Es ist nicht wie sonst an Bahnhöfen. Als wir in Düsseldorf einfahren, packt es mich. Wir haben uns über ein Jahr nicht gesehen, die Stadt und ich. Höchste Zeit also, dem Dicken den Bauch zu streicheln. Auf der Mittelstraße, in der Altstadt. In Rom werfen die Leute ja Münzen in den Trevi-Brunnen.
Novemberfeeling. Der Himmel hängt voller Wolken, ab und an kommt etwas davon runter. Original rheinländischer Nieselregen, eine wahre Spezialität der Region. Und vor allem: ganzjährig verfügbar! Ich bin nun ganz andere Wetterlagen gewohnt. Wind, Regen, der einem ins Gesicht peitscht, Nässe, die ganze Landstriche in Seen verwandelt. Prall gesunde, salzige Luft, das wilde Meer. Seit fast vier Jahren wohne ich an der Nordsee.
Sobald der Winter beginnt, der erste Sturm das Laub von den Bäumen gepustet hat und die Cafés schließen, setzt der Heimatblues ein. Der Winter an der Nordsee dauert ewig und drei Tage. Ich vermisse die Stadt und hasse den Matsch auf dem Land. Ohne Gummistiefel geht gar nichts. In der Stadt hat der November etwas Kuscheliges. Man trifft sich auf einen Kaffee in einer Kneipe und lauscht den singenden Kindern, die mit Fackeln durch die Straßen ziehen. Gleichzeitig erwacht der Hoppeditz.
Nachdem wir unser Quartier auf der ruhigen Stephanienstraße bezogen haben und einen Hauch von Exotik an den Palmen im Innenhof ausmachen, wechseln wir zu Little Japan. Ich liebe es. Auf der nahen Klosterstraße reiht sich ein japanisches Restaurant an das nächste. Wir nehmen das mit der längsten Schlange und hoher Nudel-Kompetenz an der Ecke der Oststraße.
Je näher wir ins Epizentrum von Düsseldorf vordringen, desto mehr habe ich das Gefühl, nie weg gewesen zu sein. Auch wenn sich so vieles verändert hat, und wir erst mal eine Bestandsaufnahme machen müssen. Der Tausendfüßler zum Beispiel. Eigentlich ein Relikt der 60er Jahre, als Straßen auf Stelzen in Mode waren. Im April diesen Jahres ist er dem neuen Kö-Bogen zum Opfer gefallen.
Düsseldorf hat leider eine Schwäche für funkelnagelneue Architektur an Stellen, deren Originalität dem Kommerz anheimfällt. Der ehemalige Stadtstrand im Medienhafen ist so ein Beispiel. Heute liegt er unter einem Hotelbau begraben. Und Prestige-Architekturen säumen nun auch den Hofgarten, in ihrer Größe und Dominanz drängen sie das verbliebene Grün im Herzen der Stadt zurück.
Den Tausendfüßler hätte man als grüne Fußgängerbrücke durch die Stadt aufwerten können – ähnlich wie es mit einer alten Hochbahntrasse in New York City geschah. Aber dafür fehlen den Stadtoberen wohl die Visionen. Beziehungsweise mangelt es an einer Bürgerinitiative wie für den High Line Park in New York – heute eine beliebte Joggingstrecke und Touristenattraktion.
Am neuen Kö-Bogen blinkt nun das soundsovielte Bekleidungshaus auf. „Düsseldorf, das heißt kaufen, kaufen, kaufen“, meint die Betreiberin des kleinen Schmuckladens am Carlsplatz. Natürlich nicht zu Unrecht, das ist wie in jeder größeren Stadt. Für mich bedeutet Düsseldorf in erster Linie rheinländische Gemütlichkeit. Der Rhein ist hier am schönsten – mit diesen rasanten Kurven! Dann kommen Kunst, Kneipen und Kinos – sehr schnuckelige Programmkinos!
Für mich ist Düsseldorf ein Melting Pot mit langer Tradition und mit der größten japanischen Gemeinde des Landes. Es hat genau die richtige Größe mit Vierteln, die wie Dörfer funktionieren. Flingern-Nord mit der Ackerstraße oder Unterbilk mit der Lorettostraße sind solche Kieze. Hier finde ich die kleinen Läden und Märkte.
Ich will weiter, und zwar unbedingt zu der Gasse, in der wir gewohnt haben. Das Pflaster neu und nullachtfuffzehn, wieder etwas weniger Charme, auch hier, im Herzen der Stadt, die sich ja immer noch Altstadt nennt. Auf dem Klingelschild der Name unseres ehemaligen Vermieters. Natürlich schauen wir, ob da Licht in unserer alten Wohnung ist.
Sollen wir klingeln? Alles dunkel. Wir hatten dort einen kleinen Balkon, auf den so gerade ein Tisch und zwei Stühle passten. Die Beete, die der Vermieter angelegt hatte, schränkten den Platz noch mehr ein. Aber wir haben uns gefreut: Urban Gardening auf ein paar Quadratzentimetern. Alles wuchs und gedeihte.
Mein Büro habe ich mir mit den Meerschweinchen geteilt, und in schöpferischen Pausen ihr komplexes Sozialleben studiert. Wir haben kein Auto gebraucht, weil wir alles zu Fuß, mit Fahrrad oder Straßenbahn erledigt haben. Schweren Herzens habe ich meine Ente verkauft, ein Auto haben wir behalten. Jedes Mal, wenn wir es brauchten, haben wir die Straßen der Carlstadt durchforstet, weil wir uns nicht mehr erinnern konnten, wo wir es abgestellt hatten.
Als wir in die Carlstadt einbiegen, kann ich ihn riechen. Den Rhein. Ich mag diese kleine Straßen und Gassen rund um die Maxkirche. Im Programmkino Black Box wundern sich ein paar Leute, dass nicht mehr Interessenten für den Film auf der Matte stehen. Dann erscheint der Filmvorführer auf der Bildfläche, und man ist erleichtert. „Das sind aber auch dunkle Ecken hier!“ Ich muss lachen.
Einmal, weil diese Laternen beleuchteten Ecken gar nicht so weit „off the beaten path“ liegen. Weg von der Masse, die sich unermüdlich durch die Altstadt schiebt. Einmal abbiegen, und da ist sie, die wunderbare Ruhe der Carlstadt. Das Dorf in der Metropole. Ich liebe diese kleinen Winkel. Die Carlstadt mit ihren Museen, den Rosengarten beim Spee’schen Graben und das legendäre Kneipen-Café „Zicke“.
Wir stehen am Rhein, der Hochwasser führt und mit einer irren Geschwindigkeit aus der steilen Kurve des Rheinknies an uns vorbeischießt. Auf dem Burgplatz sprengt ein blinkendes Riesenrad den Rahmen. Gegenüber die Gründerzeitbauten von Oberkassel in alter Frische. Ich erinnere mich an die Eindrücke im Nebel, wenn das andere Ufer nur zu erahnen ist. Der Rhein ist immer schön.
Wir gehen weiter zur nördlichen Altstadt, auf die legendäre Ratinger Straße. Hier stehen im Sommer alle draußen, ein Gefühl wie in Lissabon auf der Rua do Norte mitten im Bairro Alto. Nun klafft eine Lücke in der Größe von zweieinhalb Fußballfeldern auf der rechten Seite der Ratinger. Wir laufen ein bisschen um die Baustelle herum und erfahren: Hier sollen vor allem Luxuswohnungen entstehen.
Wenn etwas nicht zusammenpasst, dann der bierselige Trubel auf dieser Straße und gutbetuchte Eigentümer, die spät von der Arbeit nach Hause kommen und ausspannen wollen. Also der Anfang vom Ende einer Legende? Und keiner muckt auf?
Wir treffen uns im Füchschen mit Freunden, trinken Alt und essen Regionales aus der Großküche. Die meisten kommen fürs Bier hierher, es steppt der Bär. Der Rheinländer feiert ja gerne und oft. Er gilt als lustig, mitteilsam, tolerant. Vielleicht ein bisschen oberflächlich, in seiner Offenheit. Aber nur ein bisschen!
Ist Artikel 3 des „Rheinischen Grundgesetzes“ hier anzuwenden? „Et hät no immer joot jejange.“ Also irgendwie ist es Mist, aber das wird schon. Auch das mit der Ratinger?
In den nächsten Tagen folgt Termin auf Termin, Sozialkontakte für einen Monat im Voraus. Mir wird schwindelig, doch ich sauge es auf, dieses wohlige Rauschen. Kaffeetrinken auf der Kö, Tiramisù im Carschhaus, Kino in der Schneider-Wibbel-Gasse, Brunchen in Bilk.
Alles ist wie immer, alles ist anders.
Eines ändert sich vermutlich nie: mein Heimatgefühl.
Jedes Mal, wenn ich in Düsseldorf bin, ist es so, als sei ich nie fort gewesen.
Text und Fotos: Elke Weiler
Dieser Artikel bildet nach „Bonn im Sommer“ nun Teil 2 meiner Revival-Tour-Serie. Bloß nicht verpassen: meine Insidertipps für Düsseldorf!
3 thoughts on “Tiramisù, Düsseldorf!”