In einem Urlaub mit meinen Eltern auf Ischia lernte ich eine Familie aus Neapel kennen, beziehungsweise deren Tochter und den Familienhund. Ohne die Sprache zu sprechen, versuchten wir Kinder uns auszutauschen und etwas über das Leben des Anderen zu erfahren. Die Welt, wie sie ein süditalienisches und ein niederrheinisches Mädchen sah. Denn ich wollte nicht auf einer Strandliege vor mich hindösen und Vitamin D tanken. Ich wollte leben.
Reisen ist die Sehnsucht nach dem Leben.
Kurt Tucholsky (1890 – 1935)
Wir nahmen ein Schiff zum Festland, stiegen den Ätna hinauf, mein Vater und ich. Verschwitzt und verdreckt kehrten wir zurück. Genau dieses Derangierte, jener Hauch von Abenteuer, das Ausbrechen aus der Komfortzone, das ist mir bis ins Detail in Erinnerung geblieben. Die Hitze des Mezzogiorno, der Staub des Vulkans. Auch wenn es viele tun, auch wenn der Aufstieg zum Standardprogramm gehört, wenn man nach Kampanien reist.
Slow Traveller brechen aus? Ja. Slow Traveller sind keine Massentouristen? Nein. Aber manchmal tun sie etwas, das schon viele getan haben, viele tun möchten oder weiterhin tun werden. Manchmal schmilzt der Unterschied. Slow Traveller können vor allem eins: Sie sind ganz dort, wo sie sind. Sie leben im Hier und Jetzt, erleben mit allen Sinnen, geben neuen Erlebnissen und Erfahrungen Zeit und Raum.
Die Slow Bewegung
Einige sprechen bei Slow Travel vom langsamen, andere vom bewussten Reisen. Beides ist nicht verkehrt, doch teilweise irreführend. So kann Slow Travel durchaus schneller als Wandern sein, und keine Reise geschieht unbewusst.
1986 gründete sich die Slow Food Bewegung in Italien. Man legt Wert auf eine gute Qualität, Genuss, Wertschätzung und die Betonung von Regionalität. Genuss hat eine kulturelle und eine historische Dimension. Auch Respekt vor der Natur spielt eine wesentliche Rolle, denn Slow Food basiert nicht selten auf ökologischen Zutaten. Speisen, die mit Liebe zubereitet werden. Die nicht nur satt, die auch glücklich machen.
Ähnlich ist es mit Slow Travel. Vor ein paar Jahren war ich mit Ente Emilia und Hund Julchen unterwegs auf einem Roadtrip durch Skandinavien. Obwohl wir fast jeden Tag den Ort gewechselt haben und uns damit vergleichsweise schnell bewegt haben, haben wir intensive Tage durchlebt. Tage ohne Sightseeing, Tage des Müßiggangs, Tage voller Spontanität und nicht immer willkommener Überraschungen. Emilia machte schlapp, nicht selten mussten wir um Hilfe bitten. Auch das bietet Einblicke in das Leben, die Mentalität, die Gegebenheiten vor Ort.
Überraschung
Eigentlich genügt es schon, mit offenen Augen durch die Gegend zu laufen. Am letzten Sonntag zum Beispiel, da hatte ich Glück. Endlich kam die Sonne ein wenig heraus, ich suchte den besten Weg aus dem Norden Düsseldorfs zum Rhein, endlich zum Rhein. Tagelang war ich nun schon im Rheinland und hatte den Fluss doch vernachlässigt. Dabei liebe ich den Rhein in jedem Aggregatzustand. Wenn man nicht weiß, wo er anfängt und aufhört – aufgelöst, Ufer und Himmel verwoben an nebligen Tagen. Klar und blau bei Sonne, grau und träge bei Regen.
Die eigentlichen Entdeckungen bestehen nicht im Kennenlernen neuer Landstriche, sondern darin, etwas mit anderen Augen zu sehen.
Marcel Proust (1871 – 1922)
Auf der Suche nach der Tram begegnete ich Nilgänsen. Das war ebenso überraschend wie schön, doch auch abstrus, denn sie befanden sich auf einer kleinen Wiese vor einem Hochhaus, wo sie nach essbaren Dingen pickten. Sie wirkten verloren in diesem Meer aus Beton. Und doch haben sie sich diesen Ort ausgesucht. Eine von ihnen gab Laute von sich und sah mich an, als erzählte sie mir etwas. Doch im Umgang Hühnern bin ich eloquenter.
Um diese wunderschönen Gänse überhaupt zu identifizieren, habe ich die App „Vogelwelt“ vom NABU benutzt. Digital Detox, so sagen einige, gehöre zum Slow Travel. Das mag jeder so halten, wie er mag. Ich denke, dass es manchmal wirklich guttut, halte es jedoch nicht für zwingend notwendig. Natürlich lässt einen jede Sekunde, die der Umgebung und nicht dem Bildschirm gewidmet ist, mehr vor Ort sein. Was die Nilgänse angeht, war ich froh, mehr über sie zu erfahren.
Als ich in diesen Tagen in Düsseldorf über Slow Travel referierte, gab ich zu: Es gibt diese langsame, bewusste, intensive Form des Reisens schon so lange, wie Menschen reisen. Der Begriff hingegen ist vor ein paar Jahren populär geworden. Dan Kieran setzt sich in seinem Buch „The Idle Traveller: The Art of Slow Travel“ damit vom Massentourismus ab. Mir gefällt dieses „idle traveller“, der Reisende als Müßiggänger. Jemand, der die Muße hat, sich auf eine andere Umgebung einzulassen. Das trifft es mehr als „langsam“ oder „bewusst“.
Offenheit und Neugierde
Nichtsdestotrotz könnte man Wandern als die Urform des Slow Travels ansehen. Zudem spielt beim Wandern und Radfahren neben dem Zugfahren die Nachhaltigkeit hinein, die im Jahre 2020 so wichtig ist wie nie zuvor. Slow Travel impliziert nachhaltiges Reisen. Leider sind bei Fernreisen Flüge kaum zu umgehen. Umso wichtiger daher, sich vor Ort nachhaltig zu bewegen, nachhaltig zu konsumieren und zu speisen. Als ich auf der Düsseldorfer Messe war und zum Thema Rede und Antwort stehen sollte, meinte jemand geradeheraus: Aber nachhaltig reisen, geht das überhaupt? Geht man davon aus, dass die beste Option ist, sich gar nicht fortzubewegen, erscheint der Begriff des nachhaltigen Reisens widersprüchlich. Doch nicht zu reisen ist auch keine Option. Wichtig ist, wie man reist. Gute Tipps für den Urlaub findet ihr zum Beispiel beim WWF-Ratgeber.
Dabei hilft ein schonender Umgang mit Mensch und Natur. Achtsamkeit im Wald, am Meer, überall. Der weitgehende Verzicht auf Plastik, die Wahl lokaler Anbieter, die Suche nach zertifizierten nachhaltigen Unterkünften. Ebenso zertifiziert sollten die Kompensationsprojekte sein, wenn sich das Fliegen nicht umgehen lässt. Dabei ist auf den sogenannten Gold Standard zu achten. Interessant ist sicher, einmal seinen eigenen CO2-Fußabdruck mithilfe des WWF Klimarechners zu bestimmen und in Gold Standard Projekten mehr oder weniger auszugleichen.
Zurück zur Definition. Für mich ist es die erhöhte Aufmerksamkeit, die Offenheit, die Neugierde, die den Slow Traveller ausmachen. Er sucht den Kontakt zu Einheimischen, nimmt seine Möglichkeiten wahr, ohne sich aufzudrängen. Diesbezüglich kommt mir das Angebot von „A Swedish Slice of Hospitality“ als gutes Beispiel in den Sinn, ich habe es bereits zwei Mal in Malmö ausprobiert. Eine Fika (Kaffeeklatsch) oder ein Dinner bei Einheimischen zu Hause, das ermöglicht einen ganz anderen Einblick in das Leben vor Ort.
Auch wenn ich hier am liebsten Geschichten erzähle, und diese am liebsten slow wie das Winterbaden in Dänemark, habe ich auch die Reihe der Slow Guides ins Leben gerufen. So möchte ich für immer mehr Orte sorgfältig ausgewählte Tipps für langsames, genussvolles, bewusstes und nachhaltiges Reisen geben. Sehenswürdigkeiten abzuklappern ist dabei verpönt, da bin ich ganz bei Dan Kieran. Sich aber in eines der Highlights, vielleicht eine besondere Architektur, eine Ausstellung, einen Wasserfall, einen See zu vertiefen, und das Ganze mit den Augen eines Kindes zu betrachten, trifft Slow Travel schon ganz gut.
Weil diese Art des Reisens mehr als alles andere auf einer inneren Einstellung beruht. Man muss nicht unbedingt die Sprache seiner Destination sprechen, auch wenn genau das einen schon sehr nah an den Geist, die Musik, den Rhythmus des Ortes heranbringen würde. Wer jedoch Augen und Ohren offen hält, schafft es auch ohne intensive Sprachkenntnisse. Sich zu überfordern, bringt gar nichts. Lieber mit Mut zur Lücke und offen hinaus in die Welt ziehen. Nobody is perfect. Und die kleinen Geschichten rundherum, die passieren von ganz allein.
Text und Fotos: Elke Weiler
Liebe Elke.
Das erinnert mich an eine Begegnung auf Kreta. Ich hatte dort für einen Reiseveranstalter fotografiert und mir an einem Tag einen Roller gemietet. Eine Touristin kam mit mir. In einem abgelegenen Dorf mitten in der prallen Mittagshitze bei über 40 Grad begegnete ich einem wilden Esel. Wir kommunizierten so lange nonverbal, bis er in richtiger Position stand. Das wurde zu einem berührenden Moment und einen tollen Foto.
Darauf hin kam eine alte, schwarz gekleidete Frau zu uns. Nein, wir konnten kein Griechisch und sie ausschließlich nur diese, ihre Sprache. Sie hat uns zu Mittag in ihr Haus eingeladen. Ähnliches habe ich auch in Russland erlebt. Das sind Momente, die unvergesslich bleiben. Im Gegensatz zu einer Liste von Sehenswürdigkeiten, wenn man sie nur konsumiert.
Lieber Gruß
Kai
Lieber Kai,
grandios! Es ist toll, was man erlebt, wenn man sich mit offenen Augen durch die Gegend bewegt. Wie viel man versteht, obwohl man eine andere Sprache spricht. Tiere sind wieder anders. Esel stellen auf stur, wenn es hektisch wird. Das weiß ich auch erst seit einer wunderbaren Wanderung mit Eseln. Da hilft dann nur eins: Ruhe bewahren. Also alles richig gemacht! :-)
Liebe Grüße und ein schönes Wochenende!
Elke
Ich liebe Esel !
und wenn es hektisch wird, bin ich einer ;-)
:))))) Sehr gesund!
Einmal, eventuell in Schweden, bei Einheimischen einen Kurzurlaub machen und die Leute kennenzulernen,wie sie leben
Genau, Möglichkeiten gibt es ja genug, auch was für Unterkunft anbelangt.