuzfahrt … neben einer Erkundung der Innenstadt zu Fuß war ich noch in diesem Steinzeitdorf. Ich muss auch nochmals hin …
        Viele Grüße
        Martina

        1. Norwegen-Kreuzfahrt, das war bestimmt klasse! In dem Steinzeitdorf war ich auch nicht, dafür aber am Strand! Das ist eine andere Geschichte, die kommt noch. ;-) Liebe Grüße!!

  3. was für eine tolle Gegend! von der habe ich auch noch nicht gehört. Aber Norwegen hat ja an sich schon viel Schönes an Kultur und Natur zu bieten – Die Bilder von den Häusern sind echt toll :) liebe Grüße aus Welschnofen, lena

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert