Wolken im Wasser

Hamburger Hallig

Man könnte den Strand der Hamburger Hallig als spröde bezeichnen. Halbinselförmig ragt der Landflecken kilometerweit ins Wattenmeer hinein, wo er mit schroffer Kante endet. Das Restaurant und die Infohütte des NABU sind nur zu Saisonzeiten geöffnet. Danach wird still, sogar die Schafe ziehen für den Winter aufs Festland.

Sommer in Nordfriesland. Wolken spiegeln sich auf dem Weg zum Watt. Durchsichtig wirkt der Boden, wo sich wegen des Regens riesige Pfützen gebildet haben. Er gaukelt mir eine andere Welt vor, einen Kosmos neben dem der Salzwiesen und des Wattenmeeres. Wenn der Himmel abtaucht, alles verschmilzt.

Ich bin mal wieder mit dem Rad unterwegs zur Hamburger Hallig. Da fällt mir auf, dass sich der Weg gabelt, links geht es direkt zum Strand. Vorbei an jenen enormen Wolken-Pfützen, die kaum zu umfahren sind. Also Beine hoch und mittendurch rollen, dass das Wasser nur so spritzt. Ganz vorne an der steinernen Böschung sind Spaziergänger unterwegs, ansonsten dehnen sich hier nur die Halligbewohner aus, die Schafe.

Strand  mit Dusche, Hamburger Hallig
Gemeines Duschrad

Aktuell badet niemand, denn noch ist die Nordsee auf dem Weg zurück. Vermutlich wird aufgrund der aktuellen Temperaturen auch später niemand ins Wasser steigen. Also merke: Nordfriesische Badestellen sind nicht nur zum Baden da. Eine beliebte Alternative ist das Waten durch den grauen Matsch, am liebsten barfuß. Und nur, wenn man nicht zu tief einsinkt.

Ich lasse das Mietrad stehen und laufe zu Fuß zum Hallig-Krog, wo an diesem Herbsttag noch mächtig Betrieb herrscht. Nach der kleinen Kaffeepause hat sich die Szenerie auch schon geändert. Die Nordsee meldet sich zurück, die Welt hat sich mit der einsetzenden Tide gewandelt. Nur die Wolken sind immer noch da, oben wie unten.

Zwar weiß ich, was unter der funkelnden Wasseroberfläche ist, was war und was beim nächsten Hervortreten nicht mehr sein wird. Doch es ist die Bewegung, die Energie des Meeres, die alle in ihren Bann zieht. Menschen klettern auf die Steinwälle, solange man diese noch sieht. Dann sind auch die letzten Markierungen verschwunden, verschluckt vom Wasser.

An diesem fast windstillen Tag plätschert die Nordsee behutsam gegen die Steinkante. Was dem Watt jene Transparenz verleiht, ist seine Wandelbarkeit, seine Unfassbarkeit. Das Verschwinden und Wiederkehren. Das Flimmern des triefnassen Bodens. Die Silhouetten von Langeneß und Gröde am Horizont erwecken den Anschein, als könne man zu Fuß zu den Halligen gehen.

Watt mit Halligen
Halligen am Horizont

Doch bei näherem Betrachten lösen sich die Warften vom Boden, schweben gleichsam über dem Watt. Erneut hallen die Worte Theodor Storms wider, der von den Halligen als „schwimmenden Träumen“ sprach. Weil das Watt diese Magie besitzt. Diesen Reichtum an Geheimnissen. Weil es ein Versprechen, ein Geschenk ist.

Ein Rettungsring, vor dem die Schafe grasen. Die einsame Dusche. Die gelbe Treppe, die ins Watt oder Wasser führt. Vielleicht stehe ich am sprödesten Strand des ganzen Landes, hier an der Kante der Hamburger Hallig, auf Stein und Beton. Aber ich liebe diesen Ort. So oft war ich schon hier. Allein gebadet habe ich noch nie.

Eines der Schafe blökt laut, stehe ich irgendwie im Weg? Ich bewege mich ein Stück weg, doch das Schaf palavert weiter. Jetzt sehe ich, dass es ihm vermutlich um eine andere „störende“ Person geht, die dies noch nicht realisiert hat. Auch Schafe haben Ziele vor Augen. Zum Beispiel eine Trinkpfütze.

Die Hamburger Hallig steht in dem Ruf zu entschleunigen, aber man muss ihr auch die Chance dazu geben. Mit einem kleinen Spaziergang entlang der Wasserkante ist es vielleicht nicht getan. Den Schafen zusehen, dem Wind lauschen, auf das Meer warten. Das Watt spüren. Die Salzwiesen erforschen, Vogelrufe erkennen. Wenigstens den Austernfischer. Die Wolken ziehen lassen. Nichts tun.

Im schleswig-holsteinischen Wattenmeer existieren zwei Halligen, die auf eigene Faust erreichbar sind: Neben der Hamburger Hallig in Nordfriesland verfügt Dithmarschen über ein Pendant namens Helmsand. Erst im letzten Jahrhundert verband man Helmsand durch einen Damm mit dem Festland der Meldorfer Bucht.

Gelebt hat dort im Unterschied zur Hamburger Hallig nie jemand. In deren wechselvoller Geschichte, die gleichzeitig auch als Spiegel der ständigen Veränderungen im Wattenmeer herhält, bildete die Hamburger Hallig einst ein Stück der Landschaft Strand mit ihrem legendären Ort Rungholt. Strand wurde zur Insel, zur größten im Wattenmeer. Dann wütete die verheerende Sturmflut im Oktober 1634 und zerschnitt diese Insel: Pellworm, Nordstrand und Nordstrandischmoor entstanden.

Am Strand der Hamburger Hallig
Alles da. Alles weg.

Auch der Koog der Hamburger Amsinck-Brüder blieb als einsame Hallig erhalten und wurde erst im 19. Jahrhundert durch einen Damm mit dem Festland verknüpft. Zu beiden Seiten verlandete der Damm durch Anschlickungen. Salzwiesen haben sich mit der Zeit gebildet. Im Frühjahr und Herbst stehen diese bei Nonnengänsen hoch im Kurs. Auch sind die üblichen Verdächtigen des Wattenmeers wie Austernfischer, Rotschenkel, Sandregenpfeifer, Säbelschnäbler, Lach-und Silbermöwen zu beobachten.

Selbst wenn alle Zugvögel und Schafe fort sind, können die Tage hier voller Leben sein. Der Winter, für mich die schönste Zeit am Strand der Hamburger Hallig. Etwa bei einem Picknick an der Wasserkante, wenn leichter Nebel die See in Schweigen hüllt. Wenn jeder Vogelschrei, jedes noch so weit entfernte Geräusch plötzlich greifbar nah wirken. Dann ist die Hallig ein durch und durch amphibisches Wesen.

Text und Fotos: Elke Weiler

6 thoughts on “Wolken im Wasser

  1. Liebe Elke,
    ja, die Hamburger Hallig, sie ist einfach traumhaft. Wir sind recht oft dort. Ich möchte ein Buch empfehlen, wenn man sich für das einstige Leben auf der Hamburger Hallig interessiert. Möglicherweise ist es aber nur noch gebraucht zu bekommen, aber es ist eine berührende Biografie dieses Ortes mit all seinen Turbulenzen.

    Das 91 Seiten umfassende Buch „Das Mädchen von der Hallig“ ist vor einigen Jahren in Neuauflage erschienen im Callsen-Bracker-Verlag, ISBN 978-3-941797-01-7
    Lieber Gruß von Kai

    1. Lieber Kai,

      danke dir! Das Buch sagt mir was… Haben wir da schon mal drüber gesprochen? Auf jeden Fall habe ich es immer noch nicht gelesen. Aber da mein aktuelles Buch fast ausgelesen ist, schaue ich gleich mal nach!

      Liebe Grüße,

      Elke

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert