„Als ich einen Bodybuilder aß“, könnte diese Geschichte heißen. Dabei bin ich nicht aus kulinarischem Interesse nach Göteborg gefahren. Vielmehr wollte ich nach meinem Herbstbesuch in Stockholm eine weitere schwedische Stadt kennenlernen.
Und dann geschah es. Dieser Bodybuilder kam mir in die Quere! Ich hatte keine Wahl…
„Er schmeckt wesentlich besser, als er aussieht“, meint Lena, und ich nicke zustimmend. Wir lachen und reden über das Muskelpaket, das auf unseren Tellern liegt. Natürlich hat Johan das gute Stück ansprechend zubereitet. Mit Gemüse, das nach Gemüse schmeckt. Und einer leckeren Soße.
Ich sitze an einem Tisch in der Feskekörka, einer Fischhalle aus dem 19. Jahrhundert. Mitten in Göteborg am Kanal, der zickzackförmig die Altstadt umschließt. Inmitten einer Architektur, die bewusst als Kirche, als heilige Halle für Fisch und Meeresfrüchte errichtet wurde.
Göteborg ist eine alte Seefahrerstadt und liegt an der Westküste Schwedens. Durch den Göta älv ist es mit dem Kattegat verbunden. So schauen Lena und ich auf die ganzen Herrlichkeiten aus dem Meer, die sich auf den Theken in der Fischhalle unter uns ausbreiten. Was für eine Farbenpracht.
Weltmeister Johan Malm hat mir vor dem Bodybuilder eine Auster gebracht. Natürlich eine von hier. 2010 hat er den Wettstreit im Austernöffnen für sich entschieden. „Nur ein, höchstens zwei Tropfen Zitrone“, rät mir der Experte vor dem Verzehr des westschwedischen Weichtieres.
Das Besondere am Skrei
Ich beherzige das natürlich, wenn mir jemand charmant Ratschläge erteilt. Ein Tropfen, perfekt. Das Fleisch ist relativ fest und schmeckt nicht nur nach Meer, sondern auch nach Muschel.
Vor dem Bodybuilder kommt noch eine Fischsuppe, kräftig, mit viel Fisch, Muscheln und frischen Shrimps. Wir diskutieren über den Unterschied von Nord- und Ostseegarnelen. Mal abgesehen vom Größenunterschied finde ich die Exemplare hier süßlicher als die Krabben zu Hause aus dem Wattenmeer.
Johan meint, da die Garnelen direkt auf dem Kutter gekocht werden, schmecken sie eh je nach Fischer anders. Mister Malm ist der Inhaber des Restaurants „Gabriel“, das sein Vater vor ihm 25 Jahre lang geführt hatte. So hat der kleine Johan schon mit fünf in der „Fischkirche“ auf Kisten gestanden und Schalentiere geknackt. Kein Wunder, dass 2010 ein Champion daraus wurde.
Nach der Fischsuppe bin ich eigentlich satt, aber jetzt tanzt der Bodybuilder an: Skrei. Der Winterkabeljau steht nämlich auf der Tageskarte des Fischrestaurants. Im „Gabriel“ kommt vor allem Regionales auf den Tisch. Unser Muskelpaket stammt natürlich aus Norwegen, wo ich bereits das Vergnügen hatte, mit einem Kabeljau-Fischer unterwegs zu sein.
Das war allerdings im Sommer – nicht die Zeit des Skreis also. Johan erzählt zackig, dass der Winterkabeljau schnell schwimmt und viel frisst: „Ein typischer Bodybuilder.“ Kaum Fett, ein Powerpaket.
Vater Gunnar lässt sich ebenfalls blicken, erinnert mich an Jean Reno mit Bart und Nickelbrille und sieht mich an: „Du hattest Kontakt mit meinem Sohn.“ Ich bestätige das. „Hat er sich benommen?“ Ich nicke. Das Verhältnis Vater-Sohn sollte man nicht unnötig belasten. Bartmäßig scheint der eine dem anderen nachzueifern. Fischmäßig sowieso.
Die angesagten Viertel
Lena und ich verzichten aufs Dessert, obwohl man Johan diese Petits Fours kaum abschlagen kann. Wir laufen durch Göteborg, über die Magasinsgatan nach Haga und Linné, den angesagten Viertel südwestlich vom Wallgraben.
In 2021 wird die Stadt 400 Jahre alt, und da wollen die Stadtoberen von den Bürgern wissen, was sie sich so zum Geburtstag wünschten. Lena meint, viele wollten zum Beispiel am Wassergraben gemütlich sitzen können. In Cafés.
Womit wir bei einem essentiellen Göteborg-Thema wären. Um eines gleich vorneweg zu nehmen: Eine Fika ist nichts Unanständiges. Vielmehr handelt es sich um eine hoch verdiente Sache. Sozusagen das Menschenrecht auf eine Kaffeepause zusammen mit den Leuten deiner Wahl.
Möglicherweise mit einer netten Semla dazu. Genau das, nicht mehr und nicht weniger steckt im schwedischen Fika. Eine Semla ist nicht etwa eine nette Begleitung. Oder vielleicht doch. Allerdings eine, die sich auflöst wie der Bodybuilder. Eine Semla assimiliert sich rasch.
Ich sehe nur noch wenige Exemplare im Café „Santa Domingo“ auf dem Tablett. Lena und ich trinken auch lieber nur einen Kaffee, bio und Fair Trade. Wir sind jetzt im Linné-Kiez, unter lässigen Leuten. Auf dem Klo hängt Frank Zappa mit Nichts an und Dirty Records schmücken unsere Rücken.
Fika-Freuden
Hier könnte ich ewig bleiben. Lena sagt, dass die Semlor, aufgeschnittene Hefeteilchen mit Marzipan und Sahne, im „Santa Domingo“ besonders gut sind. Es gibt Leute, die süchtig danach sind, ebenso wie nach den Zimtschnecken „Kanelbullar“.
Wen wundert es da, dass neben der hohen Dichte an Friseuren, die mich an Düsseldorf erinnert, eine offensichtlich extrem hohe Konzentration an Cafés typisch für Göteborg ist? Mein Problem ist, dass ich sie in den zwei Tagen nicht alle durchtesten kann.
Neben dem „Santa Domingo“ gefällt mir „Da Matteo“ (der Inhaber heißt Mats, und sie rösten den Kaffee selbst) sowie der Traditionsladen „Café Kanold“ am Grönsakstorget, wo ich übrigens zentral und ruhig wohne. Nur ein paar Häuser weiter im coolen Hotel Flora. „Du hast einen Concept Room“, sagt mir die Rezeptionistin. „Er wird Rock Room genannt“. Von Rock’n Roll. Dann passt es auch, dass ich mich hier musikalisch ausbreiten kann, in dieser wilden Atmosphäre von Mustern und Farben auf dem Grundton Schwarz.
Die Schweden haben eben ein Händchen fürs Styling. Das fällt mir auch bei den Designerinnen Emma und Malena in der Vallgatan auf. Die beiden Göteborgerinnen, die schon in der Schule zusammen gestrickt haben, lassen heute eine maritime Kollektion für die ganze Familie produzieren.
Shirts mit Streifen, ganz klassisch, Babybodys mit Ankern oder kleinen Makrelen. „Unser Lieblingsfisch im Sommer“, klärt mich Lena auf. Sommer in Göteborg… Und auf den Schären der Westküste, die ich morgens von der Fähre bei Nieselregen bewundert habe.
Ich muss noch einmal wiederkommen. Auch wegen Semla, Fika und Fisch.
Text und Fotos: Elke Weiler
Mit Dank an Stena Line sowie Göteborg & Co, die diese Schwedenreise unterstützt haben.
Zum Weiterlesen: Göteborg in der Vorweihnachtszeit? Und dann wäre da noch die Sache mit Lucia und den Lussekatter…
Hallo, was für ein eindrucksvoller Artikel. Göteborg scheint ein sehr kulinarisches und natürliches Pflaster zu sein.Ich denke, wir werden dieses schwedische Städtchen mit auf unseren Plan nehmen.Verführerisch, geheimnisvoll und viele nette Leute…ich bin neugierig geworden!
Vielen Dank für diesen schönen und liebevoll geschriebenen Artikel.
Julia
wunderbar, da will ich gleich wieder losfahren. Ich hatte das Glück, Göteborg im Sommer entdecken zu dürfen, traumhaft.
Im Sommer möchte ich’s auch mal erleben, auch die Schären dort. Und im tiefsten Winter, mit Schnee. ;-)