Meine allererste Nacht in Stockholm verbringe ich im Untergrund.
Keine unterirdische Erfahrung allerdings, denn es ist nicht irgendein Keller. Ein Gemäuer mit Geschichte und dicken Wänden, ein Original aus dem 17. Jahrhundert. Sichtbare Gewölbe, der Bauch der Stadt, und so fühle ich mich sicher und behütet innerhalb dieser Altstadtmauern.
Damit auch niemand in den Zimmern des Old Town Hostels unter Kellerangst leidet, wirken Weiß und helle Grautöne gegen die Schwere. Und die Designer-Lampe malt Blümchen an Wände und Decke. Hell und freundlich soll es sein, trotz Untergrund. Aufgepeppt mit schwedischem Innendesign.
Ich lösche das Licht. Ein vergittertes Kellerfenster mit gelöcherten Klappläden lässt den matten Schein der orange- bis rosafarbenen Altstadtlaternen hinein.
Ich habe Glück, denn ich muss das Vierbettzimmer in dieser Nacht mit niemandem teilen. Kaum Geräusche vom Flur oder von draußen – bin ich wirklich in einem Hostel? Keine Musik, keine Partystimmung, keine ausgelassenen Leute.
Aber Julian, der klassische Archäologie studiert hat und im Hostel an der Rezeption arbeitet, erklärt mir, dass es wohl an ihrer No-Alcohol-Policy auf den Zimmern läge. „Wir sind kein Youth Hostel, unsere Gäste sind eher zwischen Anfang 20 und Mitte 30.“ International, lässig, aufgeschlossen.
Die Wege zu den Toiletten oder zum Waschraum – das erinnert mich an vergangene Zeiten im Studentenwohnheim. Ebenso die exotischen Düfte, die aus der Küche in den Flur wabern. Jeder kocht in seinem Stil. Doch um 22 Uhr ist Sense, Tür zu, Schotten dicht. Und alle halten sich dran.
Ab und an Schritte auf dem Flur, ein Lachen, dann nichts mehr. Eine fast gespenstische Ruhe im Bauch der Stadt. Erst als morgens zwischen 8 und 9 der Run auf die wenigen Duschen und Toiletten losgeht, kommt wieder Leben in die blaubeergetönten Gänge. Ein paar Toiletten und bespiegelte Waschbecken mehr hätten auch nicht geschadet, denke ich. Denken die anderen, die warten.
Dabei kann es natürlich passieren, dass man am Morgen einem leicht bekleideten Mann mit knackiger Figur auf dem Flur begegnet. Glücklicherweise bin ich das von zu Hause gewohnt, sonst wäre ich vermutlich aus den Pyjama-Puschen gekippt.
Der Tag in Gamla Stan beginnt also mit einem Lächeln. Und Nieselregen – eben so, wie der gestrige geendet hat. Samstags zwischen neun und zehn wirken die Gassen wie leergefegt, vereinzelte Touristen schlendern planlos durch die Gegend. Die meisten Geschäfte und Cafés machen etwa eine Stunde später auf.
Unter den Einheimischen sind das „Grillska Huset“ am Stor Torget sowie „Under Kastanjen“ in der Kindstugatan um diese Zeit schwer angesagt. Kein Wunder, hübsch, wie es dort ist. Und lecker. In beiden kommt das Brot gleich aus der hauseigenen Bäckerei. Und in beiden gibt es nicht nur Zimtschnecken und Torten, sondern auch eine nette Mittagskarte.
Stockholm im Herbst: Ein japanisches Pärchen lässt sich vor dem Take Away-Fenster des „Chokladkoppen“ fotografieren. Eine Jumbotasse Milchkaffee in den Händen. Als begehrte Fototapete gilt übrigens auch das schräg gegenüberliegende Nobel Museum.
Doch das mit Abstand angesagteste Motiv ist die nostalgische Telefonzelle neben der Storkyrkan. Dort bilden sich regelmäßig Schlangen von Touristen, jeder will einmal aus dem alten Rikstelefon herauslächeln.
Aufwärmen in der Kirche. Während der Stockholmer Dom von außen durch klare Linien und Understatement besticht, trägt er im Innern wesentlich dicker auf. Backsteinpfeiler kontrastieren mit vergoldeter Ornamentik, Renaissance- mit üppigen Barockformen. Und dann dieses auffällige Reitermonument, das eigentlich in keine Kirche passt: ein Drachenkämpfer.
Wildes Leben und drohender Tod in Eichenholz geschnitzt, Dynamik der Renaissance. Immerhin ist es der Heilige Georg, der das Schwert zückt und die Welt vor dem bösen Drachen retten will. Und so trifft man den christlichen Kirchenhelden schon seit dem Mittelalter in dieser aggressiven Pose.
Gegen 12 Uhr tobt nicht der Drache, sondern der Bär in der Våsterlånggatan, der zentralen Shoppinggasse des Viertels. Ich lasse mich in der Menge mittreiben, bis mir der Magen knurrt. Spontaner Entschluss: ein Abstecher zum Lunch nach Östermalm.
Die Metro, hier Tunnelbanan genannt, bringt mich flott auf die schicke, große Insel nördlich von Gamla Stan. Am Östermalmstorg fällt mein Blick auf ein klassizistisches Gebäude. Das ist es! Die Saluhallen. Das Objekt meiner Begierde.
Backstein, 19. Jahrhundert, neugotischer Stil. Doch es ist mehr das Innere, das die Leute lockt: kleine Restaurants, Cafés, Weinbars. Lachs, Hummer, Obsttörtchen, Wein, Käse en masse. Das große Fressen. Verglichen mit dem Sturm der Stockholmer auf die Buffets dieses Gourmettempels, getarnt als Markthalle, wirkte der Samstagstrubel in Gamla Stan ja noch human.
Verführerische Düfte, feinste Qualität in den Auslagen, volle Teller auf den Tischen. Doch was nutzt es: kein Platz mehr frei. Da lacht der Elch über meinem Kopf schadenfroh.
Und so zieht es mich wieder zurück in den Bauch der Stadt. In die regennassen Gassen, in die gemütlichen Cafés der Altstadt. Oder mal zum hippen SoFo auf Södermalm? Es ist ja nicht so, dass Stockholm zuwenig Inseln hätte.
Text und Fotos: Elke Weiler
Schöne Bilder hast du mitgebracht, die mich inspirieren Stockholm auch mal einen Besuch abzustatten. Ein Hostel ist normal nicht so meine bevorzugte Übernachtung (ich möchte wenigstens ein eignes Zimmer, mehr soll’s ja gar nicht sein), aber im Keller zu nächtigen klingt schon sehr interessant.
LG Christina
Hallo Christina,
danke dir! Und da kommen noch mehr Bilder :-)
Ein Mehrbettzimmer wäre sonst auch nicht mein Ding, und ich hatte echt Glück! Aber es gibt ja sogar Hostels mit Privatzimmer & Bad.
Ich habe gesehen, dass man in Stockholm auch auf einem Schiff, in einem Flugzeug und in einem ehemaligen Gefängnis nächtigen kann… Kurios!
LG, Elke
Herrlich, deine Beschreibung des Hostels. Das weckt Erinnerungen an meine erste New York Reise, bei der ich in einem YMCA in der Nähe der United Nations übernachtet habe, nur dass es dort nicht so ruhig zuging wie bei deiner Übernachtung. Ich freue mich schon auf weitere Berichte.
Danke, Monika! Haben denn die Leute in dem YMCA kräftig gefeiert? Ich muss dann ja auch immer an Klassenausflüge und spätere Uni-Exkursionen denken ;-)
Wow, ein ganz toller Beitrag über Stockholm ;) Ich überlege dort mein Auslandssemester zu machen und bin verzeifelt auf der Suche nach mehr Feedbacks von anderen Leuten… Stockholm war schon immer mein primäres Ziel, Schweden halt :) Wie sind denn eigenlich die Preise dort? War der Flug teuer? Ich habe im Internet überall die Preise verglichen und habe bis jetzt nur auf fluegevergleichen.eu was mehr oder weniger akzeptables gefunden. Aber immer noch nicht sicher. Vor allem interessiert mich die Stockholms Musikpedagogiska Institutet und die Gegend dort, kann mir evtl. jemand mehr darüber berichten? Gruß Johann
Danke, Johann,
in welchem Stadtteil liegt das Institut denn? Ich werde noch über Södermalm berichten. Den Flug hatte ich über LH bekommen, war relativ günstig.
Ich denke zum Studieren ist es eine tolle Stadt, wenn auch nicht ganz billig…
LG, Elke