Ein Interview mit der Autorin von „Einfach loslaufen“
Manche Bücher entdeckt man beim Stöbern, andere werden an einen herangetragen. Als da wäre: „Einfach loslaufen. Eine Reise in fremde Leben“. Svenja Beller, eine junge Journalistin aus Hamburg, hat mich auf ihr Buchprojekt aufmerksam gemacht, das sie gemeinsam mit dem Fotografen Roman Pawlowski in die Tat umsetzte. Spontan fand ich Gefallen an ihrer Idee. Zum einen, weil es eine Art von Slow Travel ist. Zum anderen, weil es in den Norden geht. Wer aber denkt, die beiden haben sich zu Fuß fortbewegt, liegt falsch. Zumindest für einen Großteil ihrer Strecke zwischen Hamburg und Tromsø gilt das nicht. Ich habe das Buch gelesen und Svenja daraufhin ein paar Fragen gestellt.
Einfach loslaufen – das ist für viele ein Traum. Spontan sein. Kein Ziel, keine Richtung. Nicht mal die Zahnbürste einpacken, null Vorbereitung auf die Reise. Oder?
Ja, ich glaube viele wünschen sich mehr Spontanität und Losgelöstheit in ihrem Leben. Die meisten takten ihren Urlaub ebenso durch wie ihren Alltag, aus Zeitmangel, aus Gewohnheit aber auch aus Angst vor dem Unbekannten. Sich voll und ganz auf das Ungewisse einzulassen ist ein Traum – aber auch eine Überwindung, die sich viele nicht zutrauen.
Unsere Vorbereitung beschränkte sich hauptsächlich auf unser Gepäck. Die Schwierigkeit lag darin, für jede Wetterlage zu planen und trotzdem so wenig wie möglich mitzunehmen und einen Weg zu finden die Fotos und Texte unterwegs zu sichern, falls etwas mit unseren Rucksäcken passiert. Ansonsten haben wir nur die Landkarten der Region studiert, um ein Gefühl für die Entfernungen dort zu bekommen, planen konnten wir aber natürlich nichts.
Meist seid ihr nicht zu Fuß gegangen, sondern habt euch des guten alten Trampens bedient, um von Hamburg bis Tromsø zu gelangen. Wie viel Zeit habt ihr euch für den Trip in den Norden gegeben? Dass die Reise in Tromsø endete, war Zufall?
Fest standen nur der Zeitraum von zwei Monaten und die Himmelsrichtung. Manchmal wären wir gerne länger an einem Ort geblieben, aber der hohe Norden hat uns schon sehr gereizt. Dass wir es bis nach Tromsø schaffen würden, hätten wir nicht zu hoffen gewagt.
Ihr wolltet näher dran sein an den Menschen. Ist euch das gelungen, sagen wir im Vergleich zu einer ähnlich langen Reise mit den Öffentlichen, mit Zelten oder gebuchten Couchplätzen?
Ja, wir sind in viele fremde Leben eingetaucht. Die Spontanität, mit der sich die Menschen entscheiden mussten, ob sie uns bei sich aufnehmen, hat die Begegnungen noch intensiver gemacht. Da gab es keine Routine, keine generelle Handhabe mit Übernachtungsgästen wie uns. Alles entstand in den Momenten, in denen wir uns kennenlernten. Natürlich war niemand auf uns vorbereitet, deswegen wurden wir immer Teil von dem, was gerade passierte.
Wir saßen mit an Abendbrottischen, halfen Holz hacken, feierten Geburtstage und ernteten Beeren im Garten – das wäre uns mit öffentlichen Verkehrsmitteln und gebuchten Unterkünften verwehrt geblieben. Außerdem haben wir Menschen kennengelernt, die wir bei Couchsurfing, Airbnb oder im Hostel niemals getroffen hätten, Menschen abseits der Norm.
Mir schwirrte beim Lesen manchmal der Kopf vor lauter Bekanntschaften. Ging es euch selber während der Reise auch so? Oder konntet ihr immer offen sein für die nächste Begegnung?
Die Übernachtungen in unserem kleinen Zelt in der Wildnis waren ein guter Ausgleich zu den vielen Begegnungen. So schön es auch war immer wieder neue Menschen kennenzulernen, genauso sehr haben wir auch die Ruhe und Abgeschiedenheit in der Natur genossen.
Pflegt ihr noch Kontakt zu einigen von ihnen?
Ja, mit vielen unserer Reisebekanntschaften stehen wir immer noch in Kontakt. Einige haben uns in Hamburg besucht, einige haben wir erneut besucht, mit wieder anderen schreiben wir uns. Viele boten uns jederzeit wieder ihr Bett an, sollten wir es nochmals benötigen. Es ist schön, so viele freundlich gesinnte Leute da oben im Norden zu wissen.
Wie haben die Leute reagiert, als ihr von eurer Buchidee erzählt habt? Hatte jeder von ihnen Lust fotografiert und Teil des Projekts zu werden?
Die meisten Leute waren begeistert, als wir ihnen von unserem Buchprojekt erzählt haben. Bei vielen hat unsere Art des Reisens Erinnerungen und Träume provoziert, viele fanden unser Vorhaben auch sehr mutig, was wir selber gar nicht so empfunden haben, weil wir so viele positive Erfahrungen gemacht haben. Viele haben sich gefreut, Teil unseres Buches zu werden und bis auf ganz wenige Ausnahmen haben sich auch alle gerne fotografieren lassen.
Mit der Zeit habt ihr euch mehr und mehr in diese selbstgewählte Art des Reisens hineingefunden. Du sagst, an einem bestimmten Punkt hast du dir kaum mehr Sorgen um die nächste Übernachtungsmöglichkeit gemacht. Könnte man das Buch auch „Einfach loslassen“ nennen?
Ja, es war eine sehr befreiende Erkenntnis zu wissen, dass es immer irgendwie weitergeht. Wenn man kein festes Ziel hat, dann gibt es kein „Falsch“, nur ein „Anders“. Loszulassen und sich treiben zu lassen hat erst all das ermöglicht, was wir auf unserer Reise erlebt haben.
Konntet ihr durch die Begegnungen mit den Menschen ein Gespür, eine Vorstellung vom jeweiligen Ort entwickeln, oder seid ihr dafür zu schnell weitergezogen?
Ich glaube schon, dass wir eine Vorstellung von dem Leben an den jeweiligen Orten entwickeln konnten. Das war natürlich immer sehr subjektiv, weil wir die Orte durch die Augen unserer Gastgeber kennenlernten. Eine Übernachtung ein Haus weiter hätte uns wohlmöglich eine völlig andere Perspektive gegeben.
Svenja, wenn du zurückdenkst: Welcher Moment auf dieser Reise hat sich dir am meisten eingeprägt?
Es gab natürlich viele sehr prägende Momente, deswegen ist das gar nicht so leicht zu beantworten. Als erstes kommt mir ein Abend an einem Wasserfall in der Mitte Norwegens in den Sinn. Wir waren zufällig daran vorbeigekommen und hatten spontan entschieden, dort die Nacht zu verbringen. Auf einer vom Wasser umspülten Felszunge machten wir ein Lagerfeuer, um uns herum menschenleere Weite. Anstatt sich da im Nichts verloren zu fühlen, hatte ich ein Gefühl von starker Verbundenheit mit allem, ein Gefühl von tiefer Ruhe.
Würde ihr noch einmal genau so reisen?
Definitiv!
Ist die Richtung egal?
Prinzipiell ist die Richtung egal, ja. Uns kam natürlich das Jedermannsrecht in Skandinavien zu Gute, das es uns erlaubte in der Natur zu zelten. Dafür wurde es im Norden recht kalt, ein Problem das man im Süden nicht haben würde. Jede Region hat ihre Besonderheiten, und genau darin liegt ja auch der Reiz.
Lieben Dank für das Interview und das Foto! Noch viele schöne Reisen wünsche ich euch!
Das Foto von Roman Pawlowski zeigt nicht nur einen Ausschnitt der Reise, es ist auch eine Art Appetizer auf die atmosphärische, ebenso starke wie „leise“ Bildsprache des Buchs.
Das Buch wurde mir vom DUMONT-Verlag zur Verfügung gestellt.