Mit dem Kanu über die Neris nach Vilnius
Flussabwärts paddelt es sich gemütlich, sollte man denken. Die Perspektive wechseln, Litauen vom Wasser aus entdecken. Also machen wir uns bereit für eine Tour über die Neris bis nach Vilnius. In der Schwimmweste fühle ich mich wie ein aufgeblasenes Reifenherstellermännchen, das Kanu gleicht einer Nussschale, schnittig, aber von ähnlicher Stabilität.
Unser Startpunkt liegt in der Nähe des Europaparks. In einer guten Stunde werden sie uns in Vilnius empfangen, auf einer Wiese im modernen Teil der litauischen Hauptstadt. Wir werden sie sehen, wie sie am Ufer stehen und uns zuwinken, die Glücklichen, Unsportlichen, Schadenfrohen. Wobei eine Stunde lang Paddeln für Ungeübte ziemlich human klingt.
Kanu ahoi, und immer schön auf Zickzack-Kurs! Nach und nach werden die einzelnen Kanus unserer Gruppe zu Wasser gelassen, bis wir alle auf der Neris treiben. Versuchen, uns an die neue Situation zu gewöhnen. Einpaddeln, heißt: Wer hinten sitzt, muss gucken, was der Vordermann so treibt. In meinem Fall: die Vorderfrau.
Also. Wenn Heidis Paddel rechts in den Fluss schaufelt, muss ich das Gleiche tun. Alles andere führt ins Chaos. Wir müssen also unseren Rhythmus finden, Disziplin wäre mal angesagt. Doch immer wieder lassen wir uns ablenken, kommt es, wie es kommen muss. Wir zeichnen Schlangenlinien auf dem Fluss.
Auf Zickzackkurs
Wir bleiben locker, zur Hölle mit der Disziplin. Hier und da treffen wir auf Angler, die an der Neris ihr Glück versuchen. Und denen wir mit unserem unverdrossenen Zickzackkurs vermutlich die Fische vergraulen. Mal rudern wir mittig, mal ufernah über die Neris. Man könnte auch sagen, wir recherchieren jeden Winkel aufs Gründlichste.
Dichtes Grün zu beiden Seiten, unterbrochen von vereinzelten Badestränden, die temperaturbedingt ziemlich verwaist wirken. Nur zwei Entenfamilien kurbeln den Badebetrieb etwas an. Wir legen die Paddel hoch und lassen uns ein wenig treiben. Genießen die Ruhe, lauschen den Vögeln und dem Wasser.
Doch da geschieht es. Aktivere Kollegen überholen uns provozierend. So geht das nicht! Wir schwören auf Rache. Irgendwann. Und paddeln gemütlich weiter. Nichtsahnend. Plötzlich werden wir von einem männlich besetzten Kanu mit schlechten Absichten ins Visier genommen. Mit flotten Schlägen nähern sie sich, zweifelsohne mit dem Ziel zu entern.
Wie reagieren wir nun? Flucht oder Kampf? Da die Angreifer, nennen wir sie Piraten, schneller und gewiefter sind, bleibt uns nur der bewaffnete Widerstand. Überraschenderweise kommt von den Piraten eine Art Friedensangebot, vermutlich hatten sie nicht mit soviel aufspringendem Wasser gerechnet.
DAs Kanu-Tandem
Friede, Freude, Eierkuchen. Wir versuchen als Kanu-Tandem zu Viert weiterzukommen. Was gründlich daneben geht. Wieder auf uns gestellt, sehen wir von den Kollegen nur noch einen Kondensstreifen. Genau jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, unseren Ehrgeiz auszupacken und auf Tempo zu machen.
Jede Menge Kanus sind auf der Strecke zu überholen. Mindestens Zweiter werden, heißt die Devise. Wir setzen darauf, dass die Anderen erschöpft vom langen Weg sind. Doch langsam treten die ersten Blasen an den Händen auf. Halten wir die Paddel nicht richtig? Drehen müssen wir sie eigentlich ständig, sonst kommen wir ja nicht voran.
Am Uferrand eine litauische Hochzeitsgesellschaft, lachend, fotografierend. Es ist Samstag, und allerorten wird lustig geheiratet. Wie jung die Brautpaare teilsweise sind! Das ist uns schon in der Stadt aufgefallen. Der wir uns langsam aber sicher wieder nähern.
Von Brücke zu Brücke steigt der Geräuschpegel. Stimmen, Motorengeräusche. Wir meistern die Stromschnellen mit links, weichen quer treibenden Kollegen aus. Die ganze Zeit kein Gegenverkehr.
Jetzt kennen wir uns auch wieder aus: die Kunstobjekte auf den Wiesen am Flussufer, Graffitis, bekannte Kirchtürme, Häuserreihen der Jahrhundertwende. Und dann die Landungswiese zur Rechten.
Applaus in der Zielungeraden! Wir liegen im guten Mittelfeld und strecken zufrieden unsere Beine aus dem gestrandeten Kanu. Doch was ist das? Sind sie tot? Anderthalb Stunden zur Untätigkeit verdammt – da hilft nur Reanimierung der unteren Extremitäten.
Doch insgesamt fühlen wir uns wie neugeboren. Dank Spiel, Spaß und Spannung an der frischen Luft. Dank dem leichtem Schaukeln auf der Neris. Wieder einmal hat sich bestätigt: Der Rhythmus macht’s.
Text und Fotos: Elke Weiler