Wilhelmine und die Waffeln

Bergische Kaffeetafel

Die Dröppelmina ist schuld. Wenn die Wuppertalerin Meike mir nicht in einem niederländischen Museum davon erzählt hätte, wäre alles anders gekommen. Während einer Tour mit dem Hausboot durch Friesland machten wir nämlich Halt in Joure.

Zwischen Teebeuteln, Röstmaschinen und dem historischem Mobiliar des lokalen Museums passierte es: Meike machte neben normalen Kaffeekannen ein bauchiges Gefäß aus. Ich tippte auf einen Samowar, doch Meike schüttelte das Haupt. Wozu nur heißes Wasser kochen, wenn man gleich den ganzen Kaffee darin zubereiten kann?

Und dann fiel jenes Wort, das Assoziationen weckt: Dröppelmina.

Die Spur führt ins Bergische Land. Auf meinem Trip in die alte Heimat eise ich mich von der Düsseldorfer Streetart los und nehme eine Bahn bis Wuppertal-Vohwinkel, wo Meike mich abholt. Unser sorgfältig ausgewähltes Ziel heißt Schloss Burg in Solingen.

Prachtexemplare

Vom Bergischen Land kenne ich zugegebenermaßen wenig. Ich war ein paar Mal in Wuppertal, als ich noch in Düsseldorf wohnte. Ja, und mit der Schwebebahn bin ich auch schon gefahren. Aber nun scheint einiges in Wuppertal in Bewegung zu sein, die kulturelle Szene wächst. Nicht nur Meike sagt das, so als Lokalpatriotin. Auch ein ehemaliger Düsseldorfer, der nach Wuppertal gezogen und in der Szene aktiv ist.

An jenem grauen Herbsttag wirkt Wuppertal alles andere als trendy. Im Sommer müsste ich wiederkommen, meint Meike. Aber jetzt wollen wir erst mal Vintage-Atmosphäre schnuppern und mit der Seilbahn zum Schloss Burg hinauf schaukeln. Back to the Fifties, denn seit 1951 hat sich das Erscheinungsbild der Bahn kaum verändert.

Meike macht mich darauf aufmerksam, dass sie ihre Holzclogs vermisst, und ich schaue ein bisschen überrascht aus der Wäsche. Es ist kein Tag für Clogs, schon gar nicht aus Holz. Im Rheinland hätte ich noch von typischem Nieselwetter gesprochen, aber wir sind ja im Bergischen. Und die Bahn führt steil hinauf.

Ziegen über der Wupper

Zunächst mal über die Wupper. Dort hätte sie ja einen ihrer Clogs verlieren können, damals als Kind, als sie mit ihren Eltern hier hinauf fuhr. Deswegen hätte sie die Zehenspitzen immer angestrengt hochgehalten. Beruhigend zu erfahren, dass es nie zum Äußersten kam. Übrigens spricht Meike nie von Holzclogs, sie benutzt das plattdeutsche Wort „Klotschen“.

Für meinen Geschmack spricht sie das „K“ zu sehr wie ein „G“ aus – das muss die bergische Variante sein. Während Meike in Kindheitserinnerungen schwelgt, oute ich mich als zeitgenössische Klotschenträgerin, zumindest in der Sommersaison. Und zwar aus schwedischer Produktion. Dabei betrachte ich andächtig die Wupper unter mir. Warum heißt es eigentlich: Über die Wupper gehen?

Für alle, die den Ausdruck nicht kennen: Er steht für Pleite, Bruch und Tod. Vermutlich stammt er aus dem 19. Jahrhundert, als das Landgericht einen Neubau auf einer Wupperinsel erhielt. Ein Geschäftsmann musste also, wollte er seinen Bankrott anmelden, über die Wupper gehen, klärt mich Meike auf.

Zurück ins Mittelalter

Ebenso wurde ein neues Gefängnis auf der anderen Seite der Wupper errichtet, in dem „nebenbei“ auch hingerichtet wurde. Glücklicherweise können wir heute ganz unbesorgt und sachte mit der alten Seilbahn über die Wupper schaukeln. Die pure Idylle, selbst Grau in Grau. Ziegen grasen malerisch am Hang. Ein Ritter, vielmehr seine Rüstung begrüßt uns bei der Bergstation.

Riecht es nach Waffeln, oder ist das eine olfaktorische Täuschung – eine Art hungerbedingte Halluzination? Als wir aussteigen, sind wir umgeben von Restaurants, Cafés und auch Buden, denn der Handwerkermarkt auf Schloss Burg ist in vollem Gange. Ich habe jetzt eine der Buden wegen des Dufts im Verdacht, doch die meisten hier ansässigen Cafés bieten eine Bergische Kaffeetafel an. Und dazu gehören nun mal Waffeln.

Aber zunächst schauen wir uns ein wenig um. Schloss Burg nimmt sich als typisches Ausflugsziel der Gegend aus, sommers wie winters. Im Mittelalter residierten hier die Grafen von Berg, später verfiel die Festung, konnte aber im 19. Jahrhundert rekonstruiert werden. So richtig können wir uns dem Innenleben des alten Gemäuers allerdings nicht widmen, denn überall haben sich die Kunsthandwerker breitgemacht.

Lost im Schloss

Darüber hinaus haben wir ja einen wichtigen Termin. Mit einer dicken, dreifüßigen Kaffeekanne, die über einen Hahn verfügt. Dieser wiederum zeichnet sich durch Dröppeln, also Tropfen, aus. Um die Sache genauer zu recherchieren, lassen wir das höfische Leben und die Fachwerkhäuser vor dem Schloss hinter uns und kehren im Café „Zum Rittersturz“ ein.

Der Name scheint quasi Programm zu sein. Nicht, dass sich hier Ritter in die Tiefe stürzen würden. Doch als wir gemütlich drinnen sitzen, sehen wir die Gondeln der Seilbahn vor unserer Nase vorbeiziehen. Nichtsdestotrotz geht der Name auf eine Sage zurück, und wir sind mitten in den Zeiten der Grafen von Berg. Ein des Mordes verurteilter Ritter stürzte sich samt Pferd den Hang hinunter, blieb jedoch auf wundersame Weise unversehrt – sein Gaul ebenso. Man landete irgendwie in der Wupper und sprach noch einen anschaulichen Fluch aus, bevor man davonritt.

Axel Bunzel, der Chef im Café, erzählt uns die Geschichte auf Meikes Nachfragen. Vor allem aber will er Aufklärung in Sachen Kaffeetafel betreiben. Mit Worten wie mit Taten. Alles begann mit Hefestuten und Milchreis im 18. Jahrhundert. Bei Familienfeiern, etwa bei einer Kindstaufe. „Wer Geld hatte, hat das Angebot erweitert“, so Bunzel. Doch Burg galt eher als arme Gegend.

Man beachte den Milchreis.

Erweiterungen gab es im Bergischen schon: süß-herzhafte Kombinationen mit Brot, Butter, Käse, Schinken, ja sogar den abschließenden Schnaps. „Nach dem 2. Weltkrieg kamen auch Kirschen hinzu“, erzählt Bunzel. Die Bezeichnung der Bergischen Kaffeetafel kam wohl erstmals im 20. Jahrhundert auf. Doch die Dröppelmina existierte quasi seit Beginn der Entwicklung.

Eine Kanne aus Zinn, das sei hygienisch, roste nicht und hielte schön warm. Kaffeepulver und heißes Wasser wurden im Gefäß gemischt, das langsame Verstopfen des Hahns gehört laut Meike dazu. Dann dröppelte der Kaffee nur noch heraus. Und Mina? Kommt von Wilhelmine. Scheinbar ein typischer Name für eine Haushaltshilfe in der damaligen Zeit. Den Ursprung der Kaffeekanne vermutet Bunzel in Holland und Belgien, was sich mit unseren Museumserfahrungen in Joure deckt.

Auch wenn die Bergische Kaffeetafel für eine Weile verschwand, tauchte sie doch in den 60er Jahren wieder auf. Genau wie die Seilbahn existiert das Café „Zum Rittersturz“ seit den 50er Jahren. Bei den Bunzels führte eine Anfrage aus Düsseldorf vor gut 20 Jahren zur Wiedereinführung der Tafel im Café. Es gibt zwei Varianten, zum einen das Original mit einer frischen Bergischen Waffel, Sahnemilchreis, Zimtzucker, Stuten von einem ortsansässigen Bäcker, der auch für den fluffigen Zwieback verantwortlich zeichnet.

Hinzu kommen Butter, Quark, Konfitüre, Schwarzbrot vom Bäcker, selbst gebackener Sandkuchen, eine Burger Brezel sowie ein Kännchen Kaffee, Tee oder Schokolade. Erweitert werden kann das Ganze mit Graubrot, Apfelkraut, Schinken, Käse und einem bergischen Korn oder Aufgesetzten. Mit anderen Worten: Die Bergische Kaffeetafel ist Lunch und Kaffeezeit in einem. Manche essen danach auch nicht mehr zu Abend. Oder lassen sich wie wir die Reste einpacken.

Statisten auf Schloss Burg

Mein absolutes Highlight? Der Sahnemilchreis. Dabei wird die Sahne dem bereits gekochten Milchreis untergehoben. Nun folge ich den Anweisungen der Einheimischen und packe etwas Milchreis auf die Waffel. Warum auch nicht. Mit bloßer Sahne würde ich es ja auch tun. Danach bin ich eigentlich satt, probiere aber noch vom Zwieback und auch von den herzhaften Dingen.

Im Prinzip müsste man nach der Bergischen Fressorgie zu Fuß von Schloss Burg hinunter wandern. Doch damit es nicht zum Ritter- äh- Kaffeetrinker-Sturz kommt, nehmen wir lieber wieder die Seilbahn. Und kehren aus der Vintage-Welt der Cafés dort auf dem Berg zurück in das moderne Leben. Zum Glück trägt Meike nicht ihre alten Clogs. Die würden eh nicht mehr passen und hätten es garantiert nicht über die Wupper geschafft. Aber was rede ich da, sie sind wohl längst dort.

Text und Fotos: Elke Weiler

Mit Dank an Meike für ihre fachmännische Begleitung sowie an Tourismus NRW und Die Bergischen Drei für die Unterstützung meiner Kaffeetafel-Expedition.

6 thoughts on “Wilhelmine und die Waffeln

  1. Ich möchte schon so lange eine bergische Kaffeetafel besuchen. Sagt man eigentlich besuchen? Oder besser genießen? Jedenfalls macht dein Bericht extrem Lust darauf. Vorsätze fürs neue Jahr konnten auch gut sein, oder?
    Vielen Dank für den schönen, kurzweiligen Bericht.
    Liebe Grüße, Heike

    1. Genießen, würde ich sagen. Oder kosten, probieren? :-) Egal, Hauptsache, dir schmeckt es! Freut mich, dass dir der kleine Vorgeschmack hier gefällt. Auf die guten Vorsätze! Liebe Grüße, Elke

  2. Die Wupper ist ja auch eine Art Meer! :) Wir scheinen irgendwie immer zu leicht unterschiedlichen Zeiten an denselben Orten zu sein. Auf Schloss Burg haben wir voriges Jahr auf der Rückfahrt aus dem Rheinland auch Pause gemacht, allerdings nicht zum Kaffee, sondern richtig zum Besichtigen (und anschließend zum Mittagessen, aber nicht im „Rittersturz“). Alles Liebe in den „Süden“.

    1. Das scheint echt so zu sein! Aber ich weiß, wir werden es irgendwann mal gleichzeitig an einem Ort zur selben Zeit schaffen. Und natürlich wollten wir auch die Burg besichtigen. Wir waren ja auch drin. Aber die Kunsthandwerker hatten sich so breit gemacht. Höhere Gewalt sozusagen. :-D Euer Lunch bestand demnach nicht in einer Kaffeetafel? Und keine Waffeln mit Sahnemilchreis? ;-) Ganz liebe Grüße gen Öresund!

      1. Nein, wir hatten so neumodischen Kram wie Pommes und Salat im „Café Voigt“ und danach war keine Zeit und kein Hunger mehr übrig. Aber die Bergische Kaffeetafel merke ich mir, das muss ich auch irgendwann probieren, wenn genügend Mitesser dabei sind. Wann bist Du denn mal wieder in Schweden? Meine Stressphase ist zum Glück vorbei, ich habe also endlich wieder Zeit für Fika und andere wichtige Dinge des Lebens.

        1. Sobald ich Zeit habe, setze ich mich mal in mein altes Auto und komme vorbei. Das wird vermutlich so im Frühjahr werden. Dann genehmigen wir uns eine Fika, und ich muss auch dringend noch ein paar Kaltbadehäuser testen! :-D

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