Auf der Düne von Helgoland
Dieses Gefühl, wenn du ein Fährticket für Helgoland in den Händen hältst, das ist Glück. Die Sonne lacht, das Meer still und glatt wie an wunderbaren Sommertagen. Die „Funny Girl“ füllt sich langsam, doch es gibt genügend freie Plätze an Bord. Noch ist da die Ruhe der Vorsaison. Und warme Tage im April sind ein Geschenk.
An Bord treffe ich Ralf, den Fotografen aus Hamburg, mit dem ich schon Anfang der 2000er zusammengearbeitet habe. Aktuell haben wir uns für ein Buchprojekt auf gemeinsamer Fahrt an Bord eingefunden. Fast vergeht die Zeit zur Nordseeinsel zu schnell, Helgoland liegt schon zum Greifen nah. Wir werden ausgebootet und mit den typischen Börtebooten zur Hauptinsel gebracht.
Zum ersten Mal war ich bei Nebel auf Helgoland. Dann im letzten August bei Temperaturen, die mediterranes Potential offenbarten. Ich fuhr mit dem Fährboot zur Düne und ging in der Nachbarschaft der Seehunde baden. Auch heute zieht es uns ebenfalls zur Badeinsel, allerdings nicht zum Schwimmen.
Wir haben ein Date mit Kegelrobben und Seehunden, zwei von weltweit 35 Robbenarten. Nur dass diese nichts von der Verabredung wissen. Eigentlich treffen wir nämlich den Seehundjäger auf der Düne. Eine unpassende Bezeichnung, das findet auch Michael Janßen. Er holt uns beim Anleger ab und führt uns erst einmal zum Nordstrand der Insel. Zu den Robben.
Eigentlich fungiert Janßen als Betriebsleiter der Düne, den Seehundjäger macht er ehrenamtlich. Dabei stehen ihm noch eine Dünenrangerin und eine Hilfsrangerin zur Seite. Naturschutz und ein harmonisches Zusammensein von Mensch und Tier haben für ihn und seine Mitarbeiter oberste Priorität.
Vitamin D – wichtig auch für Robben
An diesem perfekten Tag scheint alles wie am Schnürchen zu laufen. Fast alles. Am Nordstrand tanken mehrere Hundert Robben Sonne, dazwischen nur wenige Seehunde, die ansonsten den Südstrand für sich auserkoren haben. „Genau wie wir brauchen die Tiere Sonnenlicht für die Vitamin-D-Produktion“, meint der Kenner. Ein paar Naturfotografen liegen mit schweren Objektiven im Sand, nicht immer die geforderten 30 Meter Abstand einhaltend. Ehrlich gesagt, habe auch ich mich mit der Entfernung verschätzt.
Glücklicherweise tüftelt eine findige Masterstudentin gerade an einem praktikablen Hilfsmittel, um die 30 Meter genau zu bestimmen, und Michael Janßen freut sich darüber. Derweil macht er einen zweibeinigen Sonnenanbeter auf die näherrückende Wasserlinie aufmerksam, mit der auch die Meeressäuger stets ein Stück weiter hoch robben. Nicht, dass der Urlauber beim Aufwachen von Deutschlands größten Raubtieren umzingelt ist!
Im Gegensatz zu den Seehunden stören sich Kegelrobben nämlich nicht so an sogenannten Distanzzonen. An der Intimsphäre, die beim Menschen zwischen 60 und 80 Zentimetern Abstand liegt. Und dass die Robben die Düne mit den Menschen teilen, ist quasi schon ein alter Hut. Vorbei die Zeiten, als sie von den Urlaubern bejagt werden durften.
Darüber habe ich in einem Reiseführer zu Schleswig-Holsteins Nordseebädern aus dem Jahr 1896 gelesen. Enten, Möwen und Lummen durften geschossen werden. Seehunde galten als Jagdobjekt mit Seltenheitswert, Robben kamen seit dem Mittelalter kaum mehr vor. Helgoland vor mehr als hundert Jahren und heute, was für ein Vergleich.
Probleme mit Stellnetzen
Michael Janßen ist nunmehr der Einzige auf Helgoland, der schießen, beziehungsweise ein Tier im Notfall erlösen darf. Dabei kommt er nach eigenen Angaben aus dem Tierschutz. Und wenn es irgendwie geht, versucht er kranke Tiere zu retten. Allein im letzten Jahr haben der Seehundjäger und sein Team 58 Seehunde nach Friedrichskoog in die dortige Auffangstation geschickt.
Seehunde werden seit 1974 in Schleswig-Holstein nicht mehr bejagt. In 2017 wurden zirka 26.000 Seehunde und über 5.000 Robben im niederländischen, deutschen und dänischen Wattenmeer gezählt. Man schätzt die Zahl der Seehunde jedoch noch wesentlich höher, etwa auf 38.000. Auf Helgoland scheinen sie sich trotz des Tourismus rundherum wohl zu fühlen, sonst wären sie nicht hier.
Probleme gäbe es aber mit Stellnetzen, so erzählt Michael Janßen. Sechs Tiere hat er seit Anfang des Jahres von Stellnetzresten befreien müssen, die mit der Zeit bei einem im Wachstum stehenden Tier tief in Haut und Fettgewebe einschneiden und schlimme Wunden verursachen. Wenn solche Tiere am Strand gesichtet werden, versucht er mit seinen Helfern, sie einzufangen und die Nylonschnüre zu entfernen.
Janßens Blick schweift über den Strand. „Heute liegen hier hauptsächlich Bullen.“ Sie seien eher dunkel mit hellen Flecken, während es bei den Weibchen umgekehrt wäre. Doch die Kegelrobben sind mitten im Fellwechsel, für mich sehen sie fast alle gleich aus, wild gemustert nämlich. Und sie haben etwas von Bären, Strandbären sozusagen. Immerhin können die Bullen bis zu 300 Kilo auf die Waage bringen und mehr als zwei Meter lang werden.
Übermütige Kegelrobbe
Der Seehundjäger zeigt auf ein Weibchen, das sich an der Wasserkante entlang bewegt: „Die wirkt geradezu übermütig.“ Zu viel Energie, während die Anderen nach allen Regeln der Kunst faulenzen. Das neugierige Weibchen taucht kurz ins Wasser, um sich schließlich einem einzelnen Seehund zu nähern, der absolut nicht scharf auf ein Spielchen ist. Also geht es zurück ins Wasser, wo sich die Kegelrobbe ein paar Mal um die eigene Achse dreht. „Das ist Jux und Dollerei“, meint Michael Janßen.
„Das sag mal einer, Tiere hätten keinen Humor!“ Schmunzelnd erzählt er, wie sich einmal eine Robbe selbst irgendwelchen Seetang auf den Kopf schmiss, und alles, was gerade so greifbar war. Manchmal gingen sie auch einen Schritt zu weit in ihrem Übermut. Scheinbar wohlwissend, dass sie nun unter Schutz stehen, nachdem der Mensch sie zuvor beinahe ausgerottet hätte.
Janßen erzählt von Jungtieren, die mal eine Eiderente gejagt hatten, die dann samt Federn in einem Maul landete. Ansonsten steht eher Fisch auf ihrem Speiseplan. Allerdings gibt es ein paar Bullen, die sich darauf spezialisiert haben, Seehunde zu fressen und sogar Jungtiere ihrer eigenen Art. Das passiert mitunter auch vor den Augen der Touristen.
Wie Sirenengesang
Heute herrscht Friede, Freude ohne Eierkuchen. Stundenlang könnte ich den Monstern am Strand zuschauen. Ihren Erzählungen lauschen. „Uuuuuuuuh“, macht ein Weibchen, und es klingt wie Sirenengesang. Oft hört man auch eine Art Fauchen, Rotzen, Maulen. Dann kehrt wieder Ruhe ein. Bis eine Krähe einer Robbe zu aufdringlich wird.
Manchmal übernachtet Michael Janßen im Sommer draußen auf der Düne, dann hört er den Gesang und das Gejodel der Tiere die ganze Nacht durch. Schön muss das sein. Langsam gehen wir zum Südstrand der Insel, zu den Seehunden. Silbrig glänzen ihre Leiber in der Sonne. Wesentlich kleiner, zarter, fischartiger, distanzierter und sensibler wirken sie. Liegen in aristokratischer, sichelförmiger Pose an der Wasserkante.
Wenn sich beim Baden im Sommer ein Tier nähert, dann ist das meist eine Jungrobbe.“ Der Seehundjäger meint, sie können frech bis penetrant werden, auch gegenüber Menschen. Sollte es zu einer Verletzung durch eine Robbe kommen, kann die Wunde auf der Düne direkt medizinisch versorgt werden, darauf seien sie hier im Sommer eingerichtet.
Bisschen baden?
Ein Stück rechts von den Seehunden schwimmt eine Jungrobbe, die näher kommt, während ich an der Wasserkante fotografiere. Immer wieder steckt sie ihren Kopf aus dem Wasser und schaut mich neugierig an. „Was geht, Digger? Bisschen baden?“, scheint sie zu fragen. Aber eine Wassertemperatur von fünf Grad und freche Tiere wirken nicht eben einladend auf mich.
Die Robbe bleibt dran, bis ich schließlich meinen Posten verlasse. Im letzten Sommer bin ich tatsächlich hier schwimmen gegangen, das war wunderbar. Dieses Türkis, fast karibisch! Die Seehunde lagen ein Stück weiter entfernt, und neugierige, spielfreudige Robben befanden sich außer Sichtweite.
Michael Janßen unterhält sich gerade mit einem Gast. Überhaupt wirkt er mehr wie ein Betreuer und Beschützer sowie Mittler zwischen Mensch und Tier denn wie ein Seehundjäger. Wie ich als angelerntes Landei in meiner nordfriesischen Wahlheimat mit Schafen und Kühen kommuniziere, redet er den Seehunden und Robben gut zu. Ob sie ihn verstehen? Ihre Sprache hat Janßen jedenfalls gelernt: „Wenn sie zum Beispiel mit der Flosse winken, sie auf und ab bewegen, dann ist das keine Einladung näher zu kommen. Es heißt: Verpiss dich!“
Dennoch gäbe es Situationen, da muss er eine schwere Entscheidung fällen. Wenn zum Beispiel eine starke Rückenkrümmung auf Lungenwürmer hinweise, dann kann er meist nicht mehr tun, als das Tier zu erlösen. Bei Seehunden darf er diese Entscheidung selbst fällen, bei Robben muss er zuerst nachfragen.
Auch die Ranger halten die Augen auf und beobachten die Tiere ständig. Eingreifen darf nur der Seehundjäger, der dafür ausgebildet ist. So musste Michael Janßen den Jagdschein machen, Jagdaufseher werden und Schulungen über maritime Säuger absolvieren. Bereut hat er es nie. Auf der Helgoländer Düne scheint er sich genauso wohl wie die Robben zu fühlen. Und wenn er einen Heuler retten kann, freut er sich wie ein Kind.
Text und Fotos: Elke Weiler
Helgoland gefällt mir gut.
Ja, das würde auch gut zu dir passen. ;-)
Sehr, sehr schöner Beitrag der mir bewusst macht das wir doch echt schöne Ziele in der Nähe haben und nicht immer weit fliegen müssen.
Ich durfte mal mit Seelöwen schwimmen, aber das hier ist echt mega schön und quasi um die Ecke.
Danke für diesen wundervollen Beitrag.
Ich fahre relativ häufig mit meinem Hund an die Nordsee und bin da meistens aber in Holland bzw in Noordwijk, es ist einfach traumhaft schön und immer sehr entspannend da dort oben die Uhren einfach etwas langsamer ticken. Man sieht da eigentlich keine gestressten Menschen, alle machen einen tiefenentspannten Eindruck und das hilft mir ungemein auch runterzukommen.