Das Wattwurmorakel

Als Madame von ihrem x-ten Auslandseinsatz zurückkehrte, bereiteten wir ihr einen gebührenden Empfang mit Parade und allem Pipapo. Den Zug- und Gleislutschern fielen glatt die Augen aus dem Kopf.

Natürlich war ich happy, doch die ganze Sache schmeckte mir nicht: In der letzten Zeit war Madame viel zu oft mit dem sogenannten Kollegen Luis unterwegs. Dem Rastaschaf bekamen Städtetrips überhaupt nicht: Er soff aus zu hohen Biergläsern und lag jedes Mal im Koma, wenn er wieder zurück war.

Trotzdem gab ich ihm ein Bussi, war ich doch wegen Madames Heimkehr in exzellenter Stimmung. Zur Feier des Tages wollte ich mein Rudel zum Griechen führen und war fast beleidigt, als sie meine Einladung nicht annahmen. Aber ich wusste eh nicht, ob man dort meine Kreditkarte akzeptierte. Wir verschoben das Luxusdinner aufs Wochenende, und ich regte an, einen kleinen Insel- oder Halligausflug zu machen.

Doch Madame hatte schon wieder anderweitige Reisepläne… Hamburg! Da gab es doch noch nicht mal Meer! An welchem Strand sollte Luis sich dort herumfläzen? Es war zum Pferdeäpfelpürieren.

Am Tag nach ihrer Heimkehr hatte Madame nichts Besseres zu tun, als mein üppiges Haarkleid um einige Kilo Wolle zu reduzieren. Himmelschafundmeer, was für ein Aufwand! Und wie lange das dauerte! Trotzdem fühlte ich mich nach dem Besuch bei meiner bevorzugten Coiffeuse wie neugeboren. Frisch, duftend, schwerelos.

Ich war in bester Spiellaune und schnappte mir Gustavo. Der Junggeier hatte meinen Sommergarten nämlich noch nicht kennengelernt. Außerdem bot ich ihm die Überreste meines Frühstücks an, denn ich hasste Paté. Auch fraß ich am liebsten in netter Gesellschaft.

Der junge Mann an Julchens Seite ist nicht Emil!

Um nicht vom Fleisch zu fallen, bediente ich mich ausgleichshalber bei der eisernen Ration des Katertiers, meinem Retter in der Not. Er wusste schon, wie er spielend leicht an Nachschub kam: Schnurrmodus einschalten, Silberblick aufsetzen, kuscheln, fertig.

Man könnte die Löffelgesichter durchtrieben nennen, doch ich meinte: Jeder hatte eben seine eigene Überlebensstrategie. Auch Tagediebe wie Mats oder Luis kamen ganz gut klar. Sie schlugen sich die Bäuche voll und rekelten sich genüsslich in der Sonne. Und es gab immer jemanden, der das süß fand. Einen Sponsor.

Gut gestärkt überredete ich Madame, mich in die Ordinger Wüste zu kutschieren. Ich hatte tags zuvor Emil beschnackt, um ein Rendezvous dort zu arrangieren. Denn das höchste der Gefühle war natürlich ein Date mit dem Herzallerliebsten in meinem wunderbaren St. Buddel.

Doch der umtriebige Kerl ließ auf sich warten, und mir verging ganz flott die gute Laune. Noch nicht mal auf die geniale Schwabensportart hatte ich Lust, die meine Schwester Missy mit unschlagbarem Ehrgeiz betrieb. Vermutlich hatte sie schon den Meistertitel in der Tasche.

Madame warf das Frisbee, und ich ließ es durch die Lüfte segeln, schaute ihm hinterher, blickte aufs Meer. Melancholie… War das Liebeskummer? Oder Fado?

Melancholie an der Nordsee

Dudel, ein Tourist aus Süddeutschland, der mit seinem Rudel eifrig Bällchen spielte, bekam eine Breitseite meiner Launenhaftigkeit zu spüren. Nachher tat es mir leid, denn der Zweieinhalbjährige war eigentlich ein ganz patentes Terrierkerlchen. Er fing sogar an zu buddeln, doch selbst das konnte mich nicht anspornen.

Absoluter Buddelstopp. Madame gab ihr rühmliches Vorhaben auf, mich unterhalten zu wollen, und warf sich in den Sand. Ich daneben. Wir chillten ein bisschen am Meeressaum, lauschten dem Plitschiplatschi der Wellen und erfreuten uns an den verzweifelten Versuchen der Kitesurfer, das wilde Meer zu bezwingen. Zweisamkeit konnte so schön sein.

Doch ich musste ab und an die Position wechseln, damit uns keiner in den Rücken fallen konnte. Derweil erzählte ich Madame von meiner Begegnung mit der dritten Art am Husumer Dockkoog: Pontus, ein irischer Wolfshund in der Kleinkind-Version. Groß wie ein Kalb, staksig wie ein Fohlen. Trotz echter Koordinationsschwierigkeiten wollte er unbedingt mit mir spielen.

Natürlich tat ich ihm den Gefallen, musste aber höllisch aufpassen, dass der Typ mir nicht auf die Pfoten oder sonst wohin trat. Für ein gepflegtes Tänzchen war er dann doch zu ungelenk.

Ein Zufallstreffen mit Rocky, dem jaulenden Beagle aus Husum, wäre mir deutlich lieber gewesen. Der Typ hatte vielleicht Hummeln im Hintern, heiliger Wattwurm! Wir waren über den Dockkoog gepest, dass die Plüschohren nur so schlackerten.

Bereit für das Leben: Julchen in der Wüste

Schließlich ließ ihm die Ehre zuteil werden, den Vorderpfotentaps zu lernen. Leichte Verwirrung in seinem Blick. Wie gerne hätte ich mich mit ihm durchs Gras gewälzt, doch Rocky kapierte es einfach nicht.

Nur ein einziger Hund auf der Welt kannte sämtliche Varianten des gehobenen Spiels: mein Emil. Ergo schlug ich Madame vor, ihn zu adoptieren.

Doch Madame gab zu bedenken, dass ja auch Schwiegermadame und -monsieur ein Wort mitzureden hatten. Ich musste eine andere Regelung finden. Dog-Sharing? Emil klonen? Heiraten?

Dazu fühlte ich mich zu jung. Tief in meinem Innern spürte ich, dass das Leben noch viele Überraschungen für mich parat hielt. Verdammt viele.

Ich war bereit.

Text: Julchen (nach Diktat das Wattwurmorakel von Sankt Buddel befragt. Sehr verheißungsvoll!!)

Fotos: Elke Weiler

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