In Barceloneta
Die aufregendsten Konzerte in Barcelona finden im Barri Gòtic statt, auf dem kleinen Platz unweit meines Apartments, und zwar vorzugsweise zwischen zwei und drei Uhr nachts.
Scheppernde Trommelwirbel, wobei ich Handtrommeln und Latin Vibes vorgezogen hätte. Da nutzen die besten Ohrstöpsel nichts. Sowieso verliere ich sie immer im Laufe der Nacht. Irgendwann schlafe ich ein und wache sehr spät auf. Kaffeeduft. ¡Bon dia, Barcelona!
Von Kirche zu Kirche laufe ich, von Viertel zu Viertel, von der Seu zur Santa Maria del Mar, von El Born nach Barceloneta. Einen Kompass brauche ich nicht, auch keinen Stadtplan. Ich finde das Meer immer. Ab dem Paseo de Isabel II folge ich einfach den Menschenströmen, die an diesem Novembersonntag zum Strand fließen. Ich lande am Port Vell und sehe der Luftseilbahn zu, die über den Hafen zum Montjuïc führt.
Noch ein Stück, dann rieche ich es, höre es, schmecke es. Das Mittelmeer. Wild ist es heute, beeindrucken will es mich. Nein, nur der Wind hat es aufgeschaukelt. Vier Verrückte sehe ich, die sich versuchsweise in die Brandung werfen. Am Strand herrscht reges Treiben. Alt und jung, einzeln, zusammen, schlafend, erzählend, spielend, lesend. Oder einfach nur aufs Meer schauend. Meine Theorie nach dieser Nacht: Gefeiert wird bis zum Morgengrauen und dann schön am Strand ausgeschlafen.
Die Surfer sind fitter, auch ein Stand-Up-Paddler kämpft gegen die Wellen, bis er durch die Brandungszone ist. Dann steht er auf, flott und geschmeidig… und hält sich! Eigentlich habe ich eine Empfehlung für eine Paella-Restaurant hier irgendwo. Mireia, Tapas-Guide vom Tag zuvor, hat uns ein paar Tipps mit auf den Weg gegeben. Doch plötzlich duftet es verführerisch. Paella direkt am Meer – das ist es!
Das legendäre Tomatenbrot
Nur ein schmaler Streifen Sand trennt mich vom Wasser. Die Sonne schiebt sich durch die Wolken, und gleich wird es so warm, wie es sein sollte, wenn auch nicht gerade im November. Oder liegt es an den Heizpilzen, die der sonnenbebrillte Oberkellner angezündet hat?
Ich bestelle ein Glas Cava und bekomme Oliven dazu, die pikant eingelegt sind und orientalisch schmecken. Die nette Kellnerin scheint hocherfreut von meiner Auswahl und fragt gleich, ob ich – so als Kennerin der lokalen Gepflogenheiten – auch Tomatenbrot haben möchte. Selbstredend! Pa amb tomàquet! Erst einen Tag zuvor habe ich es kennen- und schätzengelernt. Fast satt bin ich schon, obwohl es so leicht ist. Tatá, tatá – die Paella mit Meeresfrüchten naht. „Vorsicht, heiß!“, mahnt die Trägerin und deutet auf die Pfanne.
Vorzüglich. Obwohl mich Garnelen meist überfordern, wenn ich sie selbst schälen muss. Nirgends schmeckt eine Paella besser als am Meer. Am Mittelmeer. Um mich der Duft von gegrilltem Fisch, weiße Segler am Horizont.
Ein Pier mit Anglern und Flaneuren. Die Surfer, die Familien. Wortfetzen, Kinderstimmen, Meeresrauschen. Die Brandung ist so dominant, noch nicht mal die laute Chillout-Musik des Restaurants kommt gegen den Sound der Natur an.
Salsa am Port Vell
Barceloneta am Sonntag – perfekt. Es gibt Orte, die ich zwar nur rudimentär kenne, an denen ich mich aber mit traumwandlerischer Sicherheit bewege. Barcelona ist so ein Ort. Warum? Wer weiß das schon. So finde ich also problemlos zurück in die Stadt. Vorbei an der Salsa-Band am Port Vell, deren Sound ich eine Zeit lang genieße. Ein Hauch von Kuba am Mittelmeer. Die Zuhörer wiegen sich im Takt, doch warum tanzt keiner?
Zum Nachtisch hatte ich an Schokolade und Churros gedacht. Eigentlich mehr was für den Winter, nicht für halbwegs warme Novembertage. Also zurück ins Barri Gòtic, zurück auf die Calle Petritxoll, die uns Mireia am Tag zuvor auf der Tapas-Wanderung gezeigt hat.
Welche Granja nehme ich? Die Pallaresa oder die Dulcinea? Beide gut, hat Mireia gesagt. Die Dulcinea ist klein, urgemütlich und sehr nostalgisch. Doch kein freies Plätzchen für mich. Also zwänge ich mich in die Pallaresa, im hinteren Raum gibt’s noch Tische.
Ich bestelle also die legendäre „Chocolate con churros“ bei einem der tausend Kellner im weißen Hemd. Die Churros sind fantastisch, die Schokolade schmeckt wie Pudding mit einem Hauch von Bitterkeit. Wird also gelöffelt. Die sämige Konsistenz entsteht durch die Zugabe von Stärke.
Ganz schaffe ich das nicht, ich muss mich dringend bewegen. Draußen im Viertel wird mal wieder dem Kleine-weiße-Hunde-Hype gefrönt, und die größte Attraktion des Barri Gòtic ist längst nicht die Kathedrale. Vielmehr ein pinkfarben akzentuierter Vierbeiner. Ein kleiner weißer Hund, dem sein Frauchen doch tatsächlich die Pfoten und Ohrenspitzen gefärbt hat.
Es wird schon früh dunkel, und die Gassen haben auch im Laternenlicht ihren Reiz. Ich laufe der Musik hinterher und entdecke eine Band aus Barcelona namens Barnakustica. Ein Trio aus Chile, Spanien und Italien, bester Worldmusic-Sound.
Es wird meine erste Nacht im Viertel ohne Konzert. Ich schlafe durch, ein Wunder. Am Montagmorgen in der Früh wirkt das Barri Gòtic zum ersten Mal wie leergefegt, die Gassen wie frisch gewaschen. Nur ein paar ältere Frauen sind schon unterwegs und ziehen ihre Einkaufstrolleys hinter sich her. In meinem Ohr klingt das Meeresrauschen nach, auch die Musik der Gassen, der Sound von Barcelona. Ich möchte dort bleiben, möchte wiederkommen.
Ich muss fahren. Adéu, Barcelona!
Text und Fotos: Elke Weiler
Ahh that looks amazing! And to enjoy a meal there! SO jealous!
http://lasaloperie.blogspot.com
Wenn ich Ihren sehr gut geschriebenen Artikel lese, könnte ich meinen Koffer packen, und ab nach Barcelona. Ich höre jetzt noch das Meeresrauschen.
Die Stadt Barlelona muss man einfach erlebt und gesehen haben.