Schwung ins Blau

In Risør teilt man mir ein Schreiberzimmer zu. Nicht, dass es auf der Tür oder sonst irgendwo so verzeichnet wäre. Ich kann auf bequemen Sesseln vorm Fenster sitzen und aufs Meer blicken, den Booten bei der Einfahrt in den Hafen zuschauen. Sogar ein eleganter Dreimaster aus Oslo legt direkt vor meiner Nase an, während ich schreibe.

Wir waren gerade selber noch auf dem Boot, zurück von der Leuchtturminsel, und haben uns ohne weitere Zwischenfälle und Entenpannen via Tvedestrand weiter östlich vorgearbeitet. Ein zweites Frühstück im Dorf der Bücher, das blendend weiß über dem Wasser leuchtet.

Das zweite Frühstück

Tvedestrand, das oft zärtlich als „Sørlandets Lachgrübchen“ bezeichnet wird. Dabei wirkt es wie Risørs Schwester. Wir finden ein nettes Café mit freundlichen Gästen, die ein wenig nach Julchen schauen, während ich zum Bestellen hineingehe. Ein frisches Zimtteilchen, ein Gedicht. Später flirtet Julchen mit einer von jenen Pudelmischungen, die zur Zeit recht beliebt sind.

Tvedestrand
Zweites Frühstück

In Risør brauche ich gar nicht vor die Tür zu gehen, scheint sich doch alles Leben direkt vor meinem Fenster abzuspielen. Risør gehört zu jenen Städtchen, die zwar sofort geliebt werden, doch spätestens um 18 Uhr die Bürgersteige hochklappen. Eine Stadt, die sich um die Wasserkante herum schmiegt und von dort spielerisch den Fels hinaufklettert. Deren meist weiße Holzhäuser sauber, adrett und redlich wirken.

Das Haus mit der blauen Tür

„Nun sag schon, dass Risør die pure Idylle ist!“, fordert mich die Frau mit einem Lächeln auf. Sie hat alles durchschaut. Vermutlich falle ich auf, wenn ich so als Touristin, die Kamera immer am Anschlag, durch die Straßen und Gassen wandele. Doch viel mehr fällt der Hund auf. Julchen mit ihrer pinkfarbenen Schleife, ihrem Plüschhaar, das in allen Richtungen weht. Julchen als moderne Pippi Langstrumpf, die mal wieder alle Regeln bricht.

Gerade als ich jenes Haus mit der blauen Tür ins Auge fasse, und mir auffällt, dass die für den Garten unverhältnismäßig kleine Gießkanne der Frau im gleichen Blau gehalten ist, genau in diesem Moment legt der Hund los. Beschwert sich, was das Zeug hält. Frei nach dem Motto: Motorräder passen nicht in die Idylle!

Die Frau sieht auf, zuerst auf den Hund, dann auf mich. Und da ist etwas in ihrem Blick, dass ich nicht ganz verstehe. Wirkt sie traurig? Fast schon sind wir weitergegangen, da spricht sie mich an: „Ein Bearded Collie?!“ Ich weiß jetzt, dass sie alles versteht, dass sie den Hund versteht. Wir lächeln uns an. Klar, sie hat einen gehabt. Genauer gesagt, einen Halben. Aber der muss Julchen verdammt ähnlich gewesen sein. Im Alter von 14 Jahren sei er gestorben.

Die Herzensbrecherin

Wir kommen ins Gespräch. Schon Erik aus Kristiansand ist beim Gassigehen bewusst geworden, wie leicht sich über den Hund Kontakte knüpfen lassen. Vor allem mit diesem Hund, den jeder sofort streicheln will. Hatte Erik mir deswegen freiwillig angeboten, sich mit Chaos-Julchen ins Café am Kunstmuseum zu setzen und auf mich zu warten?

Holz, Hafen, Schiff
Holz, Hafen, Schiffe = Risor

Dann ging der Plan leider gründlich in die Hose, denn Julchen hatte quasi in einem fort gebellt und den urbanen Soundkessel angeheizt. Das beschauliche Risør hingegen kann ein Julchen verkraften, ohne aus dem Gleichgewicht zu geraten. Die Anzahl knatternder Zweiräder bleibt übersichtlich, selbst wenn diese dazu neigen, gegen Abend wiederholt ihre Runden zu drehen.

Die Herzen fliegen Julchen nur so zu, genau wie an unserem allerersten gemeinsamen Nachmittag in Südnorwegen. Als wir Kristiansands chillige Ecken entdeckten, immer an der Wasserkante entlang bis auf die Insel Oderrøya. Risør ist überall so.

Smalltalk in Risør

Unsere neue Bekannte vom Haus mit der blauen Tür grüßt hier und da, sie scheint die ganze Stadt zu kennen. Und ohne dass ich fragen muss, erzählt sie mir die Geschichte. Dass sie in dem Haus geboren wurde und hier aufgewachsen ist. Alt sei das Haus, schon ihre Mutter wäre darin 100 Jahre geworden. Ein Schmuckstück ist es.

Blau vor Weiß
Blau vor Weiß

Zwanzig Jahre habe die Frau in Sussex, England, gelebt und nun in der Nähe von Sandefjord, wo ich morgen die Fähre nach Schweden nehmen werde. Aber Risør, das sei Heimat. Wieder hat sie diesen Blick, eine Mischung aus Melancholie und Zärtlichkeit, Stolz und Neugierde. Sie interessiert sich sehr für uns und unsere Reise. Und beim heiteren Beruferaten tippt sie bei mir auf Journalistin. Bloggerin, korrigiere ich.

Fast habe ich den Eindruck, eine neue Freundin gewonnen zu haben, als wir uns verabschieden. Begegnungen sind das, was einen Ort lebendig und unvergesslich macht. Oder sie bewirken das Gegenteil. Im schicken Lillesand war es der knurrige alte Mann, der sich über Julchen geäußert hat. Der froh war, als wir gingen.

Nobody is perfect

Die Frau aus Risør hat diese Erfahrung zehnfach wieder gut gemacht. Sie und all die Anderen, die Julchen Nettigkeiten auf Norwegisch zuriefen und sie einfach verzückt angesehen haben. Und nun die Frau vom Haus mit der blauen Tür, die weiß, wie viel ein Hund versteht. Ach, diese lauten Motorräder, sie lächelt. Ein paar Macken, die habe schließlich jeder von uns.

Wir drehen weiter unsere Runden, ich bewundere die Holzboote im Hafen. Risør hat eine lange Tradition im Holzhandel, Schiffsbau und als Hafenstadt. Schon um 1500 boomte der Handel mit Holland, es ging um das Holz aus der Telemark. Doch erst zu Anfang des 18.Jahrhunderts erhielt Risør Stadtrechte. Einst existierten über 50 Schiffs- und Bootswerften in der Gegend.

Auch heute noch ist Risør für den Bootsbau bekannt, so erhielt die „Risør Trebåtbyggeri“ den Auftrag für den schwungvollen oberen Teil der Fassade des Kulturzentrums Kilden in Kristiansand. Ein dominanter Teil, der sich mit Leichtigkeit zum Himmel aufschwingt und eben jene Bootsbau-Kunst anschaulich macht. Als würde eine Landschaft aus überdimensionierten Baumstämmen von außen ins Innere des Gebäudes dringen, kaum unterbrochen durch einen Vorhang aus Glas.

Kein Boot für uns?

Daran denke ich, während die Holzboote schwungvoll im Blau schaukeln, und Julchen sich die Kaimauer entlang schnuppert. Plötzlich in die Ferne blickt und wohlmöglich erwartet, dass uns bald mal wieder ein Boot auf die nächste Leuchtturminsel bringt. Schließlich hat sie sich gerade erst als Skipperhund profilieren können und – zumindest auf der Rückfahrt – eine gute Figur auf dem Boot des Leuchtturmwächters gebracht.

Kirchenpforte

Besonders die alten Viertel der Stadt ziehen mich an, die vom großen Brand im 19. Jahrhundert nicht betroffen waren. Allen voran Tangen auf dem Hügel, wo einst Handwerker, Seemänner und Kaufleute wohnten. Die maritime Ausrichtung wird schon am Skipperhaus meines Hotels sichtbar.

Immer wieder ziehen wir in Tangen unsere Kreise. Dort, wo die Wege schmaler und steiler werden, die Wäsche im Wind flattert, sich ein Haus aufs andere an den Hügel schmiegt. Hier ist Risør jene „weiße Stadt am Skagerrak“, die es schon vor Jahrhunderten war. Hier ist die Aussicht am schönsten.

Abschiedsfoto
Abschiedsfoto © Adam Read | Visit Sørlandet

Als wir am nächsten Morgen im Zentrum ausgerechnet auf Erik aus Kristiansand treffen, ist die Freude groß. Er hat noch einen Kollegen und dessen Sohn im Gepäck, beide mit Kameras bewaffnet. Also nutzen wir das spontane Treffen für eine Foto-Session, bevor wir uns aus Südnorwegen verabschieden. Es wird Zeit, in Sandefjord die Fähre nach Schweden nehmen.

Ha det bra, Norge! Vi sees! Es war schön mit dir.

Text und Fotos: Elke Weiler

Mit Dank an Visit Southern Norway, die diesen Teil unseres Roadtrips unterstützt haben.

3 thoughts on “Schwung ins Blau

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