Wir sind beschwingt, vielleicht sogar leicht beschwipst, als wir in San Sebastián ankommen. Es muss das Baskenland sein, mit Sicherheit aber auch der Apfelwein. Gerade noch habe ich nach den Klängen des Akkordeons von Izaskun gelauscht, besser gesagt, den Klängen der Trikitixa. Izaskun hieße Jungfrau, hat sie feixend gesagt und weiter gespielt.
Rhythmen wie die tanzbare Kalejira im Sechs-Achtel-Takt oder eine schwungvolle Fandangoa im Drei-Viertel-Takt. Natürlich haben wir passenderweise versucht, vor dem enormen Sidra-Fass sachte hüpfend unsere Gläser im langen Strahl aufzufüllen, was fein hintereinander aufgereiht einer Art Volksfest nahekam.
Derart beschwingt verlassen wir die traditionelle Sidrería Rezola in Astigarraga, das nur wenige Kilometer von der Küste und San Sebastián entfernt liegt. Dort wartet Hitchcock auf mich, kein Scherz. Er sitzt in diesem Hotel und liest. Keine Ahnung, was. Ich nehme mir eine Zeitschrift und platziere mich unauffällig daneben.
Doch Hitchcock wirkt über die Maßen in seine Lektüre vertieft, ein Gespräch unmöglich. Also beziehe ich mein Zimmer im „Astoria 7“, wo Gloria Swansons breites Lächeln über meinem Bett schwebt. Muss das Diven-Leben in der 50ern schön gewesen sein. Und dieses Hotel – das reinste Hollywood, aber ohne Allüren.
Mit dem Rad zur Concha
Und sie hatten uns ja vorgewarnt: San Sebastián, die Stadt des seit 1957 ausgelobten internationalen Filmfestivals. Leider sind wir im September nicht mehr hier, um uns durch die Vielfalt der Filme zu schauen. Jedenfalls scheint Hitchcock im Foyer die Zeit zwischen den Festivalterminen mit Lesen zu überbrücken.
Beim Fahrradverleih schräg gegenüber frage ich nach einem Rad. „Personalausweis?“ Ist im Astoria. „Zimmernummer?“ Gloria Swanson. Der junge Vermieter bleibt locker, grinst und übergibt mir das Rad samt Schlüssel für ein paar Euro. Wenigstens einer, der mir vertraut. Und das Radwegenetz in San Sebastián erweist sich als gut organisiert.
Sagen wir mal, fast Kopenhagener Verhältnisse. Nur dass keine 51 Prozent der Verkehrsteilnehmer radeln. Doch die Radwege sind besser als in den meisten deutschen Städten, und ich lande ruckzuck am gutgefüllten Strand. Kein Wunder, an diesem schönen Sommertag. Geistesgewärtig habe ich Badeklamotten und ein Handtuch dabei. Und ich zögere keine Sekunde. La Concha! Es lebe der Stadtstrand, hier in Form einer Muschel.
Das Wasser hat eine karibische Tönung, die Temperatur fühlt sich sogar angenehmer an, und ich könnte ewig schwimmen. Überhaupt, die Kombination von Kultur, Radfahren und Schwimmen – was braucht der Mensch noch? Ach so, etwas zu essen. Ich nehme noch einen roten Aperitif namens Limonade an der Strandbar im historischen Gewand und mache mich auf den Rückweg.
Hitchcock wartet, wenn auch nicht auf mich. Fürs nächste Date muss ich mich trotzdem beeilen und renne mit nassen Haaren nach draußen. Wir steuern die Altstadt an, schlendern den Fischerhafen entlang, zwängen uns in die Gassen. Donostia, so der baskische Stadtname, feiert sich als Kulturhauptstadt 2016, doch vermutlich ist im Juli immer so viel los wie jetzt.
Kochen wie die Einheimischen
Pintxos an jeder Ecke, so nennen sich die baskischen Tapas. Und sie sind gut, verdammt gut. Nur zu gerne würden wir in eine der Bars huschen und das Angebot testen, der Magen knurrt schon. Oder in einen der typischen Männer-Kochklubs hereinschneien, einen sogenannten Txoko. Doch heute heißt es selber machen.
Wir steigen die knarzenden schmalen Stiegen eines Altstadthauses hoch, betreten ein hübsches Apartment. Da stehen sie freudestrahlend vor uns: Gabriella Ranelli, die Inhaberin von Tenedor, sowie Katharine Giery, Köchin aus Georgia – beide ins Baskenland und ihre hiesigen Männer verliebt. Beide wollen nie mehr fort.
Wir reden, lernen, lachen, trinken wunderbaren Rotwein aus dem nahen Rioja Alavesa. Und speisen. Unser erster Pintxo, eine Erfindung aus Donostia, trägt den verheißungsvollen Namen „La Gilda“, was mich wiederum an Firma und Hollywood erinnert. An Rita Hayworth.
De facto geht es um eine leicht feurige Kombination aus Anchovis, Oliven und grünen Peperoni. Ein Gast soll damals gesagt haben, dieser Pintxo sei süß, salzig und ein bisschen pikant wie „Gilda“. Dabei hatten die Spanier den Film nicht in voller Länge sehen können, der kurze Handschuh-Striptease war der Zensur zum Opfer gefallen.
Wir genießen Häppchen für Häppchen, mit dem Knowhow von Gabriella und Katharine, mit der Geschicklichkeit unserer Hände erarbeitet. Die Stimmung steigt, als wir in Kochpausen Hundefotos austauschen. Ich muss das Handy dann aber weglegen, um eine Thunfischcreme für die Füllung roter Paprikas zu kreieren.
Zur Galeone San Juan
Auf dem Nachhauseweg hätten wir beinah gesungen und Handschuhe à la Gilda geworfen, doch zum Glück hatten wir keine. Die Altstadt von San Sebastián brummt nach wie vor. Nur einen kleinen Nachteil hat diese Reise: Wir müssen am nächsten Morgen schon weiterziehen. Darüber versucht Juan uns wegzutrösten, gebürtiger Guatemalteke, Koch aus Leidenschaft, der aktuell am Steuer sitzt.
Es dauert nicht lange, dann kennen wir seine Geschichte, zumindest im Groben. Frisch geschieden, zwei Kinder, das Restaurant hat er seiner Frau überlassen. Aber Projekte hat er, und wenn wir das nächste Mal ins Baskenland kommen, steht deren Realisierung vermutlich nichts mehr im Weg.
Mach es wie Gilda. Sei süß, salzig und ein bisschen pikant. Und wenn du Glück hast, wird ein Pintxo nach dir benannt. Für alle Ewigkeit. Nein, das werden nicht die weisen Schlussworte dieses Artikels. Juan hat uns nämlich auf dem Weg Richtung Bilbao noch nach Pasaia gebracht. Zum Fischessen. Und ins Museum.
Wir erfahren, dass die Basken nicht nur Bauern, sondern auch eine wahre Seefahrernation gewesen sind. Man segelte Richtung Neufundland, baskische Schiffe galten als stark – bauchige Frachtschiffe aus Eichenholz. Da Wasser auf der langen Reise schlecht wurde, kalkulierte man drei Liter Apfelwein pro Tag. Außerdem half das gegen die Skorbutgefahr.
Wonach den Seefahrern im 15. Jahrhundert gelüstete, waren Kabeljau und Wal. Nun wird ein Schiff nach einem Fund vor der kanadischen Küste nachgebaut, die Galeone San Juan. (Steht in keinerlei Zusammenhang mit dem Koch-Chauffeur.) Das Gerippe, wie der Rücken eines menschlichen Körpers. Seit zwei Jahren bauen sie schon daran. Wenn es fertig wird, wollen sie mit der Galeone nach Neufundland segeln. Einfach so.
Text und Fotos: Elke Weiler
Mit Dank an das Baskenland und Spanien Tourismus, die meine Reise unterstützt haben.
Noch mehr Baskenland? Kommt mit ins Guggenheim Museum in Bilbao oder lernt ein paar Worte Baskisch mit mir!
Wiederholungstäter sollten wir in Sachen Reiseziele immer wieder sein, wenn das Ziel der Seele gut getan hat.
Mich packt das Fernweh beim Lesen dieses Reiseberichts, danke dafür
Das freut mich sehr, danke dir!