Sulitjelma erfindet sich neu

Schon vor Jahrhunderten lebten samische Rentierzüchter am Langvatnet. So lässt sich Sulitjelma vom Lulesamischen Sulisjielmmá oder Pitesamischen Sulisjælbmá ableiten. Im 19. Jahrhundert entdeckte Mons Petter hier metallhaltiges Gestein. Zwar handelte es sich nicht um Gold, doch besiegelte ein großes Kupfervorkommen das weitere Schicksal der Gegend.

Zu einer Zeit, als Norwegen sich die Investition kaum leisten konnte, wuchs Sulitjelma zum größten Kupferproduzenten des Landes heran. Doch den Samí machte der Fund nicht reich, immerhin prangt sein Bild heute überlebensgroß auf einer Wand im Minengelände.

Sulitjelma Streetart, Mons Petter von Stein.
Mons Petter von Stein

Nach einem Besuch im Reich der Möhren, dem verschlafenen Valnesfjord, sind wir etwa 110 Kilometer östlich von Bodø in der ehemaligen Bergarbeiterstadt gelandet. „1991 stoppten alle Minenarbeiten. Sulitjelma verwandelte sich in eine Geisterstadt“, erzählt Erik Jensen Liland, der hier wohnt und arbeitet. Dabei lebten um 1910 an die 3000 Menschen in der Gemeinde.

Der verlassene Ort

2012 sind es immerhin wieder über 400. Sie renovierten die historischen Architektenhäuser unter denkmalpflegerischen Aspekten. Den einstigen Reichtum sieht man Sulitjelma heute genau so an wie den Zerfall, denn längst nicht alle Häuser sind wieder bewohnt. Der Bus spuckt uns in schneereicher Landschaft aus. Gesprungene Scheiben, kalte Betonwände, rostiger Stahl. Ein sogenannter Lost Place und kompatibler Ort für Streetart. Lebhafte Kunst, die dem verlassenen Minengelände neues Leben einhaucht.

Sulitjelma Streetart, Deih
Die Minenarbeiter von Deih

Erik spricht von Wiedergeburt. Die Mine als Freilichtmuseum der Kunst. Streetartist Stein aus Bodø hatte 2015 das „UpNorth“ Festival ins Leben gerufen. Jedes Jahr sollen internationale Künstler an einem anderen Ort in der norwegischen Arktis werkeln. Sich inspirieren lassen, von dem was sie vorfinden. In Sulitjelma fingen sie an, im Jahr darauf ging es an die Küste nach Bodø.

Arktische Streetart

Stein war es auch, der Mons Petter auf dem Fabrikgelände verewigt hat. Der Samí, durch dessen Fund Sulitjelma groß werden konnte. Oft ist ein Streetartist an seinem typischen Stil zu erkennen. Nicht so der spanische Künstler Borondo, der sich gleich mehrfach in Sulitjelma verewigt hat, und das jedes Mal anders. Mein Blick fällt auf einen mit Blech verkleideten Pavillon, an dessen Tür eine kopflose Gestalt abtaucht.

Noch mehr Kopflosigkeit von M-City

Auch von Borondo: ein klassizistischer Altar, der in seinem detailreichen, überbordenden, geradezu plastischen Ausdruck im Kontrast zum Grau und zur Glätte des Betons steht, ihm eine ungewohnte Dreidimensionalität verleiht. Doch der Altar ist auf dem ganzen Gelände wohl das am stärksten vom Verfall betroffene Kunstwerk. Oder war die Kurzlebigkeit, dieser Hauch des Vergänglichen, hier bereits Teil der Arbeit – ein einkalkulierter Effekt? Es suggeriert dem Betrachter, ein Werk der alten Meister vor sich haben, das in der Affresco-Technik aufgetragen wurde.

Sabek träumt.

In voller Farbig- und Makellosigkeit hingegen die Minenarbeiter von Deih, einem spanischen Künstler mit großer Comic-Liebe. Die beiden Arbeiter sind mit ungewöhnlichem Equipment ausgestattet, einer scheint Erz in der Hand zu halten. Das Blau ihrer Haut konkurriert mit dem Himmel, als kämen sie von einem anderen Stern. Eines meiner Lieblingsbilder ist das Werk des Spaniers Sabek. Darauf ein Mädchen, dessen Augen von fließendem Türkis bedeckt sind. Sie hält ihrem Gegenüber, einem Hund oder Wolf, einen Totenkopf hin, aus dem Herbstblätter fliegen. Eine traumartige Sequenz.

Sulitjelma lebt wieder.

Leider ist unsere Zeit an diesem Ort nur kurz, der so viele Geschichten in sich birgt. Echte Hunde warten. Wir hören sie jaulen, als wir Jakobsbakken erreichen. Es liegt zehn Kilometer von Sulitjema entfernt und ist mit diesem durch die Minengeschichte verzahnt. Die Gebäude hier sind schlichter, handelt es sich doch um eine Arbeitersiedlung. Auch hier ragen Relikte des Erzabbaus in die Höhe.

Wartende Schlittenhunde

Aus einiger Entfernung schallt das Gejaule der aufgeregten Schlittenhunde zu uns hinüber. Sie können es nicht erwarten. Und wir? Auch nicht. Die Sonne neigt sich dem Horizont zu, die trockene Luft umgibt uns mit Schneekälte. Und ich bin überrascht, dass sich diese minus 14 Grad nicht eisiger anfühlen. Doch wir werden nur eine kleine Runde durch die unmittelbare Umgebung ziehen, während sich der Horizont langsam rosa verfärbt.

Schlittenhunde, Jakobsbakken
Kleine Schlittenrunde

Ich sitze gut verpackt im Schlitten, während die Hunde davor gleichsam über verschneite Wege fliegen. Immer wieder versuche ich, Kamera oder Smartphone hervorzuziehen. Doch nun merke ich die Temperatur im Fahrtwind, innerhalb von Sekunden sterben meine Finger ab. Jedes Mal dauert es länger, um sie in den Handschuhen wieder so weit aufzuwärmen, dass sie nicht mehr schmerzen. Die dreijährige Lara und ihr zehnjähriger Vater Cobra zählen zum Rudel der Musher Trine und Gaute. Das junge Paar wohnt nahe der schwedischen Grenze und freuen sich, dass der Tourismus in Jakobsbakken Fahrt aufgenommen hat.

Schlittenhund Lara, Jakobsbakken
Lara zieht mit.

Daran tragen nicht zuletzt Erik und seine Familie schuld, die derzeit in ihrem Mountain Resort angehende Jungmanager*innen beherbergen. Als wir Trine, Gaute und ihre Hunde-Crew verabschieden, schnallen sich die Gäste gerade ihre Langlaufskier an, um geräuschlos in den Sonnenuntergang zu gleiten. In einem der bereits renovierten Holzhäuser treffen wir Mona Mosti, die gemeinsam mit Eriks Vater die Firma Fjellfarer gegründet hat.

Lefser zum Wiederbeleben

Es geht darum, Touristen diese schneereiche Gegend näher zu bringen. Entweder auf Tagesausflügen ab Bodø oder als Gast im Resort. Alle Mitarbeiter leben in Sulitjelma und bilden damit ihren Anteil an der Wiedergeburt des Ortes. Mona hat Lefser über einem Gitter auf dem Ofen erwärmt, typisches norwegisches Fladenbrot, das mit Zucker und Zimt oder mit Wurst, Schinken und Käse gefüllt werden kann.

Musherin Trine

Mona hat Stückchen von getrocknetem Schafsfleisch in die Füllung gegeben. Wir wärmen uns mit Kaffee auf, scherzen und reden über Eriks Lieblingsthema, die Wiedergeburt. Ich denke an das Polarlicht. Wenn der Himmel tanzt, fühlst du dich wie neugeboren. Und das hätte diesem ohnehin famosen Tag ein I-Tüpfelchen aufgesetzt. Andererseits weiß ich jetzt schon, dass ich wiederkommen muss.

Nicht nur wegen der Nordlichter.

Sonnenuntergang, Jakobsbakken
Der Himmel über Jakobsbakken

Text und Fotos: Elke Weiler

Meine Bergen-Bodø-Reise wurde ermöglicht von Visit Norway, Fjordnorway, Visit Bergen, Northern Norway, Visit Bodø und nicht zuletzt von Widerøe, einer Airline aus Bodø, die von Hamburg und München nach Bergen fliegt.

5 thoughts on “Sulitjelma erfindet sich neu

  1. Hallo, Elke.
    Wir waren in Sulitjelma aufgrund Deines Artikels und haben unsere Eindrücke hier beschrieben.
    Ein zweiter Artikel, in denen ich die Industriebrache selbst portraitiert habe, folgt noch. Ein toller Lost Place. Für die Menschen dort wünsche ich mir, dass Sulitjelma entdeckt wird. Es hat wirklich etwas authentisches zu bieten. Man muss eben nur hinschauen.
    Danke für Deine tolle Inspiration!
    Hier mein Link: https://mare.photo/sulitjelma/
    Lieber Gruß von Kai

    1. Lieber Kai,
      danke dir! Toll, dass ihr dort wart. Und wie man sieht, hat es sich ja auch gelohnt. Freut mich sehr, dass ich euch dazu inspirieren konnte. Ich werde die Gegend auch wieder besuchen. Es klingt vielleicht komisch, aber selbst Bodø hat mir besser gefallen als das so stark frequentierte und beliebte Bergen. Das zweifelsohne seine Vorzüge hat! Aber irgendwie zieht es mich weiter nördlich. Das mag auch an der Aufbruchstimmung dort oben liegen.
      Liebe Grüße!
      Elke

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert