Eigentlich ist noch etwas früh fürs Mittagessen. Doch wir streifen mit knurrenden Mägen durch Lissabon. Ein Galão, etwas Süßes oder doch direkt lunchen? Ein erstes Pastel de Nata? Oder Bacalhau à Brás? Es geht rauf und runter in unserem Viertel, dem Bairro Alto.
Wir treffen Orte wieder. Orte sind wie alte Bekannte: Weißt du noch, dieser Miradouro? Da stehen wir nun am Aussichtspunkt Santa Catarina, spüren das Vertraute, finden die Veränderung. Es ist ein bisschen schicker hier oben geworden, auch an diesem grauen Tag sehen wir das. Der Tejo, die Brücke, halb Lissabon im Dunst. Der Himmel wolkenverhangen.
Als nächstes stoßen wir auf die berühmte Bica, eine Standseilbahn, die von der Oberstadt den abschüssigen Weg Richtung Tejo tuckert. Tagein, tagaus. Meistens steht sie unbeweglich dort, fast immer, wenn wir vorbeikommen. Ein großes Schild mit 3,60 Euro prangt im Fenster.
In der Rua das Flores
Aufzugfahren ist also teurer geworden in Lissabon. So begnügen sich die meisten damit, das Bild mit dem gelben Vintage-Gefährt wie eine lebendige Postkarte zu genießen, Einheimische wie Touristen. Auch ich muss jedes verdammte Mal an dieser Stelle auf den Auslöser drücken.
Angelockt von einer riesigen Pinie, die sich keck zwischen den Häusern hervortut, laufen wir in die Rua das Flores. Und finden prompt unser Traumlokal, eine klitzekleine Taberna. Leider stehen zwei Hocker sperrig vor der Tür, also drehen wir noch eine Runde und schauen nach 12 wieder vorbei.
Volltreffer! Wir sind die ersten Gäste, allerdings nicht lange. Diese urgemütliche Taverne in der Straße der Blumen hat zwar nur eine genauso klitzekleine Karte wie Raum, doch das Essen muss großartig sein, denn schon nach einer Weile stehen die Einheimischen Schlange.
Das sitzen wir nun, wegen Übermüdung schon nach dem ersten Schluck des exzellenten Hausweins halb im Delirium und hören Cesária Évora rauf und runter. Saudade und das vermutlich beste Brot von ganz Lissabon. Die Oliven, das Öl! Wir schwelgen im Hier und Jetzt, sind fast satt, als Kichererbsen mit Stockfisch und Koriander, sowie frittierte, hauchdünne Scheiben vom Schwertfisch, dazu Brotbrei mit Knoblauch und Fischrogen, auf unserem Tischchen landen.
Flucht in die Kathedrale
Die Kellnerin hat uns die Gerichte auf der Schiefertafel detailliert erklärt. Noch vor dem Nachtisch, bestehend aus Schokomousse mit Brandy und Brotpudding mit Äpfeln, fühlen wir uns wie zu Hause. Kapverdische Musik, Koriander und Kaffee – mitten in einer der schönsten Städte der Welt. Die Französin am Nebentisch liest demonstrativ aus Pessoas Stadtbericht in ihrer Sprache: „Lisbonne“. Und während Cesária weiter von der Saudade singt, drücken sich potentielle Gäste die Nasen vor der inzwischen geschlossenen Tür platt.
Wir verlassen diesen Ort nur für eine verdiente Siesta. Und um danach unsere Wiedersehenstour fortzuführen. Ich muss in die Alfama, zu maurischen Zeiten der Stadtkern. Beim ersten Versuch regnet es in Strömen, als wir aus der Tram 28 steigen. Triefend flüchten wir in die Kathedrale Sé, trocknen uns behelfsmäßig mit Taschentüchern und wärmen uns kulturell ein wenig auf.
Draußen regnet es immer noch. Wir zögern einen Moment zu lang, der Regenschirmverkäufer sucht bereits das Weite. Selbst die Bettlerin vor der Sé gibt wegen des Wetters auf. Der ältere Kollege winkt ihr zum Abschied zu, sie zuckt mit den Schultern, gen Himmel deutend. Nur noch halb leere Straßenbahnen und Tuk-Tuks sind unterwegs. Der Regen verwandelt das Kalksteinpflaster in eine einzige Rutschbahn. Wir gehen wie auf Eiern bis zum nächsten Trockenstopp. Pit’s Café um die Ecke. Free WiFi.
Lucy in the sky
„I’m the cook!“, sagt der dickbäuchige Mann, der zuvor an Tisch 1 ein Stück Kuchen verzehrt hat. Er schiebt den netten, jungen Kellner beiseite, um uns die Tapasplatte nahezulegen. Wir gehorchen, der Regen prasselt weiter. Der Chef stellt spontan auf Deutsch um, als er merkt, woher wir kommen. Ein Brasilianer vom Kiosk schräg gegenüber macht einen Witz, indem er auf Deutsch seinen x-ten Kaffee ordert, bevor er den Chef mit brasilianischem Singsang zutextet.
Wir lassen uns von einem Gläschen Suppe als Gruß aus der Küche überraschen. Kürbis, Zucchini, Karotte und Koriander. Schön warm. Dazu „Lucy in the sky“ und mehr Beatles und mehr Wasser vom Himmel. Wir wollten Frühling in Lissabon, ließen ihn aber zu Hause. Dafür gibt’s ein österreichisches Dessert zum Nachtisch, so der Chef über die Tarte mit diversen Marmeladen. Noch ein Ginjinha, und wir haben den Regen vergessen, machen dem Hausherrn Komplimente, fühlen uns gut.
An der Haltestelle erzählt uns ein Ex-Broker aus Lissabon seine Lebensgeschichte. Zur Zeit arbeitet er als Beamter, will aber mehr. Erst mal finanziell rekuperieren. Sprachen lernen. Er freut sich, seine Deutschkenntnisse an den Mann bringen zu können. Außerdem Russisch und Chinesisch, doch dafür sind wir nicht die geeigneten Gesprächspartner.
Sein Bus kommt vor unserer Tram, wir warten mal wieder auf die 28. Flankiert von Spanien und Österreich. Nach zwei 12ern endlich die Richtige! Doch was steht da? „Reservado“? Der Schaffner steigt aus, nimmt einen Spiegel zu Hilfe und stellt das Ziel auf „Prazeres“. Alle lieben ihn dafür, und die Welt ist wieder in Ordnung.
That’s Lisboa!
Text und Fotos: Elke Weiler
Und demnächst in diesem Theater: Wie sieht es eigentlich auf der anderen Seite des Tejos aus? Wir nehmen die Fähre und landen an einem halb verlassenen Ort…
Danke, Elke!
Schöne Erinnerungen! Durfte Lissabon vor knapp einem Jahr erleben. Schön war’s/ist’s :-). Vielleicht/hoffentlich treff‘ ich’s auch irgendwann mal wieder…..?!
LG
Anja
Bestimmt! Lissabon sieht man mindestens zwei Mal im Leben. :-D
Österreichisches Dessert in Lissabon. Klingt sehr interessant. ;)
Wir haben da einfach mal der Aussage des Chefs vertraut. ;-)
Hach, schöööööön! Ich liebe Lissabon! Selbst wenn die Sonne mal nicht scheint (was dort ja echt selten passiert). ;-) Bin gespannt über eure Eindrücke von der anderen Seite des Tejos!