Die kuriosen Auswirkungen der Isolation, jenes leichte Durchdrehen. Wie der Moment, wenn man des Lachens wegen weiterlacht. Unbegründete Glücksgefühle. Rundherum ist alles anders und doch normal. Weil das Leben nie still steht, die Zeit nie anhält.
Nur bewegen wir uns nicht weiter wie zuvor. Die Hektik ist davongeflogen. Wir sehen ihr noch ein wenig nach, aber eigentlich wollen wir das gar nicht. In dieser Ruhe habe ich den Eindruck, mich mehr zu bewegen als zuvor. Anders. Intensiver.
Die Familie rückt nach vorne, die Freunde sind präsenter, die Kollegen ebenso. Selbst uralte Bekannte tauchen aus der Versenkung auf. Als wäre die Welt erwacht aus diesem Dornröschenschlaf mit dem Titel „Ich habe keine Zeit“. Jemand hat auf die Stop-Taste gedrückt, und die Erde dreht sich in Slow Motion. Die Luft ist klarer, das Wasser reiner, die Orte einsamer.
Das Glück, in den Tag hineinleben zu können. Das klamme Gefühl verdrängend, sich das nicht leisten zu können. Da wir es aber nicht ändern können, stehen die Zeichen auf Reset. Wir werden kreativ, helfen, organisieren uns neu, atmen durch. Vertiefen uns in den Sternenhimmel. Sehen dem Gras beim Wachsen zu. Holen verstaubte Ideen zurück ans Tageslicht. Denn es ist die richtige Zeit dafür.
Auf dem Hügel sprießt das erste Unkraut zwischen verdorrten Reethalmen. Lange schon ist es meine Lieblingsstelle im Garten, Manchmal sitze ich im Sommer mit Julchen an der Gabelung der Gräben, und wir blicken gemeinsam in die Marschlandschaft gen Westen. Wir würden auf dem Hügel chillen, wäre er im Sommer nicht zugewuchert.
Die kleine Erhebung entstand, als man vor unserer Zeit die Gräben ausgehoben hatte, was in regelmäßigen Abständen notwendig ist, damit die Entwässerung des Marschlands weiterhin funktioniert. Das ausgebuddelte Material wird an den Seiten gestapelt, kleine Hügel wie der unsere entstehen.
Genau dort möchte ich schon seit Ewigkeiten eine Lounge-Ecke mit einem Sofa aus Paletten einrichten. Rundherum alles neu bepflanzen, Brombeeren, Wiesenblumen, nach Möglichkeit sogar einen oder zwei Bäume, die den Wind aushalten, den die Stelle ist exponiert. Drei Bäume haben wir am Deich durch die Winterstürme verloren, also heißt es nachpflanzen.
Zum ersten Mal in meinem Leben nehme ich eine Hacke in die Hände und bearbeite den vom letzten Regen noch klebrigen Marschboden. Zackzack, die ersten Schwielen. Auch greife ich in winzige Fallen aus Brennesseln und stelle fest, dass der Marschboden den Schmerz lindert.
„Warum ziehst du keine Gartenhandschuhe an?“, fragt der Mann, noch bevor ich mich über dies und das beschwere. Gute Idee! Ab morgen werde ich es tun. Auch arbeite ich am ersten Tag weitestgehend allein. Doch die Hühner kennen ihr Gebiet und merken schnell, was am Zipfel passiert.
In der Folge läuft es so: Sobald ich im Garten auftauche, nehmen sie ihre Beine in die Hand und rennen in einem Affentempo hinter mir her. Fortan schuften wir nur noch im Team. Für mich bedeutet das, einmal hier hacken, einmal dort hacken und warten, bis das Federvieh die Stellen nachbearbeitet hat. Bei dem Reichtum an Würmern und Krabbeltieren das reinste Fest für die Drei.
Ab und an schaut Julchen nach dem Rechten und befindet, mir helfen zu müssen. Sie verscheucht die Hühner manchmal, was weder bei mir noch beim Team gut ankommt. Hafrún, Brynja und Gudny lassen sich jedoch nicht so leicht aus dem Konzept bringen. Über Schleichwege kehren sie durchs Reet zurück zur Party.
Ich kämpfe mit starken Reetwurzeln, spüre unbekannte Muskeln, überall. Inzwischen ist die Gartenarbeit am ganzen Körper fühlbar. An Tagen wie diesen, an denen wir uns viel mehr Zeit zum Kochen nehmen, rettet der Garten meine Figur. Sagen wir, ein bisschen.
Ich mache weiter. Zuerst eine Mäuseleiche. Dann der Augenblick, als ich beim Umgraben auf Knochen stoße, direkt unter der Oberfläche. Vermutlich ein Bisam, einer von denen, die an den Gräben leben. Ich fühle mich wie eine Archäologin. Wahrscheinlich wurde die Leiche vom Bagger zusammen mit der Erde hier abgelegt. An diesem Tag höre ich erst einmal auf.
Die Erde, die voller Leben ist, hat auch Platz für den Tod. Mir ist, als würde ich den Boden verstehen. Auch fühle ich mich näher dran an allem. Der ausgesprochen fruchtbare Grund hat den Bauern auf der Halbinsel jahrhuntertelang zu Wohlstand verholfen, noch vor den touristischen Zeiten.
Nach unserer Rückkehr auf die Halbinsel aus dem Exil im mittleren Nordfriesland haben wir uns dem Garten neu gewidmet und mit dem Pflanzen von Möhren, Kohl und Kartoffeln begonnen. Allerdings verbringt meist der Mann die Zeit mit dem Bearbeiten des Bodens, dem Pflanzen und Heranzüchten. Er hat regelrechte Pflanzpläne entworfen und erfahren, dass man bestimmte Gemüsearten wechseln muss.
Nicht alles war erfolgreich. Doch die Erdbeeren zum Beispiel lieben den Boden. Wenn wir diejenigen aus dem Hochbeet mit denen der Marsch vergleichen, schmecken letztere ein bisschen besser. Die Leute, die einst hier wohnten, haben im großen Stil Pflaumenbäume gepflanzt. Die unzähligen Früchte nutzen wir seit unserer Rückkehr mehr denn je und machen sie ein.
Holunderbäume sind überall in Nordfriesland zu finden. Dieser Duft, wenn sie blühen! Ein Sommer ohne Sirup-Produktion ist inzwischen undenkbar. Auch den Rhabarber haben wir nicht selbst gepflanzt. Unbeirrt kommt er jedes Jahr zu Vorschein, erste Blätter und rote Stängel reden vom Frühjahr. So startet unser Erntejahr immer mit Rhabarber – wir lieben Crumble.
Im Herbst mache ich ihn mit den Äpfeln unserer beiden Bäume. Auch wenn einer inzwischen zur Hälfte abgebrochen ist, sind wir gut versorgt. Zwei Bäume mit Sauerkirschen, einer mit Quitten. Wir haben nachgepflanzt. Ein Apfelbäumchen, dass schon länger mit uns umzieht und endlich vom Topf in die Erde wandern durfte. Süßkirschbäume, Himbeeren und Heidelbeeren.
Noch liegen die faden Wintertöne über dem Land. Gelb ist die erste Farbe des Frühlings. Forsythien und Narzissen im Garten, an den Straßenrändern. Wir stehen in den Startlöchern. Wir graben, wir pflanzen, wir leben.
Text und Fotos: Elke Weiler
Das gibt so einen Witz mit einem Professor, der Gott begegnet und wissen will, was Gott eigentlich so könne. da meint Gott, dass er den Menschen geschaffen habe und die Tiere und die Bäume und Pflanzen. Ungläubig fordert der Professor einen Beweis. Da nimmt Gott eine Handvoll Erde und macht daraus einen Menschen. Nun fordert Gott vom Professor dessen Schaffenskompetenz. Der prahlt, er habe aus einer Handvoll Erde einen Fernseher geschaffen. Mit Glas, Kunststoffgehäuse, Prozessoren und ja auch dem Strom, der den Fernseher zum Laufen bringt. Gott will dafür natürlich auch einen Beweise. Selbstbewusst will der Professor den Beweis antreten, bückt sich, nimmt eine Handvoll Erde…. Moment, sagt Gott, mach Dir Deine Erde selber….:_)
Ich bin immer wieder erstaunt, was alles aus der Erde kommt. Und was wir daraus machen können. Ich hatte irgendwann mal die Idee, mit einer Schubkarre Erde zu einem Ernte-Dank-Gottesdienst zu gehen.
Und vielleicht ist es jetzt Zeit und Gelegenheit, sich wieder auf diese Erde, auf unsere Erde, zu besinnen und sie neu und entdecken anstatt sie weiter zu zertrampeln.
Ehrlicherweise fehlt es uns doch gerade an nichts außer Toilettenpapier. Entdecken wir doch wieder das, was wirklich schön und unendlich spannend ist und uns gut tut.
Genießt die Sonnenstrahlen, den Dreck unter den Fingernägeln, die kleinen Würmer und den Traum von Erdbeeren und Pflaumen. Das Leben ist doch ziemlich schön!
Das ist ein Männerwitz! :-D Bin leider jetzt fertig mit dem Hacken, Phase 2 kann beginnen! Gestern haben die Hühner noch mal gründlich „aufgeräumt“. Habe den Eindruck, sie haben leicht zugenommen. Ich wünsche dir und deiner Familie ebenfalls eine schöne Zeit, bleibt gesund und munter, gelobt seien die Gärten und Balkone!
Ach, Elke – wie schön! Ich würde gerade sonst was dafür geben, wenn ich ein bisschen mit dir, den Hühnern und Julchen in der Erde wühlen könnte. Liebe Grüße aus Berlin in den Norden. Lu
Und ich könnte noch eine helfende Hand gebrauchen, liebe Lu! Liebe Grüße nach Berlin vom gesamten Wühl-Team! :-)
Die lieben Hühner und Julchen sind ein super Team und verstehen sich auch meistens gut im Garten.
Meistens schon! ;-)
Liebe Elke, du bist eine so liebe Frau, du bist tierlieb, dein Herz schlägt für die Natur und das macht dich auf Anhieb gleich sympathisch. Ich werde nun mal durch deinen Blog stöbern. Bleib wie du bist und bleib vor allem gesund. Viele Grüße Marcel
Liebe Elke,
es liest sich wie ein Paradies bei euch, und schaut auch so aus auf Deinen Photos! Schön, daß Du uns immer mal wieder mit hinnimmst. :)
Seit dem es hier auch relativ ruhig geworden ist, zeigt sich seit gestern ein Zaunkönig auf dem Balkon! Er war sicherlich auch schon früher da, nur jetzt ist es eben entschleunigt im Viertel. Hier, wo auf einer Seite die Innenstadt samt Bahntrasse angrenzt, unter der Viertel-Mitte die Autobahn durchbraust und an einer anderen Stelle der Autobahnzubringer vorbeiführt, hört man jetzt allenthalben Martinshörner und ab und an einen Helicopter. Die Flugschneise Köln-Bonn ist beinahe inexistent. Es ist jetzt wie auf dem Dorf, wo das lauteste Geräusch die Tornados an Sonnentagen waren.
Zum Leben in der Erde eine kleine Überraschung: Im April 2013 war ich ins Balkonzimmer übergewechselt und fing langsam an, Pflanzen anzuschaffen. (Es gab ein paar Rückschläge, weil es ein Nordbalkon ist.) Bei einem Schnäppchenkauf im Dezember 2014, wanderte ein 20 Liter-Sack Erde auf den Balkon, und wurde nach und nach aufgebraucht. Letzten Mai dann die Überraschung: In diesen knapp 4,5 Jahren hatten Regenwürmer in dem Sack Wind und Wetter überlebt! Die Clematis hat es gefreut, kam sie doch in den Genuß diesen letzten Schwungs samt Bewohner. Die letzten drei Wochen hat sie sich ordentlich ins Zeug gelegt und wenn der Blick nicht irrt, sind das Blütenknospen.
„Wir graben, wir pflanzen, wir leben.“ könnte doch eigentlich als Motto für dieses Jahr herhalten, oder was meinst Du?
Bleib gesund und munter!
Liebe Sonnengrüße,
Franziska
Liebe Franziska,
ja, ich finde, das wäre ein zutreffendes und ganz wunderbares Motto für 2020!
Liebe Grüße, auch an die Regenwürmer und den Zaunkönig! Ein schönes Wochenende!
Elke
Wir leben, und das ist so schön.
Die Welt hat ihre Reset Taste gedrückt, und wir zwischen drin, die einen besser, die anderen schlechter.
Wir dürfen als Menschen wieder lernen, dass wir verwundbar sind, komplett austauschbar sind, und vielleicht mit dem letzten Ruckeln unserer schönen Erde auch, dass wir uns zurück nehmen müssen.
Nach dem Schock, die nächsten drei Monate nicht in Afrika zu sein, sondern hier in meinem neuen Heimathafen, bin ich es sehr dankbar, hier sich wie Pippi und Michel zu fühlen.
Elke und Family, schön auf Euch aufpassen, und ein ganz lieber Wink aus Uelvesbüll, Dani :-).
Danke dir, liebe Dani! Das wünsche ich dir auch!
Ich freue mich sehr, dass du dich hier nach so kurzer Zeit schon angekommen und aufgehoben fühlst!
Wir holen unser Treffen nach! Ganz liebe Grüße, Elke
Wie gut das tut, in der Erde zu wühlen, mit den Tieren zu sprechen oder aber auch endlich Dinge in Angriff zu nehmen, für die wir einfach nicht die Zeit hatten….
Immer wieder ein gutes Gefühl bei dir und deinen Hühnern vorbeizuschauen :)
Von wegen „Geschnatter“, ein Frühlingskonzert und was für eines!
GLG und alles Gute!
Danke, das wünsche ich dir auch! Liebe Grüße von der Küste!
Ohhh wie wahr. Auch wir als kleine Familie in der Nordheide sind froh einen tollen Garten zu haben und draussen an der Luft zu werkeln und die vielen Dinge zu tun, die sonst liegen geblieben sind. Wir sind aktuell dabei Hochbeete zu bauen und den Hasenstall zu vergrößern. Und es macht unheimlich viel Spaß, wir sind dankbar gesund zu sein und freuen uns jeden Tag unsere kleinen Heimprojekte voran zu treiben.
Danke für diesen schönen Beitrag zu deinen Gartenaktivitäten. Alles Gute und bleibt gesund.
Liebe Grüße aus Seevetal
Viel Freude noch mit euren Projekten und alles Gute für euch! Bleibt gesund! Liebe Grüße aus Nordfriesland! Elke
Liebe Elke, zu gerne wären wir jetzt bei euch und würden gerne mithelfen beim Buddeln in eurem Garten ;)) uns geht es gut und wir sind gesund aber in Quarantäne…. Karsten seine Eltern sind beide positiv aber auch ihnen geht es soweit gut. Ich bin total gespannt auf euren Garten und freue mich schon hoffentlich bald wieder in den Norden zu kommen…..wir sind ja jetzt flexibel. Weiterhin viel Kraft und Spaß und gutes Gelingen bei eurer Selbstversorgung :) Bleibt gesund und passt gut auf euch auf!! Ganz liebe Grüße von uns an das Rudel!! Dicken Drücker.
Liebe Anja, danke dir! Wir drücken fest die Daumen für Karstens Eltern! Zum Glück geht es ihnen gut, das soll auch so bleiben. Dann freuen wir uns jetzt schon, dass ihr hoffentlich bald mal wieder vorbeischaut! Liebe Grüße an alle und haltet die Ohren steif!